Zwei aktuelle Grabungskampagnen

Cuxhaven - "ein archäologischer Hotspot" 

26.08.2017

ALTENWALDE/CUXHAVEN. Perlenmacher, Weber, Händler prägten im 9. und 10. Jahrhundert das Leben am Fuße der Altenwalder Burg. Von Maren Reese-Winne

Recycling, diese Idee ist uralt: Spuren, die bei einer laufenden Grabung in Altenwalde ans Licht gekommen sind, deuten darauf hin, dass unsere Vorfahren schon im 9. oder 10. Jahrhundert nach Christus Glasschrott aus dem Rheinland per Schiff herantransportieren ließen – Rohmaterial für die Perlen-Werkstätten am Fuße der Altenwalder Burg.

Grabungsleiter Karl Johann Offermann führt mit einem jungen Grabungsteam derzeit die Arbeiten weiter, die im März auf einem Feld an der Seeburg begonnen hatten. Diesmal geht es auf einem daneben gelegenen privaten Hofgrundstück mit Zugang von der Straße Am Altenwalder Bahnhof weiter. Das Grundstück ist für eine Bebauung mit bis zu 100 Wohnungen vorgesehen, jetzt ist hier aber noch Platz. Unterstützung findet das Team beim Grundstückbesitzer.

Anreise ganz aus Kanada

Mit dabei sind eine Absolventin des Freiwilligen Sozialen Jahres sowie Studierende der Unis Oldenburg, Kiel, Hamburg, Leipzig und auch wieder zwei von der Memorial University St. Johns in Neufundland/Kanada.

Für sie ist diese Erfahrung besonders wertvoll: Angesichts der Tatsache, dass sie jenseits des Atlantiks erhebliche Gebühren bezahlen müssten, um an einer Grabung teilnehmen zu können, nehmen sie hier die Flugkosten gerne in Kauf und sind dafür hier voll einbezogen.

Wo die Nachwuchskräfte unter der Anleitung des Fachmanns Offermann graben mussten, zeigten ihnen so genannte geomagnetische Prospektionen – Bilder, die Aufschluss über Bewegungen im Boden geben. Und so waren die erwarteten Grubenhäuser schnell gefunden, vier Stück sind es, die Stück für Stück freigelegt werden.

Dann beginnt die Feinarbeit: Erst Sieben, dann Schlämmen. „90 Prozent unserer Funde kommen erst beim Schlämmen (also dem gründlichen Auswaschen) ans Licht“, berichtet Dr. Martin Segschneider vom Niedersächsischen Institut für historische Küstenforschung in Wilhelmshaven.

Millimetergroße Schätze

Das Auge muss schon sehr geschult sein, um die oft nur Millimeter großen Kostbarkeiten – Glasperlen in verschiedenen Formen und Farben zum Beispiel – zu entdecken, sogar eine mit eingearbeiteter hauchdünner Goldfolie. „Glas ist immer ein Zeichen für Wohlstand und Handel“, so Segschneider. Keramikscherben geben Aufschluss über die Zeit der Besiedlung und die Lebensweise der Bewohner. Auch ein dickes Webgewicht, Teil eines Webstuhls, ist diesmal aufgetaucht.

So entsteht Stück für Stück vor dem geistigen Auge das Bild einer Handwerker- und Handelssiedlung, die – strategisch günstig vor Feinden versteckt – auch Zugang zum Meer hatte: Priele führten hier bis an den Geestrand heran. Frühere Funde beweisen, dass die Handelsbeziehungen nicht nur bis ins Rheinland, sondern auch in den Ostseeraum und weit oben in Norwegen reichten.

„Cuxhaven ist mit den Zeugnissen aus so vielen Epochen bis zurück in die Bronzezeit ein richtiger archäologischer Hotspot!“, schwärmt Dr. Martin Segschneider. Unendlich viel gebe es hier zu entdecken. Ansprechpartner Nummer eins und Wegweiser ist Stadtarchäologe Andreas Wendowski-Schünemann: „Ohne ihn wäre hier überhaupt nichts passiert.“

Als die städtischen Mittel mehr und mehr schwanden, stellte Andreas Wendowski-Schünemann Kontakte zu Universitäten her und suchte sich „strategische Partner“ in der Forschung, etwa in Tübingen, Hamburg, Leipzig und Wilhelmshaven. Die wiederum sind begierig danach, ihre Studenten auf so vielversprechendes Terrain schicken zu können.

Dazu zählt auch der Galgenberg, wo derzeit ein zweites Team, angeführt von Uwe Kraus von der Uni Leipzig, gräbt und forscht. Ziel ist, weitere Erkenntnisse darüber zu gewinnen, warum dieser Hügel für die Generationen vor uns so bedeutsam war und wozu er diente. Dabei liegt diesmal das Augenmerk auf dem Mittelalter.

Rustikal vorgegangen

Leider zeigen sich hier die Folgen des immerwährenden Interesses an dieser markanten Kuppe mit Panoramasicht auf Elb- und Wesermündung: Mehr oder minder begabte Berufene haben den Hügel kreuz und quer zerfurcht und Spuren zerstört.

Anfang des 20. Jahrhunderts wurde der Hügel einmal quer bis zum gewachsenen Boden aufgegraben. Die Dokumentation: „Mehr als skizzenhaft...“ Ein Übriges leisteten die militärischen Aktivitäten im 2. Weltkrieg.

Seit 2013 sammeln Studienanfänger der Uni Leipzig hier ihre ersten praktischen Erfahrungen, lernen, Erdschichten zu unterscheiden, Funde zu entdecken, sachgerecht aufzubewahren und zu dokumentieren; diesmal an zwei Stellen. Unter anderem soll die diesjährige Kampagne Aufschluss über die Bauweise und Funktion des Grabens zwischen Hügel und umlaufenden Wall geben. Damit seien die Forschungen um den Galgenberg erstmal abgeschlossen, so Andreas Wendowski-Schünemann; es warteten noch zu viele andere vielversprechende Stellen.

Jahr der Auswertung

Zu Ende geht auch das Forschungsprojekt über mittelalterliche Häfen, das die Forschungen unter anderem in Altenwalde möglich gemacht hatte. Das verbleibende Jahr ist ganz der Aufarbeitung der Funde gewidmet: Alle Fundstücke werden noch gründlicher betrachtet, Archäobotaniker schauen sich das Erdreich genau auf pflanzliche Spuren an.

Das Ende der Ausgrabungen und Forschungen in Altenwalde und Cuxhaven sieht Dr. Martin Segschneider damit aber noch lange nicht gekommen: Es werde neue Töpfe geben...

Gute Lage

Die Deutsche Forschungsgemeinschaft ist der Geldgeber für das noch ein Jahr laufende Forschungsprojekt zu Häfen an der Nordsee zwischen der römischen Kaiserzeit bis zum Mittelalter.

Dass gerade Cuxhaven für Archäologen viel zu bieten hat, ist kein Zufall: Zum einen war die Lage zwischen Elbe und Weser strategisch günstig, zum anderen bot der bis an die Wasserkante reichende Geestrücken Schutz.

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