
"Überleben auf See": Marineflieger aus Nordholz trainieren den Ernstfall (mit Video)
Wenn man nachts über die kalte Nordsee fliegt, weiß jedes Besatzungsmitglied, dass Schiff oder Flugplatz weit weg sind. Wenn es zu einem Notfall kommt, befindet man sich innerhalb weniger Sekunden im Wasser. Dann beginnt das Überleben auf See.
"Ditching - Ditching - Ditching!" Während eines realen Fluges möchte dies wohl keine Luftfahrzeugbesatzung jemals hören. Denn das bedeutet in der Regel, dass ihr Flug in wenigen Sekunden in der kalten See enden wird und der Hubschrauber oder das Flugzeug binnen weniger Sekunden samt Besatzung im Meer versinkt. In der Übungshalle auf dem Gelände der Marineoperationsschule in Bremerhaven dagegen hört man dies im Rahmen des "Überleben auf See" (ÜaS), viele Male am Tag, mehrmals in der Woche. Unter angenehmen Bedingungen bei 30°C Wasser-, 32°C Lufttemperatur und in kontrollierter Umgebung. Heute sind die Marineflieger aus Nordholz an der Reihe. Darunter auch Oberbootsmann Nora und Fregattenkapitän Daniel. Nora macht aktuell eine Ausbildung als Überwasseroperatörin auf der P-3C Orion, dem größten Kampfflugzeug der Bundeswehr, welches zur Aufklärung der Seeraumüberwachung und der U-Boot-Jagd dient. "Ich bin seit 2017 bei der Bundeswehr und seit einem Jahr in Nordholz bei der Ausbildung. Es macht mir sehr viel Spaß, gleichzeitig ist es aber auch sehr herausfordernd.
Lehrgang "Überleben auf See"
Der routinemäßig durchgeführte Lehrgang "Überleben auf See" ist für uns immer ein Highlight. Es ist interessant zu sehen wo die eigenen Grenzen liegen. Gerade das erste Mal war sehr nervenaufreibend", erzählt die junge Soldatin, die zum zweiten Mal in Bremerhaven dabei ist. Daniel ist Fregattenkapitän und seit 1996 bei der Bundeswehr. Er ist Fluglehrer auf der P-3C Orion und schon zum 25. Mal beim Lehrgang. "Körperlich ist es anstrengend aber für mich mittlerweile schon Routine", sagt der Offizier. Dann geht es für beide ins Wasser.
Realitätsnahes und sicheres Trainieren
Einmalig in der Bundeswehr ist die "Waschtrommel", der sogenannte "Modular Egress Training Simulator" (METS). Dieser Unterwasserausstiegstrainer kann an verschiedenste Cockpit- und Kabinenkonfigurationen sowie nahezu alle Notausstiege der fliegenden Waffensysteme angepasst werden und ermöglicht realitätsnahes und sicheres Trainieren. Zusammen mit sechs weiteren Lehrgangsteilnehmern geht es für Nora und Daniel damit in die Tiefe. Immer mit dabei sind die Sicherungstaucher.Bei Licht, im Dunkeln und über Kopf, alle Szenarien werden in der Halle durchgespielt. "Man hält die Luft an, dann dreht man sich. Zum Nachdenken ist nicht viel Zeit. Einfach die verinnerlichten Handgriffe abarbeiten. So können wir auch in dieser Ausnahmesituation ruhig und bedacht aus dem Luftfahrzeug kommen", beschreibt Nora das Vorgehen unter Wasser. Aber auch den besten passiert es gelegentlich, dass mal etwas nicht klappt. "Wenn es passiert, dass man nicht rauskommt, hilft nur ruhig bleiben. Im Anschluss macht man es dann gleich nochmal", ergänzt Daniel.
Natürlich nicht nur in der Schwimmhalle
Im Laufe des Tages warteten aber noch andere herausfordernde Übungen auf die Teilnehmer. Unter anderem ein Sprung ins Wasser von einer fünf Meter hohen Plattform, das Verhalten und das Notlösen während man mit einem Fallschirmschlepptrainer durch das Wasser gezogen wird und das Aufrichten von einer absichtlich falsch herum im Wasser aufgeblasenen Rettungsinsel. Aber das Überleben auf See wird natürlich nicht nur in der Schwimmhalle geübt, sondern auch draußen, mitten in der Nordsee. "Bei Wind und Wetter, bei kalten Temperaturen und Seegang. So kommt der Lehrgang der Realität möglichst nah", erzählt Oberbootsmann Nora.
