Eine Gegendemonstrantin während einer Kundgebung gegen Corona-Maßnahmen in Frankfurt. Ein Modell, wie Zivilcourage aussehen kann - aber auch ohne direkte Konfrontation kann Haltung gezeigt werden. Foto: Sebastian Gollnow/dpa
Eine Gegendemonstrantin während einer Kundgebung gegen Corona-Maßnahmen in Frankfurt. Ein Modell, wie Zivilcourage aussehen kann - aber auch ohne direkte Konfrontation kann Haltung gezeigt werden. Foto: Sebastian Gollnow/dpa
"Sonntagsspaziergänger"

Angriff auf Demokratie? Das können Cuxhavener gegen die Protestler tun

von Maren Reese-Winne | 25.12.2021

CUXHAVEN. Cuxhaven kann sich auf eine starke demokratische Zivilgesellschaft stützen. Immer mehr Cuxhavener wollen sich auflehnen gegen das, was jeden Sonntag in der Innenstadt passiert. Aber wie?

Ignorieren, sagen die einen. Viele aber möchten dem, was jeden Sonntag auf dem Kaemmererplatz passiert, nicht mehr nur zuschauen. Sie wollen zeigen, dass sie mehr sind als die kleine Gruppe der Sonntagsspaziergänger. Sie wollen keine Angriffe auf die Demokratie zulassen. Eine erste Gegenkundgebung hat es gegeben; auch in den sozialen Netzwerken wird gerade gezeigt, dass Querdenker nur einen kleinen Teil der Cuxhavener Bevölkerung ausmachen. Welche, auch ganz kleinen, Schritte sind noch denkbar? Darüber haben wir uns mit Liane Czeremin unterhalten.

Die Politikwissenschaftlerin und ausgebildete Journalistin leitet die Öffentlichkeitsarbeit im Verein "Gegen Vergessen - für Demokratie" in Berlin und koordiniert dessen Online-Beratung gegen Rechtsextremismus. Auch in Cuxhaven existiert eine sehr aktive Regionalgruppe des Vereins.

Corona-Leugner und Impfgegner, die sich mit Holocaustopfern vergleichen oder Nazi-Vergleiche anstellen - das ist schwer auszuhalten. "Die Anlehnungen an die NS-Zeit wirken so emotional, dass damit unweigerlich Aufmerksamkeit geschaffen wird", stellt Liane Czeremin fest. Auch die AfD arbeite mit kalkulierten Provokationen mit dem Wunsch, öffentliche Aufmerksamkeit zu bekommen. "Soziale Netzwerke funktionieren ebenfalls so - wenn die Inhalte provokant sind, werden sie geteilt."

Als Opfer dargestellt

Von einigen Impfgegnern wird auch der Begriff "Apartheid", der für die jahrzehntelange Verfolgung und Ausgrenzung der schwarzen Bevölkerung in Südafrika steht, herangezogen. Dabei bedeuteten Vergleiche mit Opfern von Gewaltregimes "eine unglaubliche Anmaßung", so Liane Czeremin. Jeden Tag geht sie auf dem Weg zu ihrem Arbeitsplatz in der Gedenkstätte des deutschen Widerstands in Berlin an den Porträts derjenigen vorbei, die ihren Widerstand mit dem Leben bezahlt haben oder in Gefängnissen oder Konzentrationslagern weggesperrt waren. Nichts davon treffe auf die heutige Lebenswirklichkeit der Protestierenden zu: Jeder dürfe in Deutschland jederzeit frei demonstrieren und habe nichts zu befürchten.

Was aber tun, um Querdenkern und ähnlichen Gruppierungen nicht die Bühne zu überlassen? Dafür gebe es einige Möglichkeiten: "Jeder kann mutige Leute unterstützen", sagt Liane Czeremin und nennt das Beispiel des SPD-Lokalpolitikers Gunnar Wegener, der Haltung zeige, hierfür aber mit Bedrohungen und Beleidigungen überzogen werde.

"Wir können Betroffene in der eigenen Umgebung oder im Internet unterstützen", regt sie an. "Das kann man nicht genug machen, das bringt auch etwas und verhallt nicht."

Wo sind rote Linien?

