Saatkrähen sorgen in Otterndorf und in anderen Kommunen seit Jahren für Unmut. Doch die Tiere sind nach EU-Recht streng geschützt, die Möglichkeiten, gegen sie vorzugehen, daher begrenzt. Foto: dpa/Nagel
Saatkrähen sorgen in Otterndorf und in anderen Kommunen seit Jahren für Unmut. Doch die Tiere sind nach EU-Recht streng geschützt, die Möglichkeiten, gegen sie vorzugehen, daher begrenzt. Foto: dpa/Nagel
Interview

Probleme mit Krähen in Otterndorf: Psychologin plädiert für friedliche Koexistenz

von Christian Mangels | 10.05.2024

Manche lieben sie, andere hassen sie: An den Saatkrähen scheiden sich die Geister. In Otterndorf sorgen die Tiere seit Jahren für Konflikte. Die Psychologin Uta Maria Jürgens plädiert für einen anderen Umgang mit den Rabenvögeln.

Frau Jürgens, kennen Sie den Film "Die Vögel" von Alfred Hitchcock?

Ich habe ihn tatsächlich selbst nie gesehen, aber ich kenne die Originalgeschichte von Daphne du Maurier. Da tauchen interessanterweise Krähen als Übeltäter gar nicht auf.

Manche Otterndorfer fühlen sich stark an den Hitchcock-Film erinnert, wenn die Saatkrähen über der Stadt kreisen und lautstark kommunizieren. Woher kommt dieses Bild, dass Krähen als düstere Bedrohung gelten?

Die Ursachen sind sehr vielfältig. Tatsächlich glaube ich, dass Hitchcocks Film dazu beigetragen hat, einen seit Urzeiten bestehenden Mythos in die hiesige Zeit zu transportieren. Das ist ein bisschen wie mit dem Film "Der weiße Hai", der Haien in keiner Weise gerecht wird, aber eine tief sitzende Angst an das Tier ankoppelt. Es gibt verschiedene konkrete Quellen für diese Angst. Da ist zum einen - im Fall von Krähen - die Verbindung mit Tod und Jenseits. Denn Krähen sind nun einmal Aasfresser, das ist ihre wertvolle biologische Funktion. Schon im Mittelalter kamen Krähen als Galgenvögel in Verruf. Das war in einer Zeit, als die menschliche Gesellschaft noch nicht die Hygienemaßnahmen getroffen hatte, wie wir sie heute kennen. Die Krähen wurden mit der Urangst des Menschen vor Tod und Vergänglichkeit in Verbindung gebracht. Auch wenn wir heute keine öffentlichen Galgen mehr haben - zumindest nicht hierzulande -, wird diese Angst weiter über die Generationen transportiert. Die Krähen erinnern uns im Grunde jedes Mal, wenn wir sie sehen, an unsere Vergänglichkeit. Wenn wir das dann noch mit der traumatischen Situation im Film assoziieren, dann kann sich das zu einer Macht zusammenbrauen, obwohl wir vom Bewusstsein eigentlich wissen: Die können uns ja nichts. Aber da ist das Unterbewusste sehr mächtig. Ein weiterer Punkt: Wir Menschen haben eine große Kontrollmotivation, die wir vor allem auch auf die Natur anwenden. Kontrollverlust im Gegenzug löst Ängste aus. Das ist ganz normal, nicht pathologisch, wir wollen ja unser Leben gestalten, wollen es in der Hand haben. Und Krähen - im Film wie auch im Alltag - zeigen uns, dass unser menschliches Kontrollvermögen begrenzt ist.

In Hitchcocks Film greifen die Vögel die Menschen an. Wie häufig kommt es tatsächlich vor, dass Krähen Menschen angreifen?

Bei Saatkrähen ist mir das nicht bekannt. Berichtet wird es von Rabenkrähen. Sie leben territorial und verteidigen in Einzelfällen ihr Revier, in welchem sie auch brüten. Wenn ein solcher Angriff vorkommt, wird darüber medial unglaublich viel berichtet, obwohl es - wie gesagt - nur einzelne Fälle sind. Da entsteht ein schiefes Bild. Wenn es passiert, ist es ein Schutzmechanismus. In den allermeisten Fällen bleibt es ein Anfliegen. Mir ist in all den Jahren, in denen ich mich wissenschaftlich und ehrenamtlich mit Krähen auseinandersetze, nicht zu Ohren gekommen, dass dabei irgendeine nennenswerte Verletzung entstanden sein sollte.

Die Psychologin Uta Maria Jürgens erforscht das schwierige Verhältnis von Menschen und sogenannten Problemtieren wie Rabenvögeln, Wölfen und Spinnen. Foto: Rosenthal

Was treibt die Tiere eigentlich in die Städte?

