
Schaulustige nach Unfall im Kreis Cuxhaven: Wie Gaffer Rettungseinsätze gefährden
Gaffen bei Unfällen behindert Rettungskräfte und gefährdet Menschenleben. Im Kreis Cuxhaven ergreift die Polizei Maßnahmen gegen Schaulustige, um den Einsatz zu sichern und Persönlichkeitsrechte zu schützen. Doch wieso gaffen Menschen eigentlich?
Ein schwerer Unfall ereignete sich am Montagmittag in Langen im Kreis Cuxhaven, als eine Autofahrerin von der Straße abkam und sich mit ihrem Fahrzeug überschlug. Laut der Polizei versammelten sich um den Unfallort zahlreiche Schaulustige - ein bedenkliches Phänomen.
Stephan Hertz, Pressesprecher der Polizeiinspektion Cuxhaven, kennt das Problem nur zu gut: "Gerade bei größeren Geschehen mit großer Außenwirkung, wie schweren Unfällen oder Bränden, kommt es schnell dazu, dass sich Schaulustige am Einsatzort versammeln." Dabei ist Gaffen nicht nur ein moralisches, sondern auch ein handfestes Sicherheitsproblem. "Im schlimmsten Fall werden Rettungskräfte behindert, sodass diese nicht oder nur verzögert am Einsatzort agieren können. Hier geht es dann ganz klar um Menschenleben!"
Schaulustige müssen mit rechtlichen Konsequenzen rechnen
Auch die Persönlichkeitsrechte der Opfer und Beteiligten seien in Gefahr. "Niemand möchte, dass sich andere - meist völlig fremde - Personen aus Neugier am eigenen Leid oder Schaden 'ergötzen'", so Hertz. Dennoch komme es immer wieder vor, dass Gaffer Videos von Einsatzsituationen und auch von den Opfern anfertigen und weiterverbreiten. In diesen Fällen kann die Polizei unter anderem das Handy direkt vor Ort sicherstellen.
Zu den weiteren möglichen Maßnahmen gehören Platzverweise, wenn Einsatzkräfte behindert werden. Sollte diesen nicht nachgekommen werden, drohe eine Ingewahrsamnahme. Wer Einsatzkräfte behindert, macht sich wegen unterlassener Hilfeleistung strafbar. Auch eine Ordnungswidrigkeit kann in Betracht kommen, wenn sich Personen trotz mehrmaliger Aufforderung nicht aus einer öffentlichen Ansammlung entfernen.
Da die Fälle nicht statistisch erfasst werden, kann die Polizeiinspektion Cuxhaven keine Angaben darüber machen, wie oft in den vergangenen drei Jahren entsprechende Maßnahmen ergriffen wurden.
Hinsehen ist nicht gleich Gaffen
Doch wo liegt die Grenze zwischen natürlicher Neugier und moralisch fragwürdigem Verhalten? Eine klare Definition gibt es nicht, betont die Polizei. "Das reine Hinsehen, zum Beispiel im Vorbeigehen oder -fahren, ist in Ordnung und liegt auch in der Natur des Menschen", sagt Hertz.
Doch wer ohne plausiblen Grund am Einsatzort verweilt oder gar beginnt, zu filmen, überschreitet eine Grenze. Um Gaffern entgegenzuwirken, sperren Polizei und Feuerwehr Einsatzorte weiträumig ab, zumindest so weit, wie es die jeweiligen, örtlichen Gegebenheiten zuließen.
Wenn ein sinnvoller Reflex zur Sensationslust wird
Das Magazin Quarks des Westdeutschen Rundfunks erklärt in einem Beitrag, warum Menschen gaffen. Demnach sei Neugier ein wesentlicher Bestandteil des menschlichen Lernens und in einigen Fällen überlebenswichtig. In außergewöhnlichen Ereignissen verarbeite das Gehirn instinktiv die Situation in Sekundenbruchteilen, um festzustellen, ob Gefahr droht.
Besonders im Straßenverkehr führe dies dazu, dass Menschen als evolutionsbedingte soziale Wesen abrupt abbremsen und hinschauen - auch, um sich zu vergewissern, ob jemand verletzt ist und Hilfe benötigt. Doch aus diesem sinnvollen Reflex wird oft bloße Sensationslust. Laut Psychologe Michael Thiel passiert dies genau in dem Moment, in dem jemand nicht mehr fragt, ob er helfen kann, sondern entscheidet, noch länger zu bleiben, um das Geschehen zu beobachten.