Jochen Fraatz holte 2008 als Co-Trainer der HSG Nordhorn noch einen internationalen Titel. Das Team aus seiner heutigen Heimat gewann den EHF-Pokal. Foto: Jens Wolf/dpa
Jochen Fraatz holte 2008 als Co-Trainer der HSG Nordhorn noch einen internationalen Titel. Das Team aus seiner heutigen Heimat gewann den EHF-Pokal. Foto: Jens Wolf/dpa
Neue CN/NEZ-Serie

Jochen Fraatz: Was macht eigentlich der erfolgreichste Sportler Cuxhavens?

von Frank Lütt | 26.11.2020

CUXHAVEN/NORDHORN. Jochen Fraatz galt zu seiner Glanzzeit als der weltbeste Linksaußen im Handball. Der heute 57-Jährige ist der erfolgreichste Sportler seiner Geburtsstadt Cuxhaven.

Er gewann mit der deutschen Nationalmannschaft 1984 Olympia-Silber, heimste insbesondere mit seinem ersten Bundesliga-Verein zahlreiche Titel auf nationaler Ebene ein, aber auch Europokalsiege. Er erzielte Tore am laufenden Band, entweder mit unbändiger Kraft oder mit technischer Raffinesse. Nicht umsonst wird er noch heute als der "König des Drehers" betitelt.

Sein ehemaliger Bundestrainer Simon Schobel sagte einmal über Jochen Fraatz: "So einer wie Scholle wird nur alle hundert Jahre geboren." Und für Petre Ivanescu war der gebürtige Cuxhavener "einer der begabtesten Handballer der Welt". Und auch der Ex-Bundestrainer Horst Bredemeier - von dem hat Fraatz wegen seines an der Nordsee gelegenen Geburtstortes den Spitznamen "Scholle" erhalten - stufte seinen Schützling als "einen der gefährlichsten Bundesligaspieler" ein. Jochen Fraatz gibt die Komplimente an diese drei Trainer gern zurück, wobei er einen im Gespräch mit unserem Medienhaus besonders hervorhebt: "Petre Ivanescu war der beste Trainer, den ich je hatte."

Dank an die Eltern

Und wie sieht es mit seinem Vater Fritz aus, der ihn schließlich durch die Ausbildung in jungen Jahren auf den Weg gebracht hat? "Mein Vater hat mich in der Jugend trainiert, das ist nicht vergleichbar mit dem Herrenbereich. Ivanescu hat es verstanden, aus mir alles herauszuholen mit seinen Maßnahmen, mit seiner Taktik." Dennoch ist Fraatz seinen Eltern Ursula und Fritz immens dankbar. "Sie haben mich immer unterstützt", betont er, und nach einer kleinen Pause fügt er hinzu: "Meine Eltern haben mich auch nie unter Druck gesetzt. Ich habe immer Lust beim Sport gehabt."

Beim Wachrütteln dieser Erinnerungen schwärmt der heute in Nordhorn lebende Fraatz: "Ich war immer gern in der Halle, ich bin damals in der Rundturnhalle quasi aufgewachsen." Während beispielsweise dort Spiele stattfanden, hat der kleine Jochen ununterbrochen am Rand mit einem Ball gespielt. Die Liebe zum Handball ist ihm aber auch quasi in die Wiege gelegt worden. Vater Fraatz war früher noch auf dem Großfeld Handball-Torwart beim Cuxhavener Sportverein (CSV), seine Mutter glänzte im linken Rückraum. Die Handballspieler des CSV fusionierten später mit dem ATSC zur SG Cuxhaven.

