Christian Beckmann (M.) ist (mit seiner Frau) Schulträger der Freien Schule Oberndorf. Hier arbeitet er mit Pia und Friedjoff an den Regeln für den Computerraum.
Christian Beckmann (M.) ist (mit seiner Frau) Schulträger der Freien Schule Oberndorf. Hier arbeitet er mit Pia und Friedjoff an den Regeln für den Computerraum.
Bildung

Freie Schule Oberndorf: Von der Freiheit des Lernens

von Wiebke Kramp | 18.12.2018

OBERNDORF. Die Freie Schule Oberndorf ist im Sommer gestartet. Die private Schule unterscheidet sich grundlegend von anderen Schulen. Ein Blick in den Alltag.

Die Tränen sind trocken. Leben, Lachen und Lernen kehren seit Sommer in das Schulgebäude in Oberndorf zurück. Dorthin, wo 2014 die Kiebitz-Grundschule geschlossen werden musste. Aber diese private Grund- und Oberschule unterscheidet sich grundlegend von anderen Schulen. Freie Schule bedeutet, die rund 40 Schülerinnen und Schüler zwischen sechs und 16 entscheiden sich frei, wie, wann und was sie dort lernen möchten. Für das freiwillige Lernen stehen ihnen Lernbegleiter zur Seite. Freiheit ja, aber ohne Regeln funktioniert sie nicht - und die gibt sich die Schulgemeinschaft demokratisch selbst. Der in der Aula ausgehängte Stundenplan schlägt Projektzeit vor; er unterbreitet zudem Angebote wie Brotbacken, Kochen oder Zirkus. Hausaufgaben gibt es keine. Klappt das?

Montagmorgen kurz nach neun. Schulleiterin Laura Banse setzt sich im Schneidersitz auf den Teppich. Um sie herum haben sich Kinder zur Morgenrunde Platz gesucht: auf der Fensterbank, dem Boden oder auf dem plüschigen Polstersofa. Die Grundschüler dürfen vom Wochenende berichten, erzählen von Kino oder Weihnachtsmarktbesuchen. Mitreden ist kein Muss. Ein Junge mit langen dunklen Locken sitzt still in der Ecke. Ganz versunken baut er mit Legosteinen eine Fantasiewelt. Ganz im Gegensatz zu seinem Mitschüler. Aus dem sprudelt es heraus, selbst wenn andere an der Reihe sind zu erzählen. Da wird er von Laura schon etwas gebremst, um nicht die Geschichte der anderen platzen zu lassen. Hanna (7) liegt zufrieden in den Armen ihres Vaters und hört zu.

Hier darf der Papa mitkommen. Dass Eltern nicht nur Schulgeld bezahlen, sondern sich ins Schulleben einbringen und etwa in Funktionsräumen oder der Mensa mit anpacken, ist ausdrücklich erwünscht, ja sogar Teil des Vertrages. Dany ist mit seiner Familie aus Cuxhaven nach Oberndorf gezogen. Extra dieser Schule wegen: "Man lernt hier aus dem Leben heraus", schwärmt der Familienvater, der seine Tochter Hanna täglich begleitet und hier gemeinsam mit ihr die Zeit verbringt, aber auch hilft. "Es ist hier genau so, wie Schule sein soll." Dany glüht vor Überzeugung: "Man sieht, wie viele Kinder endlich aufblühen. Jedes erhält nach seinen Bedürfnissen Raum. Manchmal gibt es Tage, an denen sie sich selbst zurücknehmen und dann sind es wiederum Tage, da kommen von den Kindern tolle Ideen oder sie stellen Fragen, weil es an einer Regelschule nicht möglich wäre."

Alle duzen sich hier. "Wir sind schon eine Mitmachschule und verstehen uns als eine große Familie", sagt Christian. Der Fotograf und Webdesigner trägt hier in vielfacher Weise Verantwortung. Gemeinsam mit seiner Frau Franziska als Schulträger mit der gemeinnützigen Unternehmergesellschaft "LernArt" sowie für ihre Tochter. Baby Amadea erlebt das Schulleben aus Kängurubabyperspektive vor Papas Bauch. Über die Schülerschaft sagt Christian: "Jedes Kind trägt hier seinen eigenen Rucksack. Manche kommen sehr gut mit dem offenen Konzept klar und fordern das Lernen für sich ein. Einige ältere Schüler hingegen sind es aus der Regelschule gewohnt, dass ihnen etwas vorgesetzt wird. Aber stattdessen sollen sie aus sich heraus die Welt entdecken." Einige seien mittendrin in diesem Prozess. Christian sieht das Ganze aber höchst entspannt: "Wir waren ja aus anderen freien Schulen vorgewarnt, dass es etwas Zeit in Anspruch nimmt."

Das Lernbegleiter-Team bestehe zurzeit aus acht Mitgliedern, sagt Christian. Drei seien täglich an der Schule, die anderen kommen für einen oder zwei Unterrichtstage.

