
Kreis Cuxhaven: Wie Kinder unter der Pandemie leiden
KREIS CUXHAVEN. Den Kindern und Jugendlichen in Deutschland geht es schlecht. Grund dafür sind allerdings nicht Ansteckungen mit dem Corona-Virus, sondern die Auswirkungen der Pandemie-bedingten Einschränkungen
Den Kindern und Jugendlichen in Deutschland geht es schlecht. Grund dafür sind allerdings nicht Ansteckungen mit dem Corona-Virus, sondern die Auswirkungen der Pandemie-bedingten Einschränkungen: Veränderungen der Alltagsstruktur, Bewegungsmangel und Vereinsamung fordern jetzt ihren Tribut auf Kosten der Gesundheit. Auch im Landkreis Cuxhaven sieht es für die Kinder düster aus.
Studie zeigt: Kinder und Jugendliche leiden unter verschiedenen Beschwerden
Wissenschaftliche Untersuchungen der Abteilung Child-Public Health des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf zeigen: Die Auswirkungen der Corona-Maßnahmen auf Kinder und Jugendliche sind verheerend. 83 Prozent der über 1000 befragten Heranwachsenden gaben an, unter den Pandemie-Maßnahmen zu leiden. Fast zwei Drittel berichteten von Lernschwierigkeiten in der Schule, 30 Prozent schilderten außerdem psychische und psychosomatische Symptome, wie Ängste, Antriebslosigkeit, Kopfschmerzen oder Bauchweh. Im Landkreis Cuxhaven ist dieses Problem ebenfalls präsent.
Soziale Ängste und schulische Probleme
"Kinder und Jugendliche kommen mit vermehrtem Redebedarf in unsere Praxis", bestätigt die Otterndorfer Kinderärztin Verena Steinhorst. Häufige Gründe dafür seien unter anderem schulische Probleme, aber auch körperliche Beschwerden wie Bauchschmerzen oder Kopfweh. Aber das ist nicht alles, erklärt Steinhorst: "Soziale Ängste spielen derzeit eine große Rolle." Kinder zeigten sich beispielsweise in der Sprechstunde zunehmend kontaktscheu. Das liege zum einen am gesteigerten Medienkonsum während des Shutdowns, aber auch an der Minderung sozialer Kontakte, so Steinhorst.
Corona-Maßnahmen als Ursache
Homeoffice, Online-Unterricht und der veränderte Familienalltag führten die Familien im Landkreis in den vergangenen Monaten an die Grenze ihrer Belastbarkeit. Steinhorst fährt fort: "Viele Eltern waren stark überfordert." Der Bewegungsmangel durch ausfallende Sportangebote und fehlende Vereinsaktivität, habe außerdem zur Folge, dass derzeit viele Kinder und Jugendliche unter Übergewicht leiden "Familien sollten jetzt versuchen, einen normalen Alltag zu leben", betont Steinhorst. Die niedrigen Inzidenzen müssen dafür genutzt werden, Ausflüge zu machen, Verabredungen zu vereinbaren und Sportangebote wahrzunehmen.
Viele Kinder erkranken jetzt an Erkältungsviren
Das erweist sich jedoch für viele Familien derzeit als problematisch. Viele Kinder werden krank. Und während sich im vergangenen Winter die Grippe-Saison außergewöhnlich unspektakulär zeigte, steigen die Zahlen der Infektions-Krankheiten abseits von Covid-19 in diesem Sommer an. Unter anderem infizieren sich Kinder mit dem Respiratorischen Synzytial-Virus (RSV), aber auch Influenza A (Grippevirus) und Rhinoviren sorgen für Vorstellungen in der Notaufnahme. Deutschlands größte Kinderklinik, das Olgahospital in Stuttgart, verzeichnete laut Tagesspiegel einen doppelten Anstieg dieser Krankheitsfälle im Vergleich zu dem saisonal Üblichen.
Erkältungswelle setzt verzögert ein
"Im Winter fand eine Immunisierung mit bestimmten Erregern nicht statt", erklärt der Bremer Virologe Andreas Dotzauer. Es sei zu beobachten gewesen, dass durch Shutdown, Hygienemaßnahmen sowie Maskentragen, die typischen Winter-Infektionen ausblieben. Durch die Lockerungen verschieben sich die Erkältungswellen nun auf den Spätsommer, Herbst und Winter. Das liege aber nicht daran, dass das Immunsystem durch die Maßnahmen nicht stark genug sei, so Dotzauer. "Unsere Abwehrkräfte müssen nicht trainiert werden", betont er. Das Immunsystem sei ständig Erregern ausgesetzt und bekämpfe diese. Der Kontakt zu den typischen Erkältungsviren habe im Winter gefehlt.
Auch in Cuxhaven vermehrt Atemwegsinfekte bei Kindern
Die Lockerungen der Corona-Maßnahmen sorgen dafür, dass die Auseinandersetzung des Immunsystems mit den entsprechenden Keimen zeitverzögert nachgeholt werde. Besonders gefährlich für kleine Kinder und Säuglinge sei das Respiratorischen Synzytial-Virus. "In der Cuxhavener Kinderklinik sind bislang keine RSV-Fälle nachgewiesen", entwarnt Chefärztin Bettina Loza. Allerdings träten vermehrt andere Atemwegserkrankungen auf, bei denen eine sogenannte "Medium Care Behandlung" mit Sauerstoffgabe notwendig sei. Insgesamt stellen sich laut Loza derzeit ungewöhnlich viele Kinder in der Notaufnahme vor. Loza vermutet: "Das könnte daran liegen, dass dieses Jahr wesentlich mehr Familien in Deutschland Urlaub machen."
Bremer Virologe sieht Ausblick auf