Ein Mädchen versucht sich vor der Gewalt zu schützen (gestellte Szene). Symbolfoto: dpa/Gambarini
Ein Mädchen versucht sich vor der Gewalt zu schützen (gestellte Szene). Symbolfoto: dpa/Gambarini
Nach Prügelei an Cuxhavener Schule

Mädchengewalt: Psychologin aus dem Kreis Cuxhaven sagt, worauf Eltern achten sollten

von Wiebke Kramp | 31.01.2023

An der Oberschule in Cadenberge kam es zu einer Prügelei - gestartet von wenigen Mädchen - und dann artete die Situation aus. Aber ist "Mädchengewalt" ein neues Phänomen und worauf sollten Eltern achten? Eine Psychologin klärt auf.

Nanke Grein ist psychologische Psycho- sowie Verhaltenstherapeutin am Zentrum für Sozialpsychiatrie und Nervenheilkunde am Ostebogen in Hemmoor. Im Gespräch mit Wiebke Kramp beleuchtet sie den Themenkomplex Gewalt - besonders ausgehend von Mädchen. Und sie erläutert, worauf Erwachsene besonders achten sollten.

Gewalt scheint bei Teenagern eine neue "Qualität" zu erreichen - und dann auch noch ausgehend von Mädchen. Ist das ein neues Phänomen?
Eigentlich ist das Phänomen "Mädchengewalt" nicht neu. Bereits Anfang der 2000er wurde eine Zunahme der Gewalt durch "Mädchen" festgestellt und so auch schon damals in vielen Medien die Frage nach den Gründen hierfür gestellt. In Studien konnte zu der Tatsache an sich sowie zu den möglichen Gründen allerdings kein eindeutiges Ergebnis gezeigt werden. Dieses liegt insbesondere an dem Unterschied zwischen dem sogenannten "Hellfeld" und dem "Dunkelfeld". In der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) zeigen sich lediglich die Daten aus dem "Hellfeld". Inwieweit die Gewalt durch Mädchen oder die Straftaten der Jugendlichen insgesamt nun zunimmt, kann ich daher nicht abschließend sagen. Bekannt ist allerdings, dass bei gewaltbereiten Mädchen die Zugehörigkeit zu einer Gruppe mit gewaltorientierten Normen eine große Rolle spielt. So üben Mädchen physische wie auch psychische Gewalt eher in Gruppen als allein aus.

Insbesondere die psychische Gewalt könnte zudem auch durch die vermehrte Nutzung von Sozialen Medien weiter zunehmen. Hierdurch könnte sich die Cliquenbildung, die insbesondere bei der Mädchengewalt eine Rolle spielt, schneller entwickeln. Der schnelle und oft kaum sanktionierte Austausch über digitale Plattformen könnte gerade bei Jugendlichen die "emotionalen Gemüter" schnell (gemeinschaftlich) erhitzen.

Gibt es Signale, auf die Eltern oder Lehrer schon im Vorfeld achten sollten oder können? Gehen körperlichen Gewalttaten möglicherweise verbale Entgleisungen aus oder gibt es andere Warnzeichen, bei denen man gerade bei Teenagern hellhörig werden sollte?
Bekannt ist, dass tatsächlich ausgeübten physischen Gewalttaten meist längere, verbale Streitereien und ein gegenseitiges Aufwiegeln vorausgehen. Seltener wird körperliche Gewalt "spontan" ausgeübt. Bereits bei Anzeichen verbaler Gewalt sowie wiederholt aggressive feindliche Äußerungen gegenüber anderen Personen sollten die Erwachsenen - Eltern wie Lehrer - hellhörig werden. Insbesondere, wenn sich mehrere Jugendliche gemeinschaftlich gegen andere aggressiv verbünden, sollte das Gespräch mit allen schnell gesucht werden. Das Problem im schulischen Umfeld scheint hierbei leider unter anderem der aktuelle Lehrermangel zu sein. Lehrkräfte haben zum Teil keine Kapazitäten mehr, auch erzieherisch einzuwirken. Das Vermitteln des reinen Lernstoffs stellt oftmals an vielen Schulen bereits eine ausreichend große Herausforderung dar.

Gibt es Empfehlungen, um helfend einzuschreiten?
Neben rechtzeitigen Gesprächen mit den Jugendlichen ist generell bei der Entwicklung von Kindern und Jugendlichen der Umgang mit den eigenen Emotionen und damit eine angemessene Beziehungsgestaltung entscheidend. Genau hier liegt aber die größte Schwierigkeit bei allen Menschen. Das angemessene und rechtzeitige Wahrnehmen eigener emotionaler Zustände und ein daraus folgendes angemessenes Sozialverhalten stellt sich als sehr komplex dar. Ratsam ist daher, in Familien ein offenes Gesprächsklima zu leben, in dem die Kinder auch den angemessenen Umgang mit negativen Emotionen wie Ärger und Angst angemessen lernen können. Hierauf kann von außen aber nicht unmittelbar Einfluss genommen werden. Im schulischen Umfeld könnte da eine Art "Streetworker" sinnvoll sein. Dieses müssten keine Fachkräfte sein, sondern könnten externe, in Deeskalation und in Problemlösetraining geschulte Mitarbeiter sein, die ausreichende Kapazitäten für Gespräche mit den Schülern anbieten könnten. Auch eine Unterstützung und Beratung der Lehrkräfte wäre regelmäßig sinnvoll. Nicht zuletzt, da viele Lehrkräfte durch die zunehmende Überforderung an den Schulen selbst erkranken, und so sich das gesamte Problem weiter verschlimmern könnte.

