
Mann nach Überfall auf Cuxhavener Tabakladen zu fünfeinhalb Jahren Haft verurteilt
Das Landgericht Stade verurteilte einen 25-Jährigen aus Cuxhaven zu fünf Jahren und sechs Monaten Haft. Er hatte vor etwa einem halben Jahr einen Tabakladen in Cuxhaven überfallen und dabei eine Angestellte mit einem Messer bedroht.
Von Silvia Dammer
Kein Geld für Drogen und Babywindeln: Im März dieses Jahres wollte der 25-Jährige das Problem mit einem Überfall auf einen Tabakladen lösen. Er hatte ein Messer dabei und sich mit Coronamaske und Kapuze unkenntlich maskiert. Seinerzeit hatten ihn die couragierte Angestellte und andere Cuxhavener daran gehindert, auch nur einen Cent zu ergaunern und sich aus dem Staub zu machen, bevor die Polizei ihn festnehmen konnte. (wir berichteten). Jetzt verurteilte ihn die 2. Große Strafkammer am Landgericht Stade wegen schwerer räuberischer Erpressung und Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten.
Höheres Strafmaß als von der Staatsanwaltschaft gefordert
Damit entschied sich die Kammer unter dem Vorsitzenden Richter am Landgericht Appelkamp für ein höheres Strafmaß als Staatsanwalt Luer gefordert hatte und Verteidiger Rechtsanwalt Andreas Meyn (Cuxhaven) es als tat- und schuldgerecht erachtete. Was die schwere räuberische Erpressung betrifft, waren sich alle Parteien einig: Das Messer als Mittel, die Angestellte und später Geschädigte zur Herausgabe des Geldes zu bewegen, erfüllt den Straftatbestand. Bei den unterschiedlichen Phasen der Tat wichen die Würdigungen von Staatsanwalt und Verteidiger teilweise erheblich voneinander ab.
Angestellte wurde auch am Arm veletzt
Für Staatsanwalt Luer ging auch die Verletzung der Angestellten, ein Hämatom am Arm, auf das Konto des Angeklagten. Sie hatte es sich zugezogen, als sie ihren Arm wie einen Riegel zwischen Türgriff und Türrahmen geklemmt hatte, damit S. drinnen im Laden die Tür nicht öffnen und fliehen konnte. Für den Staatsanwalt hat auch die Beweisführung in der Verhandlung nicht ergeben, dass er von selbst seinen räuberischen Plan aufgegeben hätte. "Die Flucht aus dem Geschäft war kein Rückzug von der Tat, sondern eine Flucht nach dem Scheitern." Der Staatsanwalt erachtete den Angeklagten als voll schuldfähig, auch wenn er an dem Tag unter Einfluss von Cannabis stand. Ebenfalls sah er keinen Anlass, einen minderschweren Fall anzunehmen. Das Messer sei geeignet gewesen, jemanden zu verletzen. Und nicht zuletzt leide die Angestellte bis heute unter schweren postraumatischen Belastungsstörungen.
Von der Nötigung war der Angeklagte nach Ansicht der Staatsanwaltschaft freizusprechen, weil auch die Beweisaufnahme keine Bedrohung der Zeugin nachweisen konnte, die ihn auf dem Parkplatz festgehalten hatte. Dass sich der Angeklagte später bei der Festnahme durch die Polizei gewehrt hat, auch gegen nachweisliche Schläge eines der Vollstreckungsbeamten, werteten der Staatsanwalt sowie später die Kammer als Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte. Angeklagt war Angriff auf Vollstreckungsbeamte.