Ein Teenie bei den Herren

Cuxhavens Ausnahmetalent gehörte schon als A-Jugendlicher zu den Stützen in der ersten Herren, die unter anderem 1980 nicht nur Kreispokalsieger wurde, sondern auch noch die Meisterschaft in der Bezirksliga feierte. In diesem Team war übrigens auch ein Spieler, der dann als Fußballer eine steile Karriere hatte, nämlich Andreas Brandts. Doch die war nicht vergleichbar mit der von Jochen Fraatz. Schon mit zwölf Jahren hatte er seine erste Einladung zu einem Sichtungslehrgang, mit 15 gehörte er der B-Jugendauswahl des Deutschen Handballbundes (DHB) an. Das Talent fiel natürlich auch den Spähern aus der Bundesliga auf. Er war athletisch, trickreich und wieselflink. Als Flügelflitzer war er Tempogegenstoß-Spezialist. Seine Treffer erzielte er auf unterschiedliche Weise - mit viel Kraft, manche behaupteten damals, dass er Dynamit in den Armen hätte, oder auch mit technischer Brillanz. Seine Dreher, mit denen er die Torhüter verblüffte, waren gefürchtet. An diese enorme Schnellkraft im Handgelenk kam kein anderer heran, keiner hat den Ball am Keeper so vorbeigedreht wie es Fraatz tat. In den 1980-er-Jahren wurde der Cuxhavener in vielen Gazetten zurecht als "König des Drehers" bezeichnet. Sein Aufstieg zu einem Star ging rasant.

Höherklassig spielte er ab 1982. Im Juni folgte der Wechsel zum Turn- und Sportverein Essen-Margarethenhöhe, kurz TuSEM Essen genannt. Genau ein Jahr danach wurde er erstmalig für ein Länderspiel berufen, in Kragujevac feierte er gegen Rumänien sein Debüt im DHB-Trikot. Und wiederum ein Jahr danach ging "ein Traum in Erfüllung", wie Fraatz berichtet. Die deutsche Nationalmannschaft nahm mit dem Cuxhavener an den Olympischen Spielen in Los Angeles teil. Da war auch eine Menge Glück dabei, denn die DHB-Auswahl hatte sich gar nicht qualifiziert, rückte aber nach, weil einige Ostblock-Staaten Olympia in den USA boykottierten. "Ich habe viele große, sportliche Momente erlebt, ob die Deutschen Meisterschaften oder die Pokalsiege mit TuSEM oder auch die Erfolge im Europapokal, doch Olympia bleibt in Erinnerung, weil es ein Traum für jeden Sportler ist", erklärt Fraatz, aber er schränkt auch ein, dass er acht Jahre später Olympia in Barcelona "viel bewusster wahrgenommen" habe, obwohl das Abschneiden des deutschen Teams dann mit Platz zehn alles andere als gut war. 1984 überraschte Deutschland positiv. Das Team von Trainer Simon Schobel gewann all seine fünf Hauptrundenspiele und stand so als Gruppenerster im Finale gegen Jugoslawien. Dieses Aufeinandertreffen war spannend. Deutschland führte zur Pause mit 8:7. Bis zum 15:15 ging es hin und her. Dann verteidigten die Akteure vom Balkan aggressiver und offener und hatten damit Erfolg. Durch einen 3:0-Lauf lag Jugoslawien drei Minuten vor Schluss mit 18:15 vorn. Jochen Fraatz traf per Siebenmeter, das war sein insgesamt achtes Tor in diesem Finale. Er war damit bester Werfer des Endspiels. Anschließend verkürzte noch Erhard Wunderlich mit einem Gewaltwurf, doch die ausgebufften Jugoslawen mit dem Welthandballer Veselin Vujovic ließen sich nicht mehr die Butter vom Brot nehmen.

Siegeswille in jedem Spiel

Ob sich Fraatz heute noch über das verlorene Endspiel ärgert? Der Sportler antwortet: "Man ärgert sich über jedes Spiel, das man verloren hat, also bei mir ist das so. Aber wir haben Silber gewonnen und nicht Gold verloren. Hätten wir Bronze geholt, dann hätten wir das letzte Spiel des Turniers gewonnen. Dann wäre der Eindruck zum Schluss positiv gewesen." Durch den Gewinn der Silbermedaille gab es dann für Fraatz noch einen Schub nach vorn. Seine Bilanz in der Nationalmannschaft ist beeindruckend: Er traf in insgesamt 185 Spielen 809 Mal ins gegnerische Tor (davon 166 Siebenmeter). Und auch im Verein entwickelte er sich zu einer tragenden Säule.

