
Corona sorgt im Kreis Cuxhaven für Personalnot - zwei große Branchen betroffen
KREIS CUXHAVEN. Gastronomie und Handel im Kreis Cuxhaven klagen über Abwanderung von Beschäftigten: Viele Arbeitnehmer wechselten im Lockdown den Job.
Von Kai Koppe und Wiebke Kramp
Ein Ruhetag mehr, kürzere Öffnungszeiten: Mit solchen Mitteln pflegen Betriebe ihre Engpässe beim Personal zu kaschieren. Mitarbeitermangel herrscht nicht nur im Einzelhandel, in der Region stöhnen nicht zuletzt die Vertreter der Hotel- und Gaststättenbranche über eine Entwicklung, die durch die Corona-Pandemie verschärft worden ist.
Personalsituation nicht mehr wie zuvor
Die beiden "Lockdowns" haben das örtliche Tourismusgewerbe nicht nur wichtige Einnahmen gekostet. Knapp 20 Monate nach Pandemiebeginn ist die Personalsituation im Hotel- und Gaststättengewerbe eine deutlich andere als vorher. Wo zuvor von "Fachkräftemangel" die Rede war, spricht man nun über eine akute Notsituation. "Wir sind aus der Corona- in die Mitarbeiterkrise gerutscht", bilanzierte Kristian Kamp, Dehoga-Stadtverbandsvorsitzender, vor wenigen Tagen anlässlich einer turnusmäßig stattfindenden Mitgliederversammlung.
Öffnungszeiten werden geändert
Was Wirte und Hoteliers Alarm schlagen lässt, ist ein Exodus von Beschäftigten, der während der ersten Pandemiewelle einsetzte: Als Restaurants, Cafés, Kneipen oder Beherbergungsbetriebe aus Infektionsschutzgründen geschlossen bleiben mussten, sahen sich nicht wenige Mitarbeiter nach einem anderen Arbeitsplatz um. "Circa 15 Prozent der Belegschaft haben unsere Branche über die Krise hinweg verlassen", beschreibt Kamp eine Entwicklung, die einzelne Betriebe bereits dazu zwingt, mit den verbliebenen Kräften zu jonglieren beziehungsweise die Öffnungszeiten zu ändern.
Verlust auch von "angelernten" Kräften
Er kenne Betriebe, die inzwischen an zwei oder sogar drei Tagen pro Woche zumachen - unfreiwillig, betont Olaf Wurm, Dehoga-Kreisvorsitzender für Wesermünde-Hadeln. Seinen eigenen Betrieb hielt der Dorumer in der Saison durchgängig geöffnet. "Das geht nur mit Mitarbeitern, die sich stark mit der Sache identifizieren", betont Wurm, der vergeblich nach Personal für einen Fischbrötchen-Wagen suchte und nur mit Not einen Abwaschposten zu besetzen konnte. Seinen Worten zufolge fehlt es in der Branche nicht nur an qualifizierten, das heißt: ausgebildeten Kräften. Sondern auch an diejenigen Leute, die einen Laden als angelernte Mitarbeiter am Laufen halten. Ein Problem unter dem auch andere Branchen leiden, sagt Wurm und nennt - um ein Beispiel zu geben - ein Bäckereifachgeschäft, an dem er öfters vorbeikommt.
3G führt zum Jobwechsel
Im Otterndorfer Einzelhandel sei die Abwanderung von Fachkräften in der Hotellerie, Gastronomie, aber auch im Einzelhandel zu bemerken - im Gegensatz zum Handwerk, erläutert Peter Martin Stelzenmüller, Vorsitzender des Otterndorfer Wirtschafts- und Gewerbevereins (OWG): "Das ist bei uns ein ganz starkes Thema." In der Gastro hätten jedoch Leute auch gewechselt, weil sie sich nicht testen und impfen lassen wollten, so seine Erfahrung. Im Bereich Einzelhandel habe er von einem Einkaufsmarktbetreiber erfahren, dass dort massiv Mitarbeiter gegangen seien. Wohin diese Kräfte sich allerdings orientiert hätten, wisse man nicht. "Wir haben insgesamt wenig Möglichkeiten, dagegen zu steuern", sagt Stelzenmüller.