Das ist ein wichtiger Punkt. Es wird medial gern von einer "Invasion" der Krähen gesprochen. Es werden Kriegsmetaphern bemüht, als hätten die Krähen ein Interesse daran, uns das Leben schwer zu machen. Das Gegenteil ist der Fall. Im Grunde sind es Flüchtlinge. Ursprünglich lebten Saatkrähen in der offenen Feldflur. Relativ kleinteilige Felder mit Gehölzen und Wäldchen dazwischen - das ist die ideale Brutkulisse für Saatkrähen. Doch durch die Intensivierung der Landwirtschaft wurden viele solcher ökologisch wertvoller Strukturen zerstört. Die Krähen haben schlichtweg viele Brutmöglichkeiten in der offenen Landschaft verloren. Dazu kommen illegale Vergrämungsmaßnahmen, tödliche und nicht tödliche. Die Krähen haben gar keine andere Möglichkeit, als auszuweichen. Und: Viele alte Baumbestände in Stadtparks, wie auch im Amtsgerichtsgarten in Otterndorf, sind die idealen Brutbäume für die Tiere.

Welche Möglichkeiten gibt es, Krähenkolonien umzusiedeln?

Saatkrähen bilden Traditionen. Wenn sie sich auf einen Standort festgelegt haben und es für sie dort ganz gut funktioniert, dann möchten sie dort auch gern bleiben. Es sind keine Vagabunden. Weiteres Problem sind die mangelnden Alternativen. Am neuen Ort müssen passende Brutbäume sein. Nicht jeder Baum eignet sich als Brutbaum. Punkt zwei: Es muss in der Umgebung genügend Nahrungsquellen geben. Punkt drei: Der neue Ort muss störungsfrei sein. Gerade der Aspekt der Störungsfreiheit ist häufig der limitierende Faktor.

Sie sehen Umsiedlungen also eher skeptisch?

Als Teil eines Gesamtkonzeptes kann es Sinn machen. Realistisch ist es aber nicht, dass alle Begleitbedingungen wirklich umgesetzt werden können. Ich kenne ein Fachbüro, das ein umfangreiches Gesamtkonzept für eine Krähen-Umsiedlung entwickelt hat. Man war in Gespräch mit Landwirten und Jägern. Letztendlich ist es an einzelnen Akteuren gescheitert, die sich nicht daran gehalten haben, die Krähen in Ruhe zu lassen. Man muss wirklich sensibel vorgehen und absolut konsequent sein. Wenn es keine Möglichkeit gibt, einen sicheren Anlaufort für die Tiere zu schaffen, dann wird das Konzept scheitern.

Saatkrähen sollen sehr kluge, soziale und gesellige Tiere sein. Stimmt das?

Absolut. Saatkrähen sind Gruppenwesen. Sie brüten zusammen - mitunter auch mit anderen Krähenarten - und kommen gut miteinander klar, auch wenn sie manchmal zanken. Aber das machen wir mit unseren Nachbarn ja auch. Das, was in manchem menschlichen Ohr häufig als Krach wahrgenommen wird, ist eine sehr ausgefeilte Kommunikation. Man weiß zum Beispiel aus der Forschung, dass sich Krähen über Nahrungsquellen austauschen. Aus wissenschaftlicher, aber auch aus menschlich-emphatischer Sicht ist das ein sehr sympathisches Geschehen, was da stattfindet. Es hat nur den Nebeneffekt, dass wir diese Art von Geräuschen nicht wertschätzen.

Die Geräusche der Krähen sind das eine, ihre Hinterlassenschaften das andere. Wer häufig am Otterndorfer Amtsgericht parkt, weiß, wovon ich spreche. Gibt es eine Möglichkeit, die Tiere so zu erziehen, dass sie ihre Geschäfte nur in bestimmten Bereichen, fern der Autoparkplätze, erledigen?

Das ist mit Sicherheit nicht möglich. Die Frage ist doch, wie wir mit diesem Problem umgehen. Vielleicht kann ich mit einigen Mythen aufräumen. Man liest ja häufig von Krankheitserregern im Krähenkot oder dass sich der Kot in den Autolack hineinätzt. Für beides gibt es keine wissenschaftlichen Belege. Es ist natürlich nicht schön, aber es ist auch nicht gefährlich.

Ist der Artschutz-Status der Krähen aus Ihrer Sicht noch gerechtfertigt? Der Bestand hat sich seit der Unterschutzstellung in den 1980er-Jahren doch deutlich erholt. Es gibt mittlerweile Forderungen, eine Obergrenze für Kolonien einzuführen.

Ich aus meiner persönlichen und wissenschaftlichen Sicht sehe keinen Anlass, über Obergrenzen in irgendeiner Form zu diskutieren. Was uns bei der Saatkrähe als Bestandsexplosion erscheint, ist schlicht und ergreifend ein Wahrnehmungsphänomen. Früher sind uns Krähen einfach nicht aufgefallen. Jetzt leben sie in unserer unmittelbaren Umgebung. Das heißt aber nicht, dass die Zahl der Saatkrähen tatsächlich gestiegen ist - es gab nur eine Verlagerung. Wenn wir wissen, dass Krähen hoch intelligente, empfindungsfähige und soziale Tiere sind, dann finde ich es nicht gerechtfertigt, leichtfertig über Abschüsse zu diskutieren, wenn wir noch nicht alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft haben. Zudem hat ein Bundestagsbeschluss im März dieses Jahres einem Bestandsmanagement von Saatkrähen eine Absage erteilt - diese Option ist also auch politisch vom Tisch.

