Erwin Heiber hat seine Boxhandschuhe in seinem Haus in Stade an den berühmten Nagel gehängt. Nur für das Foto hat er die Handschuhe angezogen. Den DM-Gürtel hat er eingerahmt. Foto: Lütt
Erwin Heiber hat seine Boxhandschuhe in seinem Haus in Stade an den berühmten Nagel gehängt. Nur für das Foto hat er die Handschuhe angezogen. Den DM-Gürtel hat er eingerahmt. Foto: Lütt
Boxen

Hemmoorer Boxer beinahe Europameister: Das macht Erwin Heiber heute

von Frank Lütt | 01.12.2020

HEMMOOR. Mit etwas mehr Glück hätte aus Erwin Heiber eine ganz große Nummer im Profiboxsport werden können. Der gebürtige Hemmoorer war zwei Mal ganz dicht dran am EM-Titel.

Das hätte sicherlich weitere große Kämpfe mit lukrativen Börsen bedeutet. So bleiben dem heute 64-Jährigen schöne Erinnerungen an seine glorreichen Zeiten in den 1970er- und 1980er-Jahren. Und auch wenn es knapp war mit dem Sprung in die Weltspitze, so ist er doch mehr als zufrieden mit seinem Leben.

Erwin Heiber hat sich buchstäblich durchs Leben geboxt. Er wuchs zusammen mit neun Geschwistern, vier Brüder und fünf Schwestern, und seinen Eltern im Hemmoorer Stadtteil Westersode auf - die ersten Jahre direkt neben dem Sportplatz, dann ab 1960 in einem selbst gebauten Eigenheim. Es hat nicht lange gedauert, bis der Boxsport ins junge Leben von Erwin trat. "Wir Jungs haben ja schon zu Hause damit angefangen. Eben mal die Möbel beiseite gerückt, und dann ging's los", schildert der seit 29 Jahren in Stade lebende Ex-Sportler. Zum vereinsmäßigen Boxen hat ihn sein älterer Bruder Albert gelotst. Mit gerade einmal acht Jahren hat Erwin 1965 in der erst kurz zuvor gegründeten Abteilung des TSV Eiche Warstade begonnen.

Kampf gegen den Bruder

Der erste Kampf ließ nicht lange auf sich warten. Gegen seinen vier Jahre älteren Bruder Fred musste Erwin in den Ring steigen. Wie üblich wurde dieser Einlagekampf unentschieden gewertet. Heiber ergänzt mit seinem typischen, verschmitzten Lächeln: "Dafür gab es ‘ne Tafel Schokolade." Sein Talent wurde gefördert von seinem Trainer Manfred Ulrich, der ihn bis zur Deutschen Juniorenmeisterschaft im Jahr 1973 brachte. Für den 17-Jährigen gab es damals sogar einen riesigen Empfang am Bahnhof.

"Danach musste ich raus, um mich weiter zu entwickeln", erklärt der heute 64-Jährige seine Entscheidung, 1974 mit gerade einmal 18 Lenzen zum Boxclub Heros nach Hamburg zu wechseln. Heiber musste sich schon umstellen: "Das war schon was ganz anderes. Das war knallhartes Training. Wir mussten erst draußen acht Mal 400 Meter laufen, erst dann ging es rein - dann ging es mit Sandsack-Arbeit und Sparring weiter." In der Hansestadt hatte der junge Mann ein Zimmer, aber irgendwann zog es ihn noch einmal zurück nach Hemmoor. Der gelernte Maurer musste zur Bundeswehr. Während seines Wehrdienstes entschied er, Profi werden zu wollen. Mittlerweile pendelte er zwei- bis dreimal pro Woche für das Training von Hemmoor nach Hamburg. "Mein Bruder Albert war damals schon auf dem Kiez und hatte Kontakte zur Ritze. Da habe ich dann trainiert", beschreibt Heiber, warum er den Weg in den berühmten Boxkeller gefunden hatte.

