Flucht aus Afghanistan: In Hemmoor fließen derzeit viele Tränen
HEMMOOR. Geflüchtete Afghanen sind zwiegespalten und zerrissen: Bei ihnen macht sich in Hemmoor ein Gefühl zwischen Freiheit und Angst breit.
Sie selbst befindet sich seit 2016 in Deutschland gemeinsam mit ihrem Mann in Sicherheit. Doch was ist mit den Menschen, die in ihrem Heimatland in der Hoffnung auf ein besseres Leben geblieben sind oder denen die Flucht misslang?
Seit der kompletten Machtübernahme der Taliban durch den Rückzug der dort stationierten ausländischen Streitkräfte sind nicht nur die 37-Jährige und ihr Mann Nizar Mulazada völlig verunsichert, was sich in Kabul, das sie verlassen haben, abspielt: "Ich muss immer wieder daran denken, was dort jetzt passiert." Diese Unsicherheit verfolge sie Tag und Nacht. Eine Kontaktaufnahme? Nahezu unmöglich.
Das weiß auch Zahra Ghoreishy (30), die 2015 die mit ihrem Mann und ihren Kindern nach Deutschland geflüchtet ist und hier inzwischen Fuß gefasst hat und selbstsicher wirkt. Ihr Mann ist bei einer Baufirma beschäftigt, sie selbst hat ihren Hauptschulabschluss geschafft und ihre Kinder besuchen die Schule. Sie spricht schon sehr gut Deutsch und hofft, nach ihren Sprachkursen, den Weiterbildungen und einem Praktikum auf eine Festanstellung im Einzelhandel. Ein weiteres Praktikum, das sie absolvieren und bei dem sie sich für einen Job als Verkäuferin empfehlen möchte, erfolgt im November.
Die Gedanken an die monatelange Flucht aus Kabul, die 2015 im Cuxland endete, weckt natürlich auch bei ihr Erinnerungen an die Zeit in Afghanistan. Wer glaube, dass erst jetzt die Machtübernahme durch die Taliban erfolgt sei, irre sich. Bereits zuvor hätten Frauen kaum Rechte gehabt; die Mädchen seien quasi vom Schulbesuch ausgeschlossen worden, wenn sich wohlhabende Eltern nicht den Unterricht in Privatschulen hätten leisten können.
Ihre Familie sei vorwiegend durch den Eigenanbau und Verkauf von Gemüse über die Runden gekommen: "Uns als Frauen war schon damals durch die Taliban eine Arbeit untersagt worden, das Haus zu verlassen."
In Deutschland erlebe sie eine ganz andere Welt. Sie ist dankbar dafür, betont aber auch: "Uns wird geholfen, aber wir wollen unser Leben in Freiheit selbst gestalten."
Mit den Nachbarn im Austausch
Dazu zähle eben auch die gesellschaftliche Teilhabe und die Einbindung in die Nachbarschaft und damit die gesellschaftliche Integration. Sie ist froh, dass ihr Mann bei einer Baufirma arbeitet, einen Führerschein und ein Auto besitzt und damit einen großen Beitrag leistet, dass die Familie in ihrer neuen Heimat Deutschland nach und nach Selbstvertrauen für ihre Zukunft tankt.
So sei es zwar toll, dass beide Männer einen Beruf bei einer Baufirma und einer Bäckerei hätten und einen Führerschein für ihren Wagen besäßen. Aber sie treibt Malale Nazari und Zahra Ghoreishy unter anderem auch an, selbst die Führerscheinprüfung abzulegen: "Mein Prinzip: Weiter, weiter, weiter ...", sagt sie mit Blick auf Integration und Selbstbestimmtheit.
Eine emotionale Belastung
Es ist ein emotionaler Drahtseilakt zwischen der Freiheit in der neuen Heimat und der Ungewissheit um das Schicksal der Menschen, über die die Taliban als Machthaber entscheiden - oder schon längst entschieden haben, ohne dass sie es wissen ...