Im Privatleben helfe es, sich für mögliche Konfrontationen zu wappnen: "Indem ich mir meine Haltung bewusst mache", rät die Politikwissenschaftlerin: "Was ist mir wichtig? Was ist meine Motivation? Was möchte ich der Gesellschaft geben? Was kann ich akzeptieren und wo sind meine roten Linien?" Auf dieser Basis gelinge ein Gespräch besser, als wenn das Gegenüber nur mit Vorwürfen bombardiert werde. "Von sich erzählen und schildern, was einen beschäftigt und zu seiner Haltung bewegt - aber auch bereit sein, sich für den anderen zu interessieren", rät sie. Anderen Respekt entgegenzubringen, auch wenn wir deren Meinung nicht respektierten, falle uns allen im Moment nicht leicht.

Banger Blick aufs Fest

Gerade jetzt sei vielen mulmig, weil sie schon wüssten, dass es an Weihnachten zu solchen Begegnungen mit Familienmitgliedern oder Freunden kommen wird.

Während es müßig sei, eine sachliche Diskussion über radikale Parolen anzustreben, eröffneten sich manchmal doch Tore für neue Dialoge. "Sie könnten fragen: ,Wie kommt es dazu, dass Du Dich gerade so in die Ecke gedrückt fühlst?‘", regt Liane Czeremin an.

Wer alle Impfgegner pauschal als Querdenker, Rechtsradikale oder Dumme stigmatisiere, treibe diese in die Arme derjenigen, die dies für sich politisch ausnutzten: "Irgendwann sie sie so weit radikalisiert, dass sie nicht mehr ansprechbar sind."

In den Fokus gehöre die Zielgruppe, die man noch erreichen könne. Viele Menschen hätten zum Beispiel wirklich Angst vor dem Impfen - "mehr als vor Krankheit".

Freiheit wichtiger als Sicherheit?

Anderen sei Freiheit wichtiger als Sicherheit. Es lohne sich, in die Gegenden zu schauen, wo die Impfquote hoch sei: "In Bremen ist man in die Quartiere gegangen und hat zuerst die Leute angesprochen, denen die Menschen dort vertrauen." Das helfe mehr als Druck.

Was aber, wenn Provokation und Beleidigung gezielt eingesetzt werden? "Professionelle Distanz wahren und sich sagen: ,Ich bin nicht gemeint; derjenige ist unzufrieden mit der Gesamtsituation", so Liane Czeremin. Einfacher würden diese Situationen zu zweit bewältigt. Dann falle es auch leichter, das Gespräch zu prägen und beispielsweise in Richtung Umgangsformen zu lenken, etwa so: "Wie kommen Sie dazu, mit mir so umzugehen, Sie kennen mich doch gar nicht ..." Umstehende könnten sich auch spontan solidarisieren - "wir sprechen hier vom ganz normalen Abc der Zivilcourage".

Gegen Ohnmacht vorgehen

Im Zusammenhang mit den Anti-Corona-Demos wird aber auch der Ruf nach mehr öffentlichem Eingreifen laut. "Anzeigen? Warum, die werden ja sowieso nicht verfolgt ..." oder "Warum verbietet die Stadt die Aufmärsche nicht?" - manche können das Gefühl der Ohnmacht nicht loswerden. "Als Stadtgesellschaft auf die Gesetzgebung Einfluss zu nehmen, ist nicht möglich", räumt Liane Czeremin ein. Aber Cuxhaven verfüge über ein starkes Netzwerk und eine engagierte demokratische Zivilgesellschaft.

Gute Beispiele aufgreifen

Und es stehe nicht alleine da. Es gebe keine Patentrezepte, aber "Best-practice"-Beispiele, in denen die Mittel des Rechtsstaats auch ausgeschöpft worden seien. In Tostedt beispielsweise sei es vor rund zehn Jahren gelungen, einen Brennpunkt in den Griff zu bekommen, indem Verfahren zügiger in die Wege geleitet worden seien und Polizei und Ordnungsamt ihre Befugnis, temporäre Aufenthaltsverbote auszusprechen, ausgeschöpft hätten. Das habe die Lage intern entschärft und auch gegen Krawallmacher von außerhalb geholfen.

Liane Czeremin empfiehlt: "Lösungsorientiert bleiben und selber die Themen rund um Corona setzen, zum Beispiel darüber, wie Sie als Mehrheit der Gesellschaft vulnerable Gruppen schützen oder der Toten gedenken wollen."

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Maren Reese-Winne

Redakteurin
Cuxhavener Nachrichten/Niederelbe-Zeitung

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