Das leise Gift des Misstrauens
Seit vielen Jahren begeistert die Kolumne "Moin Cuxhaven" die Leserinnen und Leser der Cuxhavener Nachrichten. Inzwischen sorgt die Rubrik auch auf cnv-medien.de für Unterhaltung und Information. Heute geht es um "das leise Gift des Misstrauens".
Neulich las ich eine kleine Geschichte, die mir nicht mehr aus dem Kopf geht. Ein Geschichtslehrer führt im Unterricht ein Experiment durch - ein Spiel über Vertrauen und Angst. Seine Schüler beschäftigen sich gerade mit dem Thema Hexen.
Er geht durch die Reihen und flüstert jedem Kind zu, ob es eine "Hexe" oder ein "normaler Mensch" sei. Dann erklärt er: "Bildet bitte die größtmöglichen Gruppen ohne Hexen. Wenn auch nur eine dabei ist, habt ihr alle verloren."
Was folgt, ist lehrreich - und beklemmend zugleich. Schnell breitet sich Misstrauen im Klassenraum aus. Geflüster, Seitenblicke, Verdächtigungen. Bald traut keiner mehr dem anderen. Die Kinder beginnen, sich gegenseitig zu befragen: "Bist du eine Hexe? Wie können wir sicher sein, dass du nicht lügst?"
Als die Gruppen stehen, ruft der Lehrer: "Hexen, hebt eure Hände." Kein Arm regt sich. Es gibt keine einzige "Hexe" im Raum. Der Geschichtslehrer lächelt und fragt: "Gab es in Salem wirklich Hexen - oder nur Angst?"
In Salem, im Jahr 1692, reichte ein Gerücht, ein falsches Wort - und Menschen wurden gehängt. Es war nicht schwarze Magie, die tötete, sondern Furcht.
Diese Lektion sitzt. Denn die Angst braucht keine Hexen. Nur ein bisschen Gerede, ein paar Etiketten - und schon stehen Gräben zwischen Menschen, die gestern noch nebeneinandersaßen.
Heute heißen die Hexen anders. "Geimpft" oder "ungeimpft". "Woke" oder "ewig gestrig". "Links" oder "rechts". Die Worte wechseln, das Spiel bleibt dasselbe. Vielleicht beginnt Zusammenhalt genau dort, wo wir aufhören, andere in Schubladen zu stecken. Misstrauen spaltet. Vertrauen verbindet. Die Wahl liegt bei uns.