Otterndorf feiert die Vielfalt: So verlief die 24. Nacht der Kultur
Kunst und Kultur machen Spaß. Das ist das Fazit der 24. Nacht der Kultur in Otterndorf. Eine beeindruckende Vielzahl an Einrichtungen und Initiativen beteiligte sich Freitagabend am guten Gelingen. In Otterndorf waren viele Nachtschwärmer unterwegs.







Eine Kleinstadt in dieser Größe mit einer derartigen Vielfalt in Breite und Tiefe an kulturellen Einrichtungen dürfte schwerlich ein zweites Mal zu finden sein. Und die Otterndorfer sind sehr stolz darauf und mögen es offensichtlich, ihre Türe zu öffnen und ihre Glanzstücke zu präsentieren. Das findet Anklang, so wie Freitag bei der sehr gut besuchten langen Nacht der Kultur. In Otterndorf ist Kultur eben kein unscheinbarer Beutel. Vielmehr kommt sie hier in der Gestalt eines wertigen Überseekoffers daher.
Museen und Kulturinitiativen machten an diesem Abend gemeinsame Sache und boten dabei eine facettenreiche Vielgestalt. Jeder besann sich auf seine individuelle Stärke und setzte auf Eigenart. In der Altstadt waren zahlreiche Nachtschwärmer auf Tour und bummelten von einem Haus zum nächsten.
Für ein hörbares Programm sorgten zahlreiche Auftritte vom A-cappella-Chor Taktlos über die Kantorei sowie dem Pop- und Gospelchor The Cheerful, der einen glanzvollen ersten Auftritt nach der Corona-Pause hinlegte. Den gesamten Abend und alle Angebote und Präsentationen zu rekapitulieren würde diesen Rahmen sprengen, daher nur einige Eindrücke einer insgesamt gelungenen Veranstaltung.
Das Voß-Museum im Johann-Heinrich Voß-Haus realisierte gemeinsam mit dem Gymnasium Otterndorf ein charmantes Projekt. Die drei Schüler Ermia Saidfan (16) Bahusivam Krishnamohan (14) und Malia Grabner (15) lasen Textpassagen von Johann-Heinrich und seiner Ehefrau Ernestine vor, die Ende des 18. Jahrhunderts aus ihrer Feder in diesem Gebäude an der Medem entstanden waren. Der Rektor der Lateinschule und Übersetzer der Odyssee lebte damals darin mit seiner Familie. Die Zehntklässler ließen diese Zeit aufleben. So erfuhren die Zuhörer auch allerlei Lokalkolorit aus dem Alltag längst verflossener Zeit, etwa, dass die Hadler Marschbauern Klöße so groß wie Kindsköpfe oder 20 Eier zu Ostern verspeisten oder Krankheiten wie Marschenfieber und Blattern grassierten. Bei letzterer hatte Johann-Heinrich Voß erheblichen Anteil daran, den Arzt dazu zu bewegen, Impfungen vorzunehmen, war zu erfahren. Hans-Volker Feldmann und Dr. Kerstin Gräfin von Schwerin dankten den beiden Schülern und der Schülerin im Namen der Voß-Gesellschaft. Sie hätten dazu beigetragen, das Andenken an Voß lebendig zu halten.
Im Kranichhaus gab es nicht nur die Schätze aus Bürgertum und Kaufmannschaft zu bewundern. Die Kranichhaus-Gesellschaft hatte erneut Jan Beckebrede vom Kehdinger Geschichtskontor zu historischen Darbietungen bewegen können. Diesmal stand das Pergament, der aus Tierhaus gewonnene Schreibuntergrund, im Fokus, und Besucher konnten sogar selbst zu Federkiel und Tinte greifen. Darüber hinaus bot sich Mitarbeiter Olaf Rennebeck erneut an, Schätze und Fundstücke aus heimischen Schatullen, Schränken und Speichern zu begutachten. Diesmal konnte er einer Dame helfen, die mit altem Familienschmuck ins Kreisarchiv gekommen war. Rennebeck fand heraus, dass diese Preziosen aus der k.u.k.-Zeit stammen und in Wien entstanden waren. Darüber hinaus nahm er großes Interesse seitens der Besucherinnen und Besucher am Kreisarchiv wahr und musste viele Fragen dazu beantworten.
Der Verein Mahlwerk zeigte nicht nur mit einer Mitmachaktion für Groß und Klein auf dem Bürgersteig auf der Marktstraße Präsenz, dabei konnten Interessierte bei Jean Grandtke und Tobias Linne aus Holzstempeln Bilder mit Altstadtmotiven herstellen. In den Mahlwerk-Räume bei Eibsen widmete sich das Mahlwerk-Team dem unvergessenen Otterndorfer Tausendsassa Emil Ball und seinen zeichnerischen Otterndorf-Motiven. Sogar die Glasfenster des Raumes stammen von ihm. Der weit gereiste Mann war lange Kunstlehrer an der Realschule. An diesen Menschenfreund erinnert sich auch Bürgermeister Claus Johannßen, der sein Schüler war, ausgesprochen gern.
Porzellanmaler in Meißen
Seine Ausbildung bekam der 1907 geborene Emil Ball an verschiedenen Institutionen. Zunächst in Stade, dann in München, später an der damaligen Hansischen Hochschule für Bildende Künste in Hamburg. Eine seiner ersten beruflichen Stationen war die Meißener Porzellanmanufaktur, für die er Dekors entworfen hat, vorwiegend Blumenmotive. Nach dem Zweiten Weltkrieg kehrte Emil Ball in seine Heimatstadt zurück. Er war zuvor aus russischer Gefangenschaft geflohen. In seiner Heimat Otterndorf baute sich eine neue Existenz auf. Er wurde Kunsterzieher an der Johann-Heinrich-Voß-Schule, der er bis zu seiner Pensionierung 1977 treu blieb. Und er blieb als Maler, Zeichner und Grafiker tätig. Emil Ball starb mit 100 Jahren 2008.
Den Museumsraum in Szene gesetzt
Ein anderer Künstler selben Vornamens stand im Fokus des Museums gegenstandsfreier Kunst (MGK). Museumsleiter Wilko Austermann trat in den Dialog mit dem jungen Düsseldorfer Künstler Emil Walde, der sich mit Architektur und Räumen beschäftigt und damit arbeitet. So hat er im und für das MGK aus Lagergitterboxen, die er verkehrt herum an die Decke schraubte, eine nahezu raumgreifende Arbeit geschaffen, in der er Arbeiten aus dem Museumsdepot in Szene setzt. Diese speziell für diesen Ort entstandene Installation ist Teil der Sonderausstellung zum 50-jährigen Bestehen des Museums gegenstandsfreier Kunst in Otterndorf und beschäftigt sich mit der Geschichte der Einrichtung. Ihm ging es darum, Schwerpunkte verschiedener Zeiten aus der Museumssammlung neu zu zeigen und so Dialoge und Beziehungen zu erzeugen sowie Unterschiede aufzuzeigen, sagte Emil Walde. Fast alle eingelagerten Arbeiten aus der Sammlung habe er sich dazu angesehen, verriet der Künstler, "und dann habe ich relativ intuitiv entscheiden, welche ich für diese Arbeit nehme".