Spielt auch die allgemeine Tendenz einer zunehmenden Verrohung unserer Gesellschaft dabei eine Rolle? Haben Corona-Zeit und Lockdowns insbesondere bei Teenagern derart Spuren hinterlassen, dass sie eventuell zunehmend Schwierigkeiten haben, Konflikte untereinander in angemessener Weise auszutragen?
Davon gehe ich allgemein nicht aus. Eher könnte eine zunehmende Hilflosigkeit und Verunsicherung eine Rolle für ein zunehmend auffallendes Verhalten bei Kindern und Jugendlichen spielen. Die Corona-Zeit hat wahrscheinlich bei den Jugendlichen und Kindern indirekt einen negativen Einfluss genommen: Nicht direkt das Fehlen sozialer Kontakte ist meiner Meinung nach das Problem gewesen, da die Kinder ja im familiären Umfeld durchgehend Sozialkontakte hatten - Geschwister, Eltern, verringert auch Freunde. Die Unsicherheit und Sorgen der Erwachsenen könnten sich aber negativ auf die Kinder ausgewirkt haben. Ebenso weitere hinzugekommene gesellschaftliche Probleme wie der direkt gefolgte Krieg in der Ukraine oder die zunehmende Inflation könnten zu einer stärker gewordenen Verunsicherung in der gesamten Bevölkerung geführt haben. Kinder und Jugendliche sind sehr sensibel bezüglich emotionaler Veränderungen in ihrem Umfeld. Je nach Naturell reagieren einige Kinder daraufhin mit Angst und depressiver Symptomatik, andere wiederum eher mit zunehmend provokanten, aggressiven Verhalten.

Ich würde daher sagen, dass es durchaus Hinweise für eine Zunahme an Auffälligkeiten bei Kindern und Jugendlichen im Allgemeinen gibt. Diese sind wahrscheinlich eher eine Folge der Probleme der Erwachsene beziehungsweise der Gesellschaft: Das zunehmende Fehlen an klaren Strukturen, zum Beispiel in der Schule durch fehlende und überforderte Lehrkräfte, Überforderung und Sorgen in den Familien, gepaart mit der digitalen Welt, in der die Hemmschwelle oft sehr niedrig für negative Äußerungen liegt, könnten durchaus zu einem realen Anstieg an aggressiven Verhalten bei Jugendlichen führen, noch viel mehr aber zu einen Anstieg an psychischen Auffälligkeiten wie Ängste, Depression, Zwänge oder Essstörungen. 

Der Hintergrund:

Ein schwelender Konflikt zwischen älteren Mädchen ist Mitte Januar derart eskaliert, dass es an der Oberschule Cadenberge zu einer gewalttätigen Auseinandersetzung kam. Selbst vier eingeschrittene Aufsichtskräfte konnten diese nicht stoppen. Es gab sogar Verletzte. Die Polizei ermittelt nun wegen gefährlicher Körperverletzung. Hier gehts zum Artikel.

Wie hat Ihnen der Artikel gefallen?

(1 Stern: Nicht gut | 5 Sterne: Sehr gut)

Feedback senden

CNV-Nachrichten-Newsletter

Hier können Sie sich für unseren CNV-Newsletter mit den aktuellen und wichtigsten Nachrichten aus der Stadt und dem Landkreis Cuxhaven anmelden.

Die wichtigsten Meldungen aktuell


Bild von Wiebke Kramp
Wiebke Kramp

Redakteurin
Cuxhavener Nachrichten/Niederelbe-Zeitung

wkramp@no-spamcuxonline.de

Lesen Sie auch...
Vielfalt ist groß

Offene Atelier-Türen im Kreis Cuxhaven: Kreative Köpfe zeigen, wie Kunst entsteht

von Christian Mangels

Die Vielfalt der Kunst - im Kreis Cuxhaven ist sie besonders ausgeprägt. Rund 100 Künstlerinnen und Künstler, Ateliergemeinschaften und Malgruppen öffneten am Sonntag zum "Tag des offenen Ateliers" ihre Arbeits- und Ausstellungsräume.

"Nur gemeinsam gegen Gewalt"

"Smartmob" beim Buttfest in Cuxhaven: Gemeinsam gegen häusliche Gewalt

von Tim Larschow

Mitten im bunten Treiben des Buttfestes in der Cuxhavener Innenstadt erlebten die Besucher am Sonnabend um 14.30 Uhr eine besondere und zugleich eindringliche Aktion: Ein sogenannter "Smartmob" machte auf das Thema häusliche Gewalt aufmerksam.