Cuxhavener Schlepp- und Bergungsunternehmen
Am folgenden Tag treffen sich die Soldaten um kurz vor acht vor dem Büro der Firma Wulf auf der Hafenkaje in Cuxhaven zum Finale des Lehrgangs. Heute geht es mit dem Schlepper "Wulf 4" und einem Ponton des Cuxhavener Schlepp- und Bergungsunternehmens auf die Nordsee. Um kurz nach acht verlässt der Ponton bereits den Vorhafen Richtung Norderrinne. Kurz hinter der Kugelbake heißt es Umziehen: "Alle sind ein bisschen nervös, wer was anderes sagt lügt", sagt einer der Teilnehmer. Aber Angst habe niemand. Nachdem die Lehrgangsteilnehmer sich mit ihrem Gurtzeug ausgestattet haben, das sie auch im Flugdienst nutzen werden sie in einen Ring eingeklippt. Daniel ist an der Reihe
"Bail out!"
Mit dem Kommando "Bail out!" wird er über den Rand des Pontons gefahren. So als würde er unter einem Fallschirm hängen. Dann führt der Fregattenkapitän alle Handgriffe für einen reibungslosen Fallschirmsprung aus - es folgt das Zeichen zum Auslösen. Mit einem lauten Knall rauscht er in das kalte Wasser. Sofort dreht er seinen Körper in Rückenlage, hebt den Oberkörper soweit es geht aus dem Wasser, die Hände am Gurtzeug über dem Kopf, das Kinn zur Brust gedrückt, die Beine leicht gespreizt und angewinkelt - "Poposurfen" scherzt einer der Ausbilder. Dann löst Daniel das Gurtzeug, um sich vom Fallschirm zu befreien. Das ist wichtig, da der Fallschirm in einem Ernstfall von einer kräftigen Windböe erfasst werden könnte und der Flieger unkontrolliert durch das Wasser gezogen werden würde. Unterdessen sammeln die Schlauchboote jeden Teilnehmer ein und brachten sie zurück auf den Ponton. "Kein großer Unterschied zur Halle. Aber die Kälte ist ein riesen Problem. Man hat Schwierigkeiten zu atmen sobald das Gesicht das Wasser berührt", resümiert Daniel. Doch viel Zeit zum Ausruhen bleibt nicht, sofort startet die nächste Übung.
Der neue Marine-Hubschrauber "Sea Lion"
Wieder springen alle in das sechs Grad kalte Wasser. Ziel ist die Rettungsinsel. Nachdem alle in der Insel sind, wird es ruhig und das Rettungsmittel verschwindet zusammen mit den Schlauchbooten am Horizont. Eine Stunde später hört man den neuen Marine-Hubschrauber "Sea Lion", der Kurs auf die Rettungsinsel nimmt. Nacheinander werden die Soldaten aus der Rettungsinsel geborgen, diesen Vorgang nennt man Winschen, und mit dem Helikopter wieder auf den Ponton abgeseilt. Die beiden letzten Teilnehmer saßen rund 1,5 Stunden in der Rettungsinsel. "Zwischendurch ging es mir echt schlecht", erzählt Nora, die sichtlich zufrieden ist, die Insel verlassen zu haben.
"Wir sind gut"
Konitzers Fazit: "Wir konnten wirkungsvoll demonstrieren, dass die durch die Bundeswehr bereitgestellte Rettungsausrüstung unter Realbedingungen verlässlich funktioniert. Was wollen wir erreichen? Handlungssicherheit bei unseren Besatzungen. Ich denke, der Tag heute hat gezeigt: Wir sind gut."
*Zum Schutz der Soldatinnen und Soldaten wird nur der Vorname genannt. Bei berichten über Auslandseinsätze gilt diese Schutzmaßnahme schon lange.