
Jahrhundertwinter im Cuxland: Freud und Leid
KREIS CUXHAVEN. Die Serie "Das weiße Chaos" wirft einen Blick auf den Winter 1978/79. Leser schicken eine Flut an Fotos und Geschichten zur Schneekatastrophe.
Von Eis und Schnee ist dieser Tage im Cuxland keine Spur. Ganz anders war es vor 40 Jahren, als sich in Norddeutschland eine regelrechte Schnee-Katastrophe abspielte. Zahlreiche Leserinnen und Leser sind unserem Aufruf gefolgt und haben uns ihre Erinnerungen an den Jahrhundertwinter 1978/79 zugeschickt. Die Flut an Fotos und Geschichten reißt nicht ab.
Sehr lebendige Erinnerungen an den Winter vor 40 Jahren hat Barbara Mauersberger aus Cuxhaven-Altenwalde: "Wir haben die Schneekatastrophe im Bussardweg erlebt. Wir sind mit den Skiern auf der Hauptstraße gelaufen, denn es gab ja keinen Autoverkehr. Für unsere Kinder war der viele Schnee ein Riesenspaß." Da kein Räumfahrzeug in die Sackgasse Bussardweg kam, versuchten die Bewohner, den Schnee gemeinsam von der Straße zu schaufeln. "Als wir schon viel geschafft hatten, kam dann doch noch ein Räumfahrzeug, da in unserer Straße der Feuerwehrarzt Dr. Müller wohnte. Er hatte zuvor seine kranken Patienten teilweise zu Fuß erreicht."
Sandra Wilhelm aus Nordholz kann sich an den Jahrhundertwinter selbst nicht mehr erinnern, da sie zu dieser Zeit erst zwei Jahre alt war, aber sie hat tolle Bilder ihres Vaters "ausgegraben": "Die Fotos stammen hauptsächlich aus unserem Wohnort Nordholz, aber auch aus der näheren Umgebung", schreibt sie per E-Mail. Im Eiswasser "gestrandete" Kutter in Dorum-Neufeld, die hinter Schneebergen versteckte Nordholzer Mühle und Panzer, die sich durch das weiße Chaos kämpfen: Einige dieser Fotos zeigen, "mit welchem Aufwand und welchem technischen Gerät die Schneemassen geräumt wurden".
Eine Winterklassenfahrt der besonderen Art erlebte Albrecht Schulze aus Neuenkirchen. Der ehemalige Lehrer saß im Februar 1979 mit drei Klassen der Otterndorfer Wittmackschule in der Jugendherberge Clausthal-Zellerfeld fest: "Während wir uns im Harz im Schnee vergnügten und uns mit Schlitten die waghalsigsten Abfahrten hinunterstürzten, versank unser Land Hadeln in vom Sturm aufgetürmten Schneemassen. Unser Busunternehmer, Herr Offermann, informierte uns, dass er keine Ausnahmegenehmigung bekäme, uns am Sonnabend nach Hause abzuholen. Die nächsten angemeldeten Gruppen reisten aber bereits zur Jugendherberge an, die daher aus allen Nähten platzte. Für uns waren schon Notbetten in den Tagesräumen aufgestellt worden und wir versuchten, die Kinder mit Spielen zu beruhigen. Über Rundfunk wurden die Eltern informiert, dass ihre Kinder nicht nach Hause kommen könnten."
Dann kam der erlösende Anruf des Busunternehmers Offermann: Er hatte völlig überraschend doch noch eine Fahrgenehmigung bekommen. "Ganz spät am Abend mussten wir schnellstmöglich den Bus besteigen und ab ging die Fahrt. Zunächst waren die Straßen mit relativ wenig Schnee bedeckt. Ab etwa Soltau wurde es dann aber dramatisch. Ein Schneeräumfahrzeug fuhr direkt vor uns und machte die Fahrspur einigermaßen frei. Der Schneepflug schaffte schließlich die Massen nicht mehr und es bahnten uns zwei Panzer der Bundeswehr die Fahrbahn. Die Kinder hingen völlig aufgeregt an den Fenstern und schnatterten laut herum."
Nachts, gegen drei Uhr, erreichte der Bus endlich den Schützenplatz in Otterndorf. Mit Feuerwehrfahrzeugen wurden die Kinder nach Hause in die umliegenden Dörfer gebracht. Spricht man die ehemaligen Schüler heute auf dieses Erlebnis an, "bekommen sie vor aufregender Erinnerung glänzende Augen", meint Schulze.
Rolf Kreis aus Cuxhaven erlebte 1978/79 spannende Winterwochen in seinem Lebensmittelladen an der Schulstraße: "Da ich mit dem Auto nicht fahren konnte und trotzdem morgens pünktlich in meinem Laden sein wollte, bin ich vom Altenbrucher Mühlenweg in Groden quer über die Felder gegangen, in beiden Händen eine Tragetasche mit Kartoffeln, da meine Kunden unbedingt Kartoffeln haben wollten. Jeder bekam fünf Kartoffeln. Die Kunden waren glücklich. Brot und Brötchen gab es auch nicht mehr, da die Bäcker kein Mehl mehr hatten. Das Mehl wurde dann, wenn ich mich richtig erinnere, mit dem Hubschrauber der Bundeswehr eingeflogen. Nachdem der Bäcker wieder Brot liefern konnte, bekam jeder Kunde drei Scheiben Brot. Da auch Edeka keine Waren auslieferte, war mein Laden bald leer - Hamsterkäufe."
Rolf Kreis bleibt der Katastrophenwinter auch durch die große nachbarschaftliche Hilfsbereitschaft in Erinnerung: "Die Anlieger der Rektor-Dölle-Straße haben versucht, die Straße freizuschaufeln. Jeder hat mit angepackt, ich natürlich auch. Aus fast jeder Tür kamen die Frauen mit einem Rumgrog raus, so wurde die Aktion sehr gesellig und lustig. Das Gleiche passierte auch im Altenbrucher Mühlenweg."