Ich würde gern mit Ihnen einige Methoden durchgehen, mit denen Kommunen versuchen, die Krähenproblematik in den Griff zu bekommen. Manche Städte setzen zum Beispiel Raubvögel ein, um die Ausbreitung der Krähen zu verhindern. Was halten Sie von dieser Methode?

Grundsätzlich ist der Einsatz von Raubvögeln  wie Uhus durchaus eine Methode, die Chance hätte, zu wirken, falls die Krähen ausweichen können. Auf der anderen Seite ist das, was passiert, eine Störung. Wenn Saatkrähen gestört werden, können sie nicht voranschreiten mit dem Nestbau und mit dem Brutgeschehen. Dadurch verlängert sich im Grunde die Brutperiode. Oder es werden Bruten aufgegeben und neue versucht. Das heißt: Das Problem wird in den meisten Fällen eher verlängert. Außerdem entsteht mehr Tumult. Der Krach nimmt durch die Störung zu.

Manche Kommunen setzen auf Uhu-Attrappen. Kann man die Krähen damit auf Abstand halten?

Das ist völlig untauglich. Ich eröffne meine Vorträge gern mit einem Foto, das ein Kollege geschossen hat. Es zeigt eine Uhu-Attrappe, auf der ein Saatkrähennest gebaut worden ist. Eine wunderbare Nisthilfe.

Eine weitere Methode: Man passt den Baumschnitt so an, dass der Nestbau der Krähen schwieriger wird. Was halten Sie davon?

Da entsteht natürlich die Frage, in was für einer Umgebung wir leben wollen. Finden wir das wirklich schön? Gerade der Amtsgerichtsgarten in Otterndorf ist so ein schöner Ort. Ich kann mir nicht vorstellen, dass dieser Zauber erhalten bliebe, wenn man da rumschneidet. Es gibt aber auch noch eine fachliche Antwort: Das Beschneiden funktioniert vielleicht in Jahr eins, wenn man die Astgabeln wegnimmt, die die Krähen brauchen. Aber die nachwachsenden Zweige eignen sich umso besser für den Nestbau. Man müsste diese Maßnahme also anhaltend jedes Jahr durchführen. Das sorgt für immense Kosten.

Neueste Methode, die von Kommunen eingesetzt wird, ist die Künstliche Intelligenz. Registriert das System eine größere "Krähenaktivität", kommen Krähen-Schreck- und Warnrufe aus den Lautsprechern. Wäre diese Methode etwas für Otterndorf?

Das mag am Anfang effektiv sein, weil die Krähen soziale Wesen sind. Wenn jemand "Achtung" ruft, würden Sie auch aufschrecken. Allerdings: Weil die Krähen sehr intelligente Tiere sind, erkennen sie den Trick schnell und ignorieren die Rufe irgendwann.

Was halten Sie von dem Gedanken, Krähen nicht als Plagegeister, sondern als Chance zu sehen. Manche Kommunen haben die Krähen als eine Möglichkeit entdeckt, Naturbeobachtung in der Stadt möglich zu machen und haben das in ihre Tourismuskonzepte eingebaut. Sollte die Stadt Otterndorf einen ähnlichen Weg einschlagen?

Es kommt darauf an, was man möchte. Es ist relativ leicht, Begeisterung zu wecken für jede Art von Tier. Wenn man das richtig aufzieht und ein bisschen kreativ ist, lässt sich da sicherlich einiges machen. Man könnte mit Vereinen und lokalen Künstlern zusammenarbeiten. Ein Beispiel: Man kann Bänke auch überdachen. Da sehe ich gerade in Otterndorf viele Möglichkeiten. Natürlich sind diese Dinge nicht zum Nulltarif zu haben. Aber wenn man schaut, wie viel Geld bereits in Vergrämungsmaßnahmen geflossen ist, die nichts bewirkt haben, ist das eine Abwägung, die man treffen kann und die auch immer mehr Kommunen treffen. Selbst das beste Konzept der Welt wird es allerdings nicht schaffen, dass alle sagen: "Ach wie schön, dass die Krähen hier sind." Es besteht aber durchaus die Chance, die Not zur Tugend zu machen.

Unaufhörliches Krächzen und gewaltige Mengen Vogelkot: Die Saatkrähen-Kolonie im Otterndorfer Amtsgerichtspark wächst und wächst. Foto: Mangels
Die Otterndorfer Saatkrähen verschmutzen nicht nur die Autos, sondern auch die Kunstwerke im Amtsgerichtspark. Foto: Mangels

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Christian Mangels

Redakteur
Cuxhavener Nachrichten/Niederelbe-Zeitung

cmangels@no-spamcuxonline.de

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