Ralf Duderstadt, dem Vorsitzenden der Werbegemeinschaft "Cuxhaven aktiv", ist das Thema Abwanderung im Einzelhandel nicht als aktuelles Problem gespiegelt worden. Aber es sei schon seit längerer Zeit schwierig, Fachkräfte zu bekommen," räumt Duderstadt ein und erwähnt seinerseits die Öffnungszeiten - als Stellschraube, an welcher die Betreiber inhabergeführte Geschäfte drehen, um Personalnot zu kompensieren. So mache er es als Inhaber eines Fotofachgeschäftes auch selbst. Da seit geraumer Zeit eine vakante Stelle nicht besetzt werden könne, habe er den Entschluss gefasst, nach über 50 Jahren erstmals eine Mittagspause einzuführen. Und das sogar mit positiver Resonanz: "Unsere Kunden zeigen dafür Verständnis."
Wenig Abwanderung in Börde Lamstedt
Torsten Wienberg führt ein Modefachgeschäft in Lamstedt und ist Vorsitzender des Gewerbevereins in der Börde. "Gott sei Dank haben wir hier wenig Probleme mit Abwanderung von Kräften." Auch seitens seiner Kollegen habe er nichts Anderweitiges gehört. Wienberg selbst hat während des Lockdowns und in Zeiten der Kurzarbeit vorausschauend gehandelt: "Wir haben allen Mitarbeitenden eine Arbeitsplatz-Garantie gegeben, damit wollten wir ihnen in schwerer Zeit den Druck aus dem Kopf nehmen." Fürsorge gegenüber seinen Kräften zeigt der Firmenchef bezüglich des Themas Impfen: "Wir haben für sie die Impftermine besorgt - und organisieren dies jetzt auch für den Booster."
Motto: Den Exodus aufhalten
In der Gastronomie überlegt man derweil, wie man den eingangs beschriebenen Trend bremsen könnte. Während der Dehoga-Versammlung unterstrich der Cuxhavener Vorsitzende einmal mehr, wie wichtig es sei, den Ausbildungsrückgang zu stoppen, um mittelfristig qualifiziertes Personal zu gewinnen. "Da ist jeder einzelne von uns gefragt!", appellierte Kristian Kamp an sein Kollegium und sprach auch davon, dass die Branche nach wie vor gegen "Vorurteile aus den 70er und 80er Jahren" ankämpfe. Dem Klischee eines schlecht bezahlten, freizeitfeindlichen Jobs setzen Ausbildungsbetriebe längst das Bild eines (relativ) krisensicheren Berufs mit Aufstiegschancen, Entfaltungsmöglichkeiten und Internationalität entgegen. "Holen Sie Schüler und Interessierte für Praktika ran!", empfahl Kamp und warb gleichzeitig für ein vor Ort praktiziertes Qualifizierungsmodell, in dessen Rahmen die großen Player vor Ort Fachpraxis kostenlos an Azubis (auch aus anderen Betrieben) weitergeben.
Begleitetes Praktikum gefordert
Ein Rezept gegen Personalmangel in der Gastronomie hatte auch Stefan Wittmar, Werkstattleiter der Lebenshilfe Cuxhaven, in petto: Wittmar wies darauf hin, dass im von der gemeinnützigen GmbH betriebenen Kulturbistro "Kubi" sämtliche Branchenbereiche gelehrt werden. "Das wissen die wenigsten." Wittmar regte an, Menschen mit Behinderung ("dieses Wort gibt es bei uns übrigens nicht"), die bei der Lebenshilfe bereits auf dem fraglichen Sektor tätig sind, unverbindlich und ergebnisoffen ein begleitetes Praktikum in örtlichen Betrieben absolvieren zu lassen.