Nach der Tat am Bahnhof in Stade durchsuchten Spezialkräfte ein Haus in der Stadt. Foto: Vasel
Nach der Tat am Bahnhof in Stade durchsuchten Spezialkräfte ein Haus in der Stadt. Foto: Vasel
Prozess

Toter am Stader Bahnhof: Nebenanklage spricht von Todesangst vor der Tat

03.11.2025

Im Prozess um den tödlichen Angriff am Stader Bahnhof im Januar 2024 verschärft die Nebenklage ihren Ton: Mehmet S. soll schon vor der Tat in Todesangst gewesen sein. Kann ein Taxifahrer diese Drohungen bestätigen?

Vor dem Stader Landgericht müssen sich seit August 2025 fünf Männer vor der 3. Großen Strafkammer für den Tod von Mehmet S. verantworten. Der Hamburger war am 21. Januar 2024 am Bahnhof in Stade vor dem Parkhaus angegriffen und mit Faustschlägen und Fußtritten lebensgefährlich verletzt worden. Einen Tag später verstarb der 44-Jährige im Elbe Klinikum in Stade. Wollten die Angeklagten ihn auch töten?

Ein Überwachungsvideo zeigt, dass zwei von ihnen nach der Tat noch einmal zum Tatort gelaufen waren und Ersthelfer fragten, ob ein Rettungswagen alarmiert worden sei. Die Videos aus den Überwachungskameras der Bahn und einer Spielhalle zeigen allerdings auch, dass sie gezielt über ihr Opfer hergefallen sind und Minuten nach dem Angriff an Gleis 2 flachsend zusammenstanden.

Nebenklage: Opfer fürchtete vor seinem Tod um sein Leben

Der Bruder des Toten tritt als Nebenkläger auf. Für ihn ist klar: Familie K. wollte Mehmet S. aus Rache töten. Familie K. sei nämlich fälschlicherweise überzeugt, dass Mehmet S. seinerzeit nicht aus reiner Notwehr gehandelt habe, sondern Yunus K. am 23. November 2023 am Bahnhof Horneburg gezielt mit dem Messer verletzt habe.

Die Vorgeschichte sei "zentral" für die Tat am Stader Bahnhof. Deshalb hat das Nebenkläger-Anwaltsteam Dr. Christine Yüksel und Rasul Özpek beantragt, einen weiteren Zeugen zu hören. Ein Taxifahrer, zugleich der Cousin des Opfers und des Nebenklägers, könne bezeugen, dass Mehmet S. in den Tagen vor seinem Tod "unter Todesangst" litt.

Beamte der Stader Mordkommission sowie Bereitschaftskräfte aus Lüneburg durchkämmten die Gleise am Güterbahnhof. Foto: Polizei

Das spätere Opfer habe sich seine Kapuze bei ihrer Begegnung tief in das Gesicht gezogen, um nicht entdeckt zu werden. Mehmet S. habe seinem Cousin am 9. Januar 2024 an einem Taxistand in Hamburg von den Drohungen berichtet. "Du bist tot", habe es aus den Reihen der Familie K. geheißen. Außerdem habe Mehmet S. dem Verwandten gesagt, dass er mit seinem Arbeitsmesser auf Yunus K. am Bahnhof Horneburg lediglich "aus Notwehr" eingestochen habe. Yunus K. sei plötzlich aggressiv geworden und habe ihn auf den Boden geworfen.

Paralleljustiz: Friedensrichter hält Hof in Altländer Imbiss

Die Rache-These hatten in den vergangenen Prozesstagen weitere Zeugen zu untermauern versucht. Die Familienoberhäupter der beiden Großfamilien hätten Frieden gewollt, "Streit und Blut würden keine Zukunft bringen". Doch die Angeklagten Isa K. und Yunus K. hätten kein Interesse an einer gütlichen Einigung gehabt.

In Mittelnkirchen im Alten Land habe es in einem Döner-Laden beziehungsweise im Hinterhof ein Vermittlungsgespräch bei einem Tee gegeben. "Diese Vermittler sind in unserer Kultur üblich", hieß es. Auch das Wort Blutrache fällt. Auf Nachfrage des Vorsitzenden Richters Marc-Sebastian Hase und der Anwälte blieben auch dieser Zeuge und weitere vage, Namen gab es nicht.

Die Polizei sichert den Prozess ab. An einigen Tagen im Hintergrund, an anderen Tagen ganz offen. Foto: Vasel

Ob Familie S. von der Familie K. 450.000 Euro "als Schadenersatz für den Tod" von Mehmet S. gefordert hatte oder tatsächlich vereinbart wurde, dass Familie K. nach der Messerattacke auf Yunus K. Mehmet S. eine Abreibung erteilen dürfe, blieb im Prozess weiter offen. Immer wieder wird deutlich: Die Familien setzen offenbar auch auf Paralleljustiz.

Die Familie des Toten warf den Familien der Angeklagten vor, ihr Geld wie die Mafia auch mit Drogen und Geldwäsche zu verdienen. Beweise blieben sie schuldig. Mehmet S. sei ein "ruhiger" und "kein gefährlicher Mensch" gewesen.

Für Strafverteidiger Andreas Thiel gibt es keine Hinweise, dass sein Mandant Isa K. tatsächlich Mehmet S. mit dem Tod gedroht hat: "Das halte ich für gelogen." Die Zeugen seien unglaubwürdig. Dass der Taxi-Fahrer nun Licht ins Dunkle bringen könne, daran äußerten auch der Vorsitzende Richter Marc-Sebastian Hase und Staatsanwalt Johannes Oertelt ihre Zweifel. Ein Gerücht allein habe keine Beweiskraft. Der Taxi-Fahrer werde nichts zur Aufklärung beitragen, so Strafverteidigerin Gül Pinar. Die Nebenklage wolle lediglich ihre Theorie untermauern.

Der Tatort befindet sich am Parkhaus am Stader Bahnhof. Foto: Polizei Stade

Gutachter: Angeklagte sind schuldfähig

Immerhin: Beim jüngsten Prozesstag bescheinigte Rechtsmediziner und Psychiater Dr. Harald Schmidt in seinem Gutachten die Schuldfähigkeit der Angeklagten. Diese hatten sich allerdings geweigert, persönlich mit ihm zu sprechen. So musste Schmidt sich auf die Beobachtungen im Gerichtssaal und Akten stützen. Sein Eindruck: Geistig gesunde Männer, die teils über eine höhere Schuldbildung verfügen, arbeiten und in Partnerschaften leben.

Für Yunus K. seien die potenziell lebensgefährlichen Messerstiche am Horneburger Bahnhof in das Bein und den Brustkorb ein "einschneidendes Erlebnis" gewesen. Dass dadurch "gewisse Ressentiments" gegen Mehmet S. entstehen konnten, sei für ihn "nachvollziehbar". U-Haft und Verhaftung durch Spezialkräfte der Polizei würden ihre "Psyche beeinträchtigen", klagten einige der Angeklagten nach dem Gutachten.

Von Björn Vasel

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