Ex-Cuxhavener Sören Moje erzählt: Zwischen Meermann und Menschenrettung im Mittelmeer
Der zwischenzeitliche Wahl-Cuxhavener Sören Moje ist Meermann, gleitet dann wie ein Fisch durchs Wasser. Doch er ist auch Seenotretter und Aktivist. Im Interview erzählt der 37-Jährige über sein abwechslungsreiches Leben.
Manchmal gleitet der zwischenzeitliche Wahl-Cuxhavener Sören Moje wie ein Fisch durchs Wasser - nur mit einer pinken Schwimmflosse auf dem Unterkörper. Wenn er nicht taucht, geht der Seemann seiner Arbeit auf einem Seenotrettungsschiff nach. Derzeit ist der in Stade geborene Sören Moje an Bord und rettet Menschenleben vor der Küste Italiens. Im Gespräch mit Redakteur Tim Fischer erzählt der 37-Jährige von der aktuellen Situation auf dem Mittelmeer, seinen Erlebnissen und was es mit seiner Rolle als "Merman Mo" auf sich hat.
An der Seefahrtschule Cuxhaven hat für Sie alles angefangen. Woher kam der Wunsch, zur See zu fahren?
Ich komme aus einer Seefahrerfamilie, hatte schon als Kind Kontakt mit der Seefahrt und bin mit meinem Vater schon auf Containerschiffen mitgereist. Die Seefahrt hat mich also schon früh geprägt und ich wollte auch Seemann werden. Ich habe dann eine Ausbildung zum Schiffsmechaniker gemacht und danach in Cuxhaven mein großes Maschinenpatent erworben.
Sie haben viele Jahre auf Containerschiffen gearbeitet. Wie sind Sie zu dem Entschluss gekommen, Menschen im Mittelmeer retten zu wollen?
Ich habe die Situation im Mittelmeer in den Medien verfolgt und finde es schlimm, dass dort so viele Schutzsuchende ertrinken. Ein paar Freunde aus der Seefahrtschule haben damals in Emden ein Seenotrettungsschiff ausgerüstet und ins Mittelmeer geschickt. Das war die "Iuventa" von Jugend Rettet e.V. Ich wusste, dass es Fachleute braucht und wollte mich dort engagieren. Es ergab sich aber damals, dass ich bei einer anderen NGO geholfen habe. Zunächst ehrenamtlich. Ein Berufsverhältnis hat sich später ergeben, als klar war, dass die zivile Seenotrettung sich professionalisieren muss, da die Staaten ihrer Aufgabe nicht nachkommen wollen. Bis heute nicht.
Sie haben Leid und Verzweiflung gesehen. Wie schaffen Sie es, das zu verarbeiten?
Es ist schon heftig, die Auswirkungen der verfehlten Politik in Europa dort live mitzuerleben. Es sind vermeidbare Tote. Das ist das Schlimmste daran. Dennoch vergleiche ich die Arbeit oft mit der eines Feuerwehrmannes oder -frau. Man spricht viel mit Kolleginnen und Kollegen über das Erlebte und es ist auch okay, sich psychologische Hilfe zu holen, um das Erlebte zu verarbeiten.
Welches Erlebnis hat Sie am meisten geprägt?
Bei meiner ersten Mission 2017 hatte Europa gerade angefangen, kriminelle Milizen in Libyen mit Booten, Waffen und Geld auszustatten, damit sie Menschen auf dem Meer abfangen. Wir wurden auf offener See in internationalen Gewässern mit Maschinenpistolen bedroht und unser Schiff wurde geentert. Das war EU-finanzierte Piraterie! Ich war absolut geschockt und hatte keine Ahnung von den Ausmaßen, die das genommen hatte. Wir konnten die Geretteten, die sie transferieren wollten, zum Glück trotzdem nach Europa bringen. Alles andere wäre illegal gewesen und wir hätten uns strafbar machen können.
Auch Sie wurden wegen Ihres Engagements öffentlich angegriffen. Wie gehen Sie damit um?
Medien und rechte Politikerinnen und Politiker haben leider sehr viel Falschinformationen über die Situation verbreitet, sodass wir bis heute immer wieder an den Pranger gestellt und kriminalisiert werden. Es ist schlimm. Denn die Leidtragenden sind immer die Menschen auf der Flucht. Es ist wichtig, die Menschen über die Realitäten im Mittelmeer und die Situation, vor denen die Menschen fliehen, aufzuklären. Mehr können wir nicht tun. Manche Menschen wollen die Wahrheit aber auch nicht wissen.
