
Auf die Matte gelegt: CN/NEZ-Sportreporter beim Judo
KREIS CUXHAVEN. Bei der Kampfsportart Judo geht es um Respekt vor dem Gegner - und darum, seine Schwächen und Stärken gegen ihn zu verwenden. Wörtlich übersetzt heißt Judo "sanfter Weg". Für die Serie "Sportlich von A bis Z" wagte Sportredakteur Jan Unruh den Selbstversuch.
Als blutiger Anfänger lernt er im Schnellkurs die Grundlagen des Judosports - unter anderem das richtige Fallen, Werfen und Halten. Schon ziemlich bald stößt er an seine körperlichen Grenzen.
Es ist das erste Mal, dass ich mit einer Kampfsportart so hautnah in Berührung komme. Bisher kenne ich Judo nur aus dem Fernsehen und der Zeitung. Doch eines merke ich schnell: Kennen ist das falsche Wort. Der eineinhalbstündige Judo-Schnellkurs hat es in sich - von Beginn an. Denn Judo ist komplex. Taktik, Technik, Kraft. Körper und Geist wird einiges abverlangt. Traditionell steht Judo auf zwei Säulen, welche noch immer beide praktiziert werden - auf der einen Seite die Kata, eine Art Kür, und auf der anderen Seite der Shiai, der Wettkampf. In meiner Trainingsstunde bekomme ich kurze Einblicke in beide Säulen. Doch wie in anderen Sportarten müssen die Muskeln erst einmal auf Temperatur kommen. Dazu dient auch im Judo das Aufwärmen. Das passiert zum Teil spielerisch - auch weil beim SC Hemmoor Judokämpfer unterschiedlichsten Alters zusammen trainieren - vom achtjährigen Kind bis zum Erwachsenen.
Judo ist Ganzkörpertraining
Auf einer großen Fläche, die mit Matten ausgelegt ist, bewegen wir uns kreuz und quer, rempeln uns kontrolliert an, klatschen ab, drehen uns im Kreis. Zu diesem Zeitpunkt habe auch ich noch ein Lächeln auf den Lippen - doch das sollte sich schon bald ändern. Die Übungen werden kraftraubender. Liegestütze, Kniebeugen und Hocksprünge. Jeder Muskel meines Körpers wird in kurzer Zeit beansprucht - auch die, von denen ich nicht wusste, dass ich sie habe. Judo ist eine Ganzkörpersportart. Das wird mir recht schnell bewusst. Noch bevor es überhaupt richtig zur Sache geht. Wie schon bei den vorherigen Selbstversuchen auch. Ich werde das Gefühl nicht los, dass es wohl gar nicht an den verschiedenen Sportarten, sondern vielmehr an meinem körperlichen Zustand liegt. Sei es drum. Ich kämpfe mich im wahrsten Sinne des Wortes durch die Übungen und dann wird es ernster. Ich soll das Fallen üben. Richtig: Kontrolliert auf die Matte fallen. Eine wichtige Grundvoraussetzung im Judosport. Ich lasse mich rückwärts zu Boden fallen, breite meine Arme etwas aus und klatsche auf den Mattenboden. Das soll ich nun zig Male wiederholen. Eine wichtige Lektion, wie ich wenig später erfahren werde. Erst dann bin ich bereit für den nächsten Schritt.
Berührung mit der Matte
Ich bekomme einen Partner zugeteilt. Wichtige Grundvoraussetzung: Ähnlich groß und ähnlich schwer sollte er sein. Das Ähnlich wird von Trainer Hartmut Schrage sehr wohlwollend für mich interpretiert. Er stellt mir den 17-jährigen Daniel Gardt an die Seite. Etwas kleiner als ich, etwas leichter, dafür deutlich definierter. Meine Aufgabe ist es, ihn auf die Matte zu werfen. Ich soll ihn am Kragen des Judoanzuges packen und aushebeln. Daniel Gardt lächelt die ganze Zeit, ich wirke etwas hilflos. Immer und immer wieder drehe ich mich in ihn rein und hebele ihn mithilfe meiner Hüfte aus.