Keine Einweisung in eine Entzugsanstalt
Bei den Überlegungen, ob die Einweisung in eine Entzugsanstalt angebracht ist, kam Staatsanwalt Luer zur Überzeugung, dass dies zu keinem Ergebnis führen würde, weil Anlass der Tat nicht der Suchtdruck gewesen sei, sondern die Persönlichkeit des Angeklagten, der nicht bereit sei, eigene Anstrengung zu unternehmen, um seine Lebenssituation zu ändern und die Schuld immer bei anderen suche. Der Gutachter hatte bei dem 25-Jährigen im Verfahren eine dissoziale Persönlichkeitsstörung bescheinigt. Für den Angeklagten spreche lediglich der Versuch einer Entschuldigung. Gegen ihn, dass er in zwei Fällen einschlägig vorbestraft sei. Auch wenn er nicht zu überbordender Gewalt neige, bestehe weiterhin Fluchtgefahr. Die Staatsanwaltschaft beantragte eine Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten.
In seinem Plädoyer gab Verteidiger Rechtsanwalt Andreas Meyn zu bedenken, dass der Angeklagte im Laden, als ihm die Angestellte mit Pfefferspray, Brieföffner und dem Hinweis auf den Alarmknopf die Herausgabe des Geldes verweigerte, bereits sein Vorhaben als gescheitert sah und nur noch fliehen wollte. Nach ihrer Zivilcourage verwunderte den Angeklagten nun der schlechte psychische Zustand der Geschädigten. Das es nicht seine Absicht war, bei ihr eine so schwere psychische Erkrankung herbeizuführen, bestätigte auch der Angeklagte später noch einmal in seinem Schlusswort.
Anwalt plädierte für eine Sozialtherapie
Die Verletzung der Angestellten vom Türzuhalten wertete Verteidiger Meyn nicht als Körperverletzung, weil sie nicht direkt von Angeklagten begangen wurde und er auch nicht einschätzen konnte, dass sich die Geschädigte bei dem Gerangel an der Tür verletzt. Trotz seiner Vorstrafen, die letzte Tat hatte er nicht allein begangen, plädierte der Verteidiger für eine Freiheitsstrafe von insgesamt von drei Jahren und acht Monaten, drei Jahre und fünf Monate für den Überfall und drei Monaten für den Widerstand, Mit Blick auf die Lebensgeschichte des Angeklagten erachtet auch Meyn eher eine Sozialtherapie für den 25-Jährigen als angebrachter als ein Drogenentzug.
Angeklagter wurde im Westjordanland geboren
Auf seine Lebensgeschichte war auch Angeklagte bei der Befragung zu seiner Person und in seinem Schlusswort noch einmal eingegangen. Im Westjordanland geboren, damit Palästinenser und damit staatenlos, kam er als Baby mit seiner Mutter und den Geschwistern nach Deutschland. Er besitzt keinen Pass und warte seit seiner letzten Inhaftierung auf die Abschiebung. Damit ist er einer von etwa 200.000 Menschen in Deutschland, die hier geduldet sind. Das Asylrecht macht es ihm unmöglich, eine Ausbildung zu machen oder zu arbeiten, geschweige denn, sozialversichert zu sein. Er hätte arbeiten können, hatte einen Arbeitsvertrag, den die Ausländerbehörde aber abgelehnt hat. Wie, fragt er, soll ich mit meiner Frau und einem Baby von deren 700 Euro leben? "Ich fühle mich, als ob ich nicht existiere", sagt er. "Jetzt gehe ich in den Knast und wenn ich in fünf Jahren rauskomme, ist alles wie vorher." Dass die Geschädigte heute so schwer unter seiner Tat zu leiden hat, "tut mich ehrlich leid. Das war nicht meine Absicht".
Lebenssituation kein Freibrief für Straftat
In der Würdigung der Tat entsprach die Kammer weitestgehend dem Plädoyer der Anklage. Den Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte bestrafte das Gericht deswegen schwerer, um ein Zeichen gegen die sich häufenden Angriffe auf Polizei- und Vollstreckungsbeamte zu setzen. Zum Schluss sagte Richter Appelkamp zum Angeklagten: "Es ist nachvollziehbar, dass Sie sich in einer sehr schwierigen Lebenssituation befinden. Das ist aber kein Freibrief für eine Straftat."