Stauffenberg in Otterndorf: "Geschichte darf sich nicht wiederholen"
Das war ein eindrucksvoller Vormittag für die Jugendlichen am Otterndorfer Schulzentrum: Karl Graf Stauffenberg erinnerte an seinen Großvater, der ein Attentat auf den "Führer" Adolf Hitler verübt hatte. Eine Tat, die auch aktuell bedeutsam ist.
Von Egbert Schröder
Otterndor. Claus Schenk Graf von Stauffenberg: Mit einigen Mitstreitern hatte er am 20. Juli 1944 vergeblich versucht, den damaligen "Führer" Adolf Hitler zu töten. Das Attentat misslang. Stauffenberg und seine Verbündeten wurden nur einen Tag später im Berliner Bendlerblock von Nazi-Schergen hingerichtet. Welche Lehren können Jugendliche heute aus diesem historischen Ereignis ziehen? Gibt es Parallelen zur Machtergreifung der Nazis und dem Erstarken rechts- und linksextremer Tendenzen in Deutschland und Europa? Und wenn ja - welche? Karl Graf Stauffenberg ist der Enkel des Attentäters und warnte am Mittwoch - 80 Jahre nach Kriegsende - bei einem Vortrag im Otterndorfer Schulzentrum vor Gedankengut, das in die Irre führe.
Karl Graf Stauffenberg bezeichnet sich selbst als "politisch und gesellschaftlich engagierten Menschen", der sich mit den "Grundlagen einer freiheitlichen und verantwortungsvollen Gesellschaft" auseinandersetzt. Demokratie, Freiheit und Verantwortung seien Errungenschaften, die nicht nur gelebt, sondern auch vermittelt werden müssten.
"Demokratie lebt vom Mitmachen"
Er habe in den letzten Jahren mit Sorge beobachtet, wie sich die politische Kultur verändere und "populistische Stimmen" gerade durch soziale Medien eine immer größere Bühne erhalten würden. "Ich bin überzeugt: Nur wer versteht, wie Demokratie funktioniert, kann sie auch mitgestalten. Und genau dazu möchte ich ermutigen - mit klarer Haltung, offenem Dialog und Blick nach vorn." Verantwortung beginne bei jedem Einzelnen: "Demokratie lebt vom Mitmachen", ist er überzeugt.
Und er möchte insbesondere die Jüngeren überzeugen, sich selbst für diese Demokratie zu engagieren und sie nicht als Selbstverständlichkeit wahrzunehmen. Es sei ein "historisches Privileg", dass man in Deutschland seine Meinung frei äußern könne: "Ihr dürft sagen, was ihr wollt", so Stauffenberg. Wer das bestreite, solle sich einmal mit der Situation in anderen Ländern wie Russland oder dem Iran näher beschäftigen.
Großvater nicht glorifiziert
Bei seinem Auftritt vor den Schülerinnen und Schülern in Otterndorf glorifizierte er seinen Großvater nicht. Vielfach sei seinem Opa nach dem missglückten Attentat auf Hitler in öffentlichen Diskussionen vorgeworfen worden, nicht eher agiert zu haben.
Schwere Verletzungen
Doch der Berufsoffizier sei 1944 überhaupt in die Lage versetzt worden, als Widerständler einen solchen Anschlag auf den Führer ausüben zu können. Erst nach schweren Verletzungen während diverser Fronteinsätze - Claus Schenk Graf von Stauffenberg verlor dabei seine rechte Hand, mehrere Finger der linken Hand und auch das komplette Sehvermögen des linken Auges - wurde er nach seiner Genesung in Berlin eingesetzt, wo er Chef des Stabes des sogenannten "Ersatzheeres" war und dadurch in die Nähe Adolf Hitlers kam. Er erhielt den Zugang zu den Lagebesprechungen in den Führerhauptquartieren. So auch am 20. Juli 1944 in der "Wolfsschanze". Stauffenberg hatte zwei Sprengsätze in einer Aktentasche; einer wurde gezündet. Der andere explodierte nicht. Hitler überlebte. Stauffenberg und seine Mitverschwörer wurden noch in der Nacht hingerichtet.
Soweit die Ereignisse im Juli 1944. Am Mittwoch nahm sein Enkel Karl Graf Stauffenberg eine persönliche Einordnung des Attentats vor und verwies darauf, dass viele Umstände, die die Machtergreifung Hitlers überhaupt erst ermöglicht hatten, leider Parallelen zu aktuellen Tendenzen aufwiesen.
Nur ein Beispiel: die Propaganda. Während heute über soziale Medien "Fakenews" verbreitet würden, habe es während der Nazi-Zeit eine Beeinflussung der Bevölkerung durch den "Volksempfänger" oder die "Wochenschau" gegeben.
Diffuse Ängste bei Bürgern
Auch die latente Migrationsdebatte in Deutschland und Europa könne man nicht einfach vom Tisch wischen. Es sei bedenklich, wenn Deutsche glauben, dass ohne die Zuwanderung unser System noch funktionieren würde. Hinzu komme die Angst vieler Bürgerinnen und Bürgerinnen - ähnlich wie in der Weimarer Republik - vor einer Verarmung. Damals habe es vor der Machtergreifung Hitlers eine jahrelange Rezession gegeben. Hinzu seien die Furcht vor der "Spanischen Grippe" - ähnlich wie die Corona-Pandemie - und auch die beruflichen Zukunftsängste sowie die Energiekrise gekommen. Karl Graf Stauffenbergs eindrückliche Warnung: "Geschichte darf sich nicht wiederholen."
Als er seinen Vortrag beendete, brandete Beifall bei den Jugendlichen auf, die er immer wieder in die Diskussion einbezog. Einen besseren Zeitpunkt für eine solche Veranstaltung (80 Jahre nach Kriegsende) hätten die Schulen wohl kaum wählen können ...