Im Computerraum mit seinen 14 in einem Netzwerk miteinander verbundenen Geräten gibt es gerade etwas Stress mit einem Zwölfjährigen, der sich nicht an die gemeinschaftlich aufgestellten Regeln halten mag. Er hat partout kein Einsehen, dass er hier ein bestimmtes Internetspiel nicht spielen darf. Nach mehreren Diskussionen, in die sich auch Schulleiterin Laura eingeschaltet hat, wird dem Jungen die Auskennerkarte für diesen Raum entzogen. Für jeden Fachraum gibt es diese Karte. Sie weist aus, dass die Schülerinnen und Schüler die jeweiligen Benutzungsregeln kennen und einhalten. Bei Verstößen gibt es Verwarnungen, die in letzter Konsequenz zum Entzug der Benutzungskarte führen.

Das Computerraum-Gremium bilden Christian, Friedjoff (15) und Pia (13). Wie sehen die Schüler eigentlich diese Schule? Friedjoff aus Steinau beschreibt: "Für mich ist die Oberndorfer Schule am besten und am entspanntesten. Auf meinen vorigen Schulen hatte ich Probleme mit Lehrern, aber auch mit anderen Schülern. Hier ist der Umgang ganz anders. Viel freundlicher - und das gefällt mir. Wenn man Lust hat, kann man was machen, aber man kann sich auch freinehmen." Vorher ging er zur Gesamtschule Bad Bederkesa und auf die Waldorfschule Cuxhaven. Die Osterbrucherin Pia fühlt sich ebenfalls gut aufgehoben. "Hier ist ziemlich alles anders. Vorher hatte ich total viel Druck. Damit kam ich gar nicht klar. Ich konnte nichts mehr tun." In Oberndorf hingegen könne sie gezielt auf ihren Traumberuf hinarbeiten. Pia möchte Tierärztin werden. Eigentlich müsse sie Englisch lernen, aber zurzeit mache sie viel Mathe, verrät die Schülerin. Wo sie wissensmäßig steht, überprüft sie regelmäßig per Online-Tests. Außerdem verbringt sie viel Zeit damit, einen Roman zu schreiben. "Das Schreiben entspannt mich, das lässt mich alles um mich herum vergessen."

Wie auch Pia besuchte Emelie aus Neuhaus zuvor das Gymnasium Otterndorf. In Oberndorf sind auch ihre beiden Schwestern. "Zirkus, Sport und Mathe gefällt mir hier am besten", lächelt die Zwölfjährige. Sie vollbringt in der Zirkusstunde in der Aula auf dem Einrad artistische Kunststücke und saust sogar ohne Probleme auf der sogenannten "Giraffe", das ist ein Hoch-Einrad, gekonnt über die Fliesen. "Die Schule hier ist viel freier, viel besser - und es gibt viel nettere Lehrer", so ihr dickes Lob.

Das kann auch Vater Dany nur so unterstreichen und zollt den Lernart-Schulgründern und -trägern Christian Beckmann und Franziska Hartmann allergrößten Respekt: "Mit dieser Schule haben die beiden bereits in jungen Jahren ihr Lebenswerk auf die Beine gestellt."

Konzept und Finanzierung:

Zum Konzept: Die Freie Schule Oberndorf erhebt den Anspruch besonderer pädagogischer Bedeutung. Sie möchte Antworten auf immer lauter werdende Rufe nach "neuen" und anderen Ansätzen im Miteinander mit Kindern und Jugendlichen in dieser sich rasch verändernden Zeit geben.

"Wir schaffen Räume für junge Menschen und Erwachsene, in denen die Forderungen nach Respekt für die Individualität und Selbstständigkeit jedes Menschen konsequent während des gesamten Schultages und als Grundhaltung dem Leben gegenüber gelebt werden", heißt es wörtlich.

Pädagogische Grundlage bildeten reformpädagogische Überlegungen, kombiniert mit stets zu aktualisierenden und in Konzept und Schulalltag zu integrierenden Erkenntnissen und Erfahrungen aus Theorie und Praxis verschiedenster Wissenschaften sowie bestehender Alternativschulen und ähnlicher Einrichtungen .

Finanzierung: Eltern leisten zurzeit finanziell eine einmalige Bürgschaft in Höhe von 3000 Euro pro Schüler. Das monatliche Schulgeld wird nach einer Sozialstaffel berechnet, es beträgt beispielsweise für das erste Kind mindestens 100 Euro und höchstens 250 Euro. Geschwisterkinder zahlen weniger. Eine einmalige Aufnahmegebühr von 500 Euro wird für jeden Schüler fällig. Erhoben werden monatliche Verpflegungskosten von 50 Euro pro Schüler und Monat. Wert gelegt wird auf vollwertige, ausgewogene und bewusste Ernährung. Lebensmittel sollen daher überwiegend aus regionaler Erzeugung und Verarbeitung, die den Biostandards entspricht, bezogen werden. Erziehungsberechtigte verpflichten sich vertraglich, pro Monat mindestens vier Elternmitarbeiterstunden abzuleisten.

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Wiebke Kramp

Redakteurin
Cuxhavener Nachrichten/Niederelbe-Zeitung

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