Er lässt das alles über sich ergehen, wehrt sich glücklicherweise nicht. Böse ist er mir auch nicht, sagt er jedenfalls. Dann soll ich selbst das Gefühl bekommen, auf die Matte geworfen zu werden. Plötzlich geht alles ganz schnell. Bevor ich überhaupt reagieren kann, liege ich wie ein Maikäfer auf dem Rücken, mir bleibt kurz die Luft weg. "Weiter atmen", sagt Bärbel Lühmann, Judo-Abteilungsleiterin in Hemmoor, mit einem Grinsen. Ich bin ein bisschen perplex und brauche eine kurze Pause. Auch Daniel Gardt kann sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. "Jetzt bist du wieder dran", sagt er zu mir. Und so geht es eine ganze Zeit lang im Wechsel weiter. Mein Puls ist am Anschlag, ich schnappe nach Luft. Dass die mir gleich ganz wegbleibt, ahne ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht.
Von der Wurf- geht es in die Bodentechnik. Denn wenn es gelingt, den Gegner mit Schwung auf den Rücken zu werfen und ihn 25 Sekunden auf dem Rücken festzuhalten oder aber den Gegner durch eine Würge- oder Hebeltechnik zur Aufgabe zu zwingen, so wird dies mit Ippon bewertet und der Kampf ist entschieden. So viel zur Theorie. Ich soll mich auf den Rücken legen. Mein "Partner" Daniel Gardt schmeißt sich auf mich rauf, hält mich am Boden. Meine Aufgabe ist es, mich aus dieser misslichen Lage zu befreien. Nur wie? Ich winde mich hin und her. Wenn Gardt nicht etwas locker lassen würde, läge ich vermutlich immer noch in der Hemmoorer Sporthalle am Boden.
Grenzerfahrung
Plötzlich taucht Tobias Cegan neben mir auf. Der 38-jährige Stader ist mir schon vor dem Training in der Kabine aufgefallen. Zwei Meter groß, 100 Kilogramm schwer - ein Muskelpaket. "Ich zeig dir mal, wie das richtig geht", sagt er zu mir. Etwas verunsichert schau ich in die Runde. Stille. Ich lege mich vor ihm auf den Boden. Er lässt sich über mich fallen. "Nun versuch mal rauszukommen", so Cegan. Es fühlt sich an als lägen mehrere Menschen auf mir drauf. Ich kann mich keinen Zentimeter bewegen. Mein Kopf wird rot, ich bekomme keine Luft mehr. Dann löst Tobias den Haltegriff. "Du musst ja auch die Grenzen kennenlernen", sagt er dann zu mir. Er zeigt mir noch ein paar Techniken. So rücksichtsvoll wie der 17-jährige Gardt ist er nicht. Ich bin ein Spielball für ihn. Er hebt mich ähnlich leicht hoch wie ich meine einjährige Tochter. Dann ist das Training beendet. Ich bin fertig. Nicht in meinen kühnsten Träumen hätte ich mir vorstellen können, wie kraftraubend, intensiv und gleichzeitig faszinierend Judo ist.
Ein ganz wichtiger Punkt ist: der Gegner wird immer respektiert. Die Philosophie hinter dem Judosport ist mindestens genauso wichtig wie das Geschehen auf der Matte. Hier werden oft vergessene Werte vermittelt, was den Sport vor allem für Kinder wertvoll macht. Doch auch für einen erwachsenen Sportredakteur war es eine lehrreiche Erfahrung ...
Judo - der "sanfte Weg"
Judo bedeutet wörtlich übersetzt "sanfter Weg". Es ist eine Kombination aus verschiedenen Jiu-Jitsu-Stilen und stammt ebenfalls wie diese Kampfsportart aus Japan. Als Gründer des modernen Judos gilt Kano Jigoro, der damit die am weitesten verbreitete Kampfsportart der Welt schuf. Judo wird heute in über 150 Ländern trainiert und ist ein Sport, der sich für Kinder und Erwachsene gleichermaßen eignet.
Der Deutsche Judo-Bund hat insgesamt zehn Werte herausgestellt, die durch Judo in besonderer Weise vermittelt werden können: Höflichkeit, Hilfsbereitschaft, Ehrlichkeit, Ernsthaftigkeit, Respekt, Bescheidenheit, Wertschätzung, Mut, Selbstbeherrschung und Freundschaft.
Es gibt die Judoabteilung beim SC Hemmoor seit 1976, in den besten Jahren zählte sie knapp 200 Mitglieder, jetzt sind es ca. 80. Trainiert wird zweimal in der Woche (Mo. und Fr.). Überwiegend wird breitensportlich trainiert, also "just for fun".
Für interessierte/talentierte Judoka fördert der SC Hemmoor aber auch den Leistungssport. Es werden regelmäßig Wettkämpfe besucht, Trainingslager abgehalten und vieles mehr.
Neben dem SC Hemmoor kann man auch bei RW Cuxhaven und dem TSV Wanna die Sportart Judo ausüben.