800 Mark, aber nur ein Hobby

Für seinen ersten Profikampf im Jahr 1976 erhielt er 800 Mark. Hört sich für damalige Verhältnisse im ersten Moment stattlich an, aber Heiber ergänzt: "Wenn man den ganzen Aufwand abrechnet, dann war das doch unterm Strich nur Hobby." Der junge Berufsboxer bestritt nun diverse Kämpfe, die ersten fünf entschied er alle für sich, aber die ganz große Börse war noch nicht dabei. "In der Zeit konntest Du auch nicht das große Geld verdienen", so Heiber, der dann jedoch Anfang der 1980er-Jahre schon etwas mehr verdiente.

Richtig spürbar hoch ging es mit den Gagen ab 1983. Der nur 1,72 Meter große Faustkämpfer gehörte eigentlich dem Weltergewicht an (bis 66,75 Kilogramm) an, doch mehrere bedeutende Fights lieferte er eine Gewichtsklasse darüber (Halbmittelgewicht, bis 71 Kilogramm) ab. Im Juli 1983 verlor er seinen ersten Titelkampf als Profi nach Punkten. Es ging um die Deutsche Meisterschaft der Berufsboxer im Mittelgewicht. Er unterlag Jean-André Emmerich nach Punkten. Doch Heibers zweite Chance kam schon im Februar 1984. In der Alsterdorfer Sporthalle in Hamburg gab es die Revanche. Der Hemmoorer siegte vor fast 2000 Zuschauern nach Punkten. "Das war eine enge Kiste, aber absolut zu vertreten", tritt Heiber dem Vorwurf von Emmerich entgegen, dass das Ergebnis ungerecht ausgefallen sei.

Unbezahlter Urlaub für den Kampf

Dieser Titelgewinn fiel in die Zeit, als er sich beruflich veränderte. Der Maurer wechselte vom Bau zum Hemmoorer Bauhof. Nun war es so, wenn er sich intensiv auf einen großen Kampf vorbereiten wollte, dass er für das aufwendige Training ein paar Wochen unbezahlten Urlaub nehmen musste. So unter anderem bei der beeindruckenden Titelverteidigung im Mai 1987 gegen Jürgen Broszeit. Ein technischer K.o. in der zweiten Runde beendete diesen Kampf, der damit auch beste Werbung für höhere Aufgaben, sprich internationale Einsätze, war. Im August endete ein Kampf gegen den Niederländer John van Elteren, immerhin Benelux-Meister, remis, obwohl Heiber hier zweimal zu Boden ging.

Was dann folgte, war einer seiner besten von insgesamt 37 Profikämpfen. In Morges am Genfer See ging es im Oktober 1987 um den EM-Gürtel im Weltergewicht. Sein Gegner war der neun Jahre jüngere und favorisierte Italo-Schweizer Mauro "Magic" Martelli. Heibers Cheftrainer, kein Geringerer als Box-Ikone René Weller, war begeistert von dem Kampf, weil sich sein Schützling an die vorgegebene Marschroute gehalten hatte. Über die gesamte Distanz von zwölf Runden wog der Kampf hin und her. Am Ende hatten zwei der drei Kampfrichter den Schweizer Martelli vorn gesehen, der Dritte punktete für Heiber. "In Deutschland hätte ich gewonnen", deutet Heiber an, dass der Heimvorteil beim Boxen durchaus eine Rolle spielen kann. Immerhin gab es für den Hemmoorer ein Trostpflaster über 50.000 Mark.

Durch Zufall zum zweiten EM-Kampf

Im darauffolgenden Jahr erhielt Heiber sehr kurzfristig eine zweite EM-Chance. "Ich war mit René Weller, der sich auf einen Weltmeisterschaftskampf vorbereitete, gerade in Florida, als mich der Box-Promoter Hans-Peter Kohl anrief", erinnert sich Heiber. Wellers WM-Kampf platzte und so musste ein neuer Hauptkampf für den Abend arrangiert werden. So ergab sich die Möglichkeit für Heiber, erneut um die EM-Krone zu boxen, dieses Mal gegen den Franzosen René Jacquot.