Lange war er der überagende Torschütze bei seinem Verein. TuSEM feierte mit ihm die bisher drei einzigen DM-Titel (1986, 1987, 1989) und einzigen Pokalsiege (1988, 1991, 1992). Hinzu kamen zwei Europapokal-Erfolge. Acht Titel in 14 Jahren holte Fraatz mit den Essenern. Außerdem war der Linksaußen zweimal Bundesliga-Torschützenkönig (1991, 1992) und wurde viermal in die Weltauswahl berufen. In der Saison 1992/93 erlitt er einen Kreuzbandriss, der ihn viele Monate ausfallen ließ. Es folgten weitere Spielzeiten bei TuSEM, ehe er seine Laufbahn bei der HSG Nordhorn und beim TBV Lemgo fortsetzte. Insgesamt erzielte er in 438 Bundesligaspielen 2683 Tore, womit er die drittmeisten Tore in der Bundesligageschichte erzielte. Nur der Koreaner Kyung-Shin Yoon (2905) und der Däne Lars Christiansen (2875) haben mehr Treffer in der Bundesliga erzielt. Mit einem All-Star-Game in Münster Mitte 2001 beendete Jochen Fraatz seine aktive Karriere. Er wurde dann auch mit dem "Handball-Oscar" ausgezeichnet.

Comeback für Lemgo

Lemgo hat ihn aber noch mal überredet, die Sportschuhe anzuziehen. Beim TBV half er anschließend aus, weil der Verein viele Verletzte hatte. Anschließend engagierte er sich in seiner Wahlheimat, er fungierte als Trainer im Jugendbereich bei der HSG Nordhorn. Außerdem war er als Co-Trainer der damals aufstrebenden 1. Herrenmannschaft unter anderem für den Gewinn des EHF-Pokals (Europapokal 2008) mitverantwortlich.

Abseits der Sporthallen hatte Fraatz aber auch schon vorgesorgt für das Leben nach dem Sport. Er ist gelernter Sparkassenbetriebswirt. Mit seiner Familie hat er in der Grafschaft Bentheim eine Heimat gefunden. Mit seiner Ehefrau Katja hat er zwei Söhne. Der Nachwuchs ist, wie sollte es anders sein, ebenfalls sportlich. Der ältere Sohn Niklas spielt Fußball, jetzt studienbedingt in der Bezirksliga bei Vorwärts Nordhorn. Er war aber in der U19-Bundesliga für den SV Meppen aktiv. Sein jüngerer Bruder Yannick ist in die großen Fußstapfen des Vaters getreten, hat sich dem Handball verschrieben - und das auch mit großem Erfolg. Der 21-Jährige spielt für den Bergischen HC in der Bundesliga. Der Linkshänder gilt als eines der großen Talente im deutschen Handballsport.

Unterstützung für Kinder

Bei aller Freude über die sportlichen Erfolge seiner Söhne betont Jochen Fraatz aber: "Meine Frau und ich haben es genauso wie meine Eltern damals gehalten. Wir haben nie Druck ausgeübt." Außerdem hätte es auch durchaus ein ganz anderes Hobby sein können für die Kinder: "Wir haben unseren Jungs gesagt, Ihr könnt auch Briefmarken oder Ameisen sammeln, egal was Ihr macht, habt Spaß daran." Dennoch macht es Jochen Fraatz enormen Spaß, seine Jungs beim Sport zu beobachten. So oft es passt, würde er zu den Spielen gehen. Doch das hängt auch von seiner Tagesform ab. Bei dem ehemaligen Weltklasse-Handballspieler wurde im Jahr 2013 Multiple Sklerose diagnostiziert.

