Vor 50 Jahren, am 22. August 1968, demonstrierten in Otterndorf rund 400 Jugendliche gegen die brutale Niederschlagung des Prager Frühlings. Die Niederelbe-Zeitung berichtete ausführlich über den Protestmarsch.
Vor 50 Jahren, am 22. August 1968, demonstrierten in Otterndorf rund 400 Jugendliche gegen die brutale Niederschlagung des Prager Frühlings. Die Niederelbe-Zeitung berichtete ausführlich über den Protestmarsch.
5. Serienteil

1968: Ein bisschen Revolte in Otterndorf

von Christian Mangels | 09.11.2018

OTTERNDORF. War da was abseits der Revoluzzer-Hochburgen Berlin, Frankfurt und Hamburg? 

Ja, das 68er-Beben erschütterte im August 1968 auch die kleine Stadt Otterndorf - zumindest ein bisschen.

Sie haben die Fäuste gen Himmel gereckt. Ihre "Es-lebe-Dubček"-Rufe skandieren den Rhythmus, in dem sie sich wie in einer einzigen wogenden Welle durch Otterndorf bewegen. Am 22. August 1968 demonstrieren 400 junge Leute gegen den Einmarsch der UdSSR in die Tschechoslowakei. Sie halten Transparente in die Luft, auf denen in Großbuchstaben "Freiheit für die CSSR" oder "Für einen freien Sozialismus" stehen. Der Protestmarsch, den der Kreisjugendring und Jugendliche des Hinrich-Wilhelm-Kopf-Sommerlagers der Stadt Hannover auf die Beine gestellt haben, führt vom Kreiskrankenhaus über die Große Ortstraße und B 73 zum Rathausplatz. Die Polizei regelt den Verkehr. Anders als in den Protestzentren Frankfurt oder Berlin fliegen jedoch weder Steine noch brennen Autos. "In sehr disziplinierter Weise brachten die Jugendlichen dem mit Waffengewalt unterdrückten tschechischen Volk ihre Sympathie zum Ausdruck", berichtet die Niederelbe-Zeitung am nächsten Tag.

Nur gut 40 Stunden zuvor sind die Streitkräfte des Warschauer Pakts mit Panzern in die Tschechoslowakei eingerückt, haben den "Prager Frühling", den Traum vom Sozialismus mit menschlichem Antlitz, niedergewalzt. Eine Nachricht, die Europa, ja die ganze Welt erschüttert. Überall gehen die Leute auf die Straße, geeint in Sympathie für die Tschechoslowakei und den Reformer Alexander Dubček, geeint in Wut auf die federführende Sowjetunion.

Im Otterndorfer Hinrich-Wilhelm-Kopf-Lager ist die Wut besonders groß. Das Feriencamp ist zu dieser Zeit mit der Tschechoslowakei eng verbunden, es gibt einen regen Jugendaustausch. Erst wenige Wochen zuvor haben tschechische Jugendliche das Otterndorfer Sommerlager besucht. "Diese Menschen waren voller Lebensfreude und Hoffnung in Erwartung einer besseren Zukunft", sagt Wolfgang Pahl, der Leiter des Sommercamps, auf der Treppe des Otterndorfer Rathauses. Nach dem Überfall des Warschauer Paktes sei man zusammengekommen, um dem unterdrückten Volk die Solidarität zu bekunden, so Pahl. Dann spricht Alfred Thies, Bürgermeister des Zeltdorfes Vahrenheide, zu den überwiegend jungen Demonstranten. Auch er verurteilt die brutale Niederschlagung des Prager Frühlings, bei der mehr als 100 Menschen ums Leben gekommen sind. Nach dem Abspielen der tschechischen Nationalhymne setzt sich der Protestzug wieder in Bewegung. Immer wieder ertönen die Sprechchöre "Freiheit für die Tschechoslowakei" und "Es lebe Dubček".

Der Otterndorfer Thomas Dock, der den Protestzug als Siebenjähriger miterlebt, hat die Rufe der Protestler heute noch im Ohr: "Das war die erste Demonstration meines Lebens. Ich war tief beeindruckt." Dinge, die heute selbstverständlich erscheinen, sind Ende der 1960er-Jahre in Otterndorf noch Neuland: Es ist die erste große politische Demonstration nach dem Zweiten Weltkrieg. "Das war kein Schweigemarsch, da war richtig Leben drin", erinnert sich Dock.

Auch für die örtlichen Medien ist der Protest der Jugend etwas Neues, etwas Besonderes. Aber Hans Lefevre, erster Redaktionschef der Niederelbe-Zeitung, zeigt klare Kante und ermuntert die Otterndorfer, an dem Protestzug teilzunehmen: "Es wäre gut, wenn auch die erwachsene Bevölkerung nicht gedankenlos und ungerührt bleiben würde."

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Christian Mangels

Redakteur
Cuxhavener Nachrichten/Niederelbe-Zeitung

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