
"Konnten nicht Lebewohl sagen": Altenpflegerin aus Cuxhaven berichtet von Corona-Alltag
CUXHAVEN. Sie kümmern sich um andere und geraten täglich an die Grenzen ihrer Belastbarkeit: Pflegekräfte sind wahre Helden. Sabrina Dreyer (36) ist eine von ihnen.
Die Pflegedienstleitung der Diakonie Sozialstation Cuxhaven und ihr Team erlebten im Frühjahr 2021 einen Corona-Ausbruch im Seniorenheim "Martin-Luther-Haus". Das hat Spuren hinterlassen.
"An den Tag, als Corona bei uns im Heim ausbrach, erinnere ich mich gut", sagt Sabrina Dreyer. Der Anruf aus dem Krankenhaus kommt, als sie gerade im Büro sitzt. Eine Bewohnerin wurde nach Einlieferung in die Klinik positiv getestet. Sofort muss gehandelt werden. Normalerweise ist Sabrina Dreyer für die Organisation des Teams zuständig und arbeitet daher überwiegend vom Büro aus.
Nur bei Personalausfällen springt sie für Fahrten oder im Seniorenheim ein. Jetzt ist sie auch dafür zuständig, alle Patienten sowie das Personal zu testen. Dreyer schildert: "Noch am selben Tag wurde ich losgeschickt, um alle Bewohner zu testen." Dabei kommt heraus, dass bereits mehrere der Senioren infiziert sind. Der Ausbruch beschränkt sich auf eine Etage des Martin-Luther-Hauses.
"Es fühlte sich kalt an"
Alle 32 Bewohner müssen sofort isoliert werden und dürfen ihre Zimmer nicht mehr verlassen. Die 36-Jährige weiß noch, wie es war, über den menschenleeren Flur der Etage zu gehen. "Es fühlte sich kalt an", sagt sie. Dabei sei der Ort ansonsten geprägt von Wärme.
Die Unsicherheit im Team ist groß. Die Angst sich selbst und dadurch die Schutzbefohlenen anzustecken ist ein ständiger Begleiter im Arbeitsalltag. Deshalb hadern manche Kollegen damit, die Zimmer eines Infizierten zu betreten.
Schwer zu verkraften
Doch der Job muss trotzdem gemacht werden. "Die Menschen mussten weiterversorgt werden", betont Dreyer. Obwohl der Tod zum Beruf dazu gehört, ist die Beobachtung des schnellen, körperlichen Abbaus der infizierten Senioren für das gesamte Team schwer zu verkraften.
An einem Tag seien die Patienten munter gewesen und haben am Tisch zu Mittag gegessen, kurze Zeit später konnten sie nicht mehr aus dem Bett aufstehen. Dreyer beschreibt: "Zu sehen, wie schnell ein Leben vorbei sein kann, ist schlimm." Besonders für die Mitarbeiter, die die sterbenden Senioren pflegten.
Verstirbt ein Mensch im Seniorenheim, ist es normalerweise üblich, dass sich die Angehörigen vor Ort verabschieden. Das war während des Ausbruchs nicht möglich. "Die Angehörigen durften nicht Lebewohl sagen."
Ungefähr vier Wochen grassiert das Virus im Heim. Für die Mitarbeiter ist der Ausbruch eine immense Belastung. Stress und Ängste sind ein stetiger Begleiter während der Arbeit. Das Virus macht auch vor den Mitarbeitern nicht Halt. Als eine der Pflegekräfte positiv getestet wird, bricht sie in Tränen aus. "Die war fertig mit der Welt", sagt Dreyer.
Test fällt positiv aus
Auch sie selbst steckt sich infolge des Ausbruchs an. "Eine Kollegin sagte zu mir, dass ich fiebrig aussehe." Krank fühlt sich die 36-Jährige nicht, lässt sich aber testen. "Ich dachte, ich wäre kaputt von den langen Tagen auf der Arbeit", schildert sie.
Dann am nächsten Tag der große Schock: der PCR-Test ist positiv. Zu der Zeit sieht sie durch ihre Aufgabe als Testerin täglich alle Bewohner, Mitarbeiter und sogar die Leitungsetage. "Die Angst davor, jemanden angesteckt zu haben, war schlimm", sagt Dreyer.
Skepsis wegen Lockerungen
Zum Glück gibt es Entwarnung: Es kam zu keiner Ansteckung. Kurze Zeit später ist der Ausbruch überstanden. Dreyer und ihr Team haben es geschafft, in dieser Zeit nicht den Mut zu verlieren. "Die Dankbarkeit der Bewohner gibt mir immer Kraft", schildert Dreyer. Auch schöne Momente und Gespräche mit ihren Freunden und der Familie stützen die Altenpflegerin. Dazu versucht sie sich abzulenken, indem sie ihre Wohnung auf Vordermann bringt oder lange Spaziergänge macht.
Weiteren Lockerungen der Corona-Regeln blickt Dreyer skeptisch entgegen. "Zu Beginn der Pandemie hat man uns sozusagen weggesperrt, jetzt wird alles gelockert." Das fühle sich komisch für sie an, obwohl ihr bewusst sei, dass das womöglich an der hohen Impfquote liege. Dennoch ist sie besorgt um einen Ausbruch unter den Kollegen. "Die Pflege ist dann nicht mehr so gesichert, wie sie sein sollte." Darunter leiden vor allem die Bewohner, aber auch die Angestellten. Dreyer betont: "Keiner geht dann mit einem guten Gefühl nach Hause."
Sabrina Dreyer, ihre Kollegen und Kolleginnen wünschen sich mehr Unterstützung von der Politik. Mit Blick in die Zukunft sei mehr Personal unabdingbar. Sabrina Dreyer wünscht sich nur eines: "Mehr Zeit für das Menschliche."