Er ist zuhause in besten Händen, seine Frau ist als Ärztin in der Neurologie tätig, aber die Krankheit macht ihm zu schaffen. Zwei Mal pro Woche gehe er zur Physiotherapie, verrät er. Viel reden möchte Jochen Fraatz über seine Erkrankung aber nicht: "Ich weiß, dass es bei dieser Erkrankung vielen anderen schlechter geht. Ich hoffe, dass es bei mir stabil bleibt."

Erfolge

Deutscher Meister (1986, 1987, 1989).

DHB-Pokalsieger (1988, 1991, 1992, 2002).

Europacup-Finale der Landesmeister (1988).

Europapokalsieger der Pokalsieger (1989).

Euro-City-Cup (1994).

Silbermedaille bei den Olympischen Spielen (1984).

Bundesliga-Torschützenkönig (1991 mit 207 Toren und 1992 mit 212 Toren, jeweils in der Nordstaffel).

Als Co-Trainer EHF-Pokal (2008).

Besonderheit

Als in einem Bundesligaspiel in der Saison 1986/87 gegen den VfL Gummersbach alle Torhüter des TuSEM Essen nicht einsatzfähig waren, stand Fraatz für 58 Minuten im Tor.

Neue Serie

Die CN/NEZ-Sportredaktion ruft mit ihrer neuen Serie "Was macht eigentlich...?" ehemalige Größen des Sports aus dem Kreis Cuxhaven in Erinnerung. Im ersten Teil ist es der Handballspieler Jochen Fraatz.

CNV-Nachrichten-Newsletter

Hier können Sie sich für unseren CNV-Newsletter mit den aktuellen und wichtigsten Nachrichten aus der Stadt und dem Landkreis Cuxhaven anmelden.

Wie hat Ihnen der Artikel gefallen?

(1 Stern: Nicht gut | 5 Sterne: Sehr gut)

Feedback senden

CNV-Nachrichten-Newsletter

Hier können Sie sich für unseren CNV-Newsletter mit den aktuellen und wichtigsten Nachrichten aus der Stadt und dem Landkreis Cuxhaven anmelden.

Die wichtigsten Meldungen aktuell


Bild von Frank Lütt
Frank Lütt

Redakteur
Cuxhavener Nachrichten/Niederelbe-Zeitung

fluett@no-spamcuxonline.de

Lesen Sie auch...
Handball

Kader des TSV Altenwalde schrumpft: Personalnot vor wichtigem Heimspiel

von Jan Unruh

ALTENWALDE. Vor dem Heimspiel am Sonnabend, 15. Oktober, plagen sich die Altenwalder Handball-Damen mit großen personellen Sorgen herum. 

Fußball

Rot-Weiss Cuxhaven will magere Heimbilanz aufpolieren

von Jan Unruh

CUXHAVEN. Sechs Spiele, fünf Niederlagen - die Auftritte auf der heimischen Kampfbahn waren für Landesliga-Aufsteiger Rot-Weiss Cuxhaven in dieser Saison wenig erfolgreich. Das soll sich ändern.

Sportanlage

Kostenexplosion: Millionen-Projekt in Cuxhaven fällt deutlich kleiner aus als geplant

von Jan Unruh

CUXHAVEN. Die Sportanlage in Groden soll modernisiert werden - für über zwei Millionen Euro sollte das gesamte Areal runderneuert werden. Nun fällt die Umsetzung deutlich kleiner aus. Und der Zeitdruck wächst. 

Fußball

Masters-Cup in Cuxhaven soll wieder stattfinden - mit einschneidender Veränderung

von Jan Unruh

CUXHAVEN. Die Vorbereitungen für das anstehende Turnier laufen auf Hochtouren. Allerdings wird daran ein bekanntes Gesicht nicht mehr mitwirken.