Die Voraussetzungen waren aber nicht optimal. Zwar war Heiber voll im Training, aber wegen der Kurzfristigkeit litt er nach dem Flug von Florida nach Hamburg unter dem Jetlag und er musste wieder eine Gewichtsklasse höher antreten. Dennoch lieferte er eine engagierte Leistung in dem über zwölf Runden angesetzten Fight vor 2000 Fans in der Alsterdorfer Sporthalle. "Ich hatte ihn auch angeschlagen, aber dann kam sein Konter an mein Kinn", erinnert sich der heute in Stade lebende Boxer. "Die Wirkung des Schlags habe ich noch lange gespürt, aber K.o. gegangen bin ich nicht, das bin ich als Profi nie. Einmal als Amateur traf es mich."

Keine Kraft mehr zum Weitermachen

In der elften und vorletzten Runde warf Heibers Ecke das Handtuch als Zeichen der Aufgabe. "Ich war stehend K.o., obwohl der Kampf bis dahin relativ ausgeglichen war", so die Einschätzung des Unterlegenen. "Dann war der Traum aus - auch vom großen Geld, als Titelverteidiger wären ganz andere Börsen drin gewesen." Der Franzose Jacquot hat anschließend Kasse gemacht. Er wurde später durch einen Sieg über den US-Amerikaner Donald Curry sogar Weltmeister.

Noch ein bedeutender Kampf folgte für Heiber, nämlich im Februar 1989, es sollte aber auch sein letzter sein. Er verlor seinen Deutschen Meistertitel an José Varela durch Abbruch in der fünften Runde. "Mein Auge war mächtig aufgeplatzt. Das haben die noch in der Kabine genäht", so Heiber, und weiter: "Es sollte wohl nicht mehr sein. Da war ich aber auch schon 34." Das Aufhören als Berufsboxer nach dieser Niederlage sei ihm nicht schwer gefallen. "Ich möchte die ganze Zeit aber auch nicht missen."

Das Leben neben dem Boxsport

Es war der richtige Zeitpunkt, sich auf das Leben neben dem umspannten Viereck zu konzentrieren. Mit seiner Frau zog er nach Pforzheim, doch der Norden hatte eine größere Anziehungskraft, 1990 ging es zurück nach Hemmoor und kurz danach nach Stade. Heiber begann erst in Bremen und später in Hamburg bei Daimler in der Automobilindustrie zu arbeiten. Anfang 1992 kam Tochter Rilana zur Welt. Auch wenn Heiber mittlerweile von seiner Frau geschieden ist, verstehen sich beide heute noch prächtig und sie sind beide mächtig stolz auf ihre Tochter, die Staatsanwältin ist. "Unser ganzer Stolz."

Zu Heibers Zufriedenheit kommt hinzu, dass er körperlich fit ist. "Ich gehe auf die 65 zu und fühle mich wohl", betont er und führt den Kaffeebecher zum Mund. Jetzt als Rentner nimmt er sich auch Zeit für andere Dinge. Stolz zeigt er seine beiden neuesten Errungenschaften in der Garage. Neben einem E-Bike steht ein Motorrad. "Den Traum von der Harley Davidson hatte ich schon immer und im letzten Jahr habe ich ihn mir erfüllt. Das hätte ich schon viel früher machen müssen", erklärt Heiber das Gefühl einer ganz neuen Freiheit, die er in vollen Zügen genießen will, "wenn denn dann endlich diese verdammte Corona-Zeit vorbei ist".

Kampfstatistik

Kämpfe: 37

Siege: 23

K.-o.-Siege: 9

Niederlagen: 6

Unentschieden: 8

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Frank Lütt

Redakteur
Cuxhavener Nachrichten/Niederelbe-Zeitung

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