Wie bewerten Sie die aktuelle Situation im Mittelmeer im Hinblick darauf, dass 2023 seit 2017 eines der tödlichsten Jahre werden könnte?
Wenn man sich die Zahlen im Verhältnis zu den Überfahrten anschaut, ist es sehr besorgniserregend. 2017 ist ein Mensch von 51 ertrunken. 2019 lag das Verhältnis bei 1:21. In diesem Jahr sind bereits fast 2000 Menschen ertrunken. Darunter rund 300 Kinder. Das liegt zum einen an dem Nicht-Reagieren von Behörden wie vor zwei Monaten in Griechenland. Aber auch vor allem an der Situation in Tunesien. Dort werden Menschen aus der Subsahara-Region seit einer Rede des Präsidenten im Februar rassistisch verfolgt. Die Boote, in die Menschen aus ihrer Verzweiflung steigen, sind absolut seeuntauglich und gefährlich. Ich finde es sehr besorgniserregend, dass sich das Land zu einer Diktatur entwickelt, in der Menschen verfolgt werden. Und unsere Politikerinnen und Politiker unterstützen den Staat mit Hunderten Millionen. Das setzt völlig falsche Signale.
Als Maschinist und Seenotretter haben Sie sich vier Jahre im Mittelmeer engagiert. Was machen Sie aktuell?
Ich habe von 2021 bis dieses Jahr für die Meeresschutzorganisation "Sea Shepherd" gearbeitet. Deren Arbeit finde ich auch sehr wichtig. Aktuell bin ich aber wieder auf einem Seenotrettungsschiff bei der NGO "Sea Eye". Seit 2018 als leitender Maschinist.
Bekannt sind Sie auch als "Merman Mo". Wie wird man Meermann?
Ich war schon immer ein bunter und aufgeschlossener Mensch, der gerne in andere Rollen schlüpft. Ich wollte mir sowieso ein neues Hobby suchen, welches mich wieder auf eine schöne Art und Weise mit dem Meer verbindet. Im Internet bin ich auf das Mermaiding gestoßen und habe "Mermaid Kat" kennengelernt, die in Deutschland eine Meerjungfrauenschule gegründet hat. So kam dann eins zum anderen.

Hilft Ihr Alias als "Merman Mo", das Erlebte auf dem Mittelmeer zu verarbeiten?
Das war von Anfang an mein Plan und es funktioniert. Als Meermann tauche ich ab und stecke in einer ganz anderen Welt. Das hilft mir.
Eines Ihrer Markenzeichen ist Ihr roter Bart. Was steckt dahinter?
Ich habe mir den Bart mal für ein Fotoshooting gefärbt und fand es irgendwie schick. Zur gleichen Zeit ist die Idee mit dem Meermann gekommen und ich dachte, das passt doch ganz gut als Wiedererkennungsmerkmal.
Sie tauchen mit Meeresschildkröten und Seekühen. Woher kam der Drang, sich für den Meeresschutz zu engagieren?
Ich bin mit diesen Tieren auf einer Reise für Meermenschen getaucht und habe mit Unterwasserfotografen schöne Fotos gemacht. Ich weiß aber, dass diese Tiere wie viele Meeresbewohner vom Aussterben bedroht sind. Deswegen möchte ich mich für diese Tiere einsetzten und ihnen eine Stimme geben.
Sie leben als "Aktivist zur See". Was kann jeder Einzelne tun, um beispielsweise die Seenotrettung zu unterstützen und sicherzustellen das Meer und die Ozeane als einzigartige Lebensräume zukünftig erhalten bleiben?
Ich sehe mich als Aktivist zur See und unterstütze zwei sehr unterschiedliche Themen. Beides braucht natürlich auch immer Seeleute. Aber jeder Mensch kann unterstützen. Alle NGOs, mit denen ich arbeite, sind rein spendenfinanziert. Das ist sehr wichtig zu wissen, da Schiffe in der Unterhaltung sehr kostspielig sind. Aber unterstützen kann man auch einfach dadurch, dass man sich informiert und über die Themen spricht. Man kann sich auch politisch engagieren und seinen Abgeordneten Briefe schreiben. Denn sicher ist: Menschenrechte sollten für alle gleich gelten. Und wer unsere Meere schützt, schützt unsere Zukunft auf diesem Planeten.