
Bremer Virologe: Lockerungen ermöglichen Entwicklung von gefährlicheren Mutationen
KREIS CUXHAVEN. Virologe Andreas Dotzauer hält nicht viel von den Lockerungen, die laut dem Experten angesichts steigender Infektionszahlen viel zu früh kommen.
Von Laura Bohlmann-Drammeh und Jürgen Rabbel
Viele der aktuellen Corona-Regeln sollen entfallen. Gleichzeitig steigt die Zahl der Neuinfektionen. Die Frage, ob sich dieses Szenario verträgt, beantwortet der Bremer Virologe Prof. Dr. Andreas Dotzauer: "Ich sehe angesichts der immensen Zahl von bundesweit 300 Corona-Toten pro Tag keinerlei Logik dahinter, die Corona-Maßnahmen aufzuheben. Das sind definitiv zu viele Tote, die wir alleine durch die hohe Anzahl der Infektionen haben." Antworten hat der Wissenschaftler auch auf weitere Fragen.
Wird es eine weitere Omikron-Welle geben - oder stecken wir schon mittendrin?
Wir stecken bereits mittendrin in der zweiten Omikron-Welle. Die BA.2-Sublinie der Omikron-Variante macht inzwischen bundesweit über 70 Prozent der Infektionsfälle aus, obwohl sie eigentlich gar nicht so viel infektiöser ist als die BA.1-Sublinie, aber es reicht aus, dass BA.2 sich durchsetzt. Auch wenn der Krankheitsverlauf mit BA.2 in der Regel milde verläuft, können gesundheitliche Langzeitfolgen (Long Covid) auftreten. BA.2 ist nicht aus BA.1 entstanden, sondern die beiden Unterlinien der Omikron-Variante haben den gleichen Vorgänger. BA.2 unterscheidet sich von BA.1 in 27 Mutationen. Die bewirken, dass sie sich schneller an den Rezeptor bindet und die Freisetzung des Genoms besser erfolgt. Das heißt: Es sind weniger Viren notwendig, damit es zur Infektion kommt.
Was ist hat sich mit den BA-Viren noch verändert?
Wir sehen seit einiger Zeit, dass eine Neuinfektion mit BA.2 auch zwei Wochen nach einer vorherigen Infektion mit dem BA.1-Virus gut möglich ist. Das liegt daran, dass die Symptome nach einer Infektion mit BA.1-Omikron relativ milde sind und die Immunreaktion dann schwächer ausfällt. Die BA-Viren kommen vor allem im Nasen-Rachen-Raum vor, die Aufnahme erfolgt also anders als bei den vorherigen Varianten. Infizierte haben vor allem Schnupfen, Husten, Heiserkeit oder Kratzen im Hals. Kopfschmerzen, Fieber und Müdigkeit sind bei ihnen nicht so ausgeprägt, wie bei den vorherigen Varianten.
Ist eine vierte Impfung aus Ihrer Sicht empfehlenswert?
Der Impfschutz ist schon reduziert, wobei das auch eine Frage der Zeit ist. Gerade bei den Älteren wissen wir, dass der Impfschutz nach drei Monaten gewaltig abfällt, da ist der Booster, also die vierte Impfung, schon notwendig. Nach drei bis vier Monaten liegt der Impfschutz bei etwa 30 bis 40 Prozent, durch den Booster können wieder etwa 80 Prozent erreicht werden. Aber auch diese Schutzwirkung fällt nach vier bis fünf Wochen wieder ab. Eine Viertimpfung ist aus virologischer Sicht für alle Geimpften sinnvoll. Allerdings sollten vier bis fünf Monate seit der letzten Impfung vergangen sein. Wenn man bereits eine Infektion mit dem BA.1-Virus durchgemacht hat, ist die Wahrscheinlichkeit, sich kurz danach mit BA.2 anzustecken, höher als erneut mit BA.1.
Welche Folgen hat eine Infektion mit dem BA-Virus für Ungeimpfte?
Ungeimpfte infizieren sich auch mit BA.2-Omikron schneller. Ältere Ungeimpfte sind deutlich gefährdeter, einen Verlauf zu haben, der einen Krankenhausaufenthalt notwendig macht. Und wir sehen auch bei den Toten, dass das überwiegend Ungeimpfte sind.
An welchen Regelungen sollten wir festhalten?
Aktuell ist ungefähr jeder 20. bis 30. Deutsche infiziert, das ermöglicht wieder die Entwicklung von Mutationen, vielleicht auch gefährlicheren. Die Maßnahmen jetzt zu beenden, halte ich daher für falsch. Insbesondere das Maske tragen ist leicht umzusetzen und hat sich als Schutz bewährt.
Die Maskenpflicht an Grundschulen ist gefallen. Außerdem entfällt die Quarantäne für alle Kinder und Jugendlichen bis 18 Jahre, die Kontakt zu einer infizierten Person hatten. Was sagt der Virologe zu dieser Entscheidung?
Ich bin mir nicht sicher, ob wir den Kindern damit einen Gefallen tun. Kinder tun sich schwer damit, Abstand zu halten. Eine Maske zu tragen wäre aus Vernunftsgründen besser.
Besteht durch die Lockerungen nicht die Gefahr, dass die Pandemie einen neuen Schub bekommt?
Damit fällt ja nicht nur eine hemmende Barriere. Das Coronavirus wird seine Chance zum Wachstum nutzen. Und wie, das hängt vom Verhalten der Menschen ab. Nach drei bis vier Wochen werden wir die Folgen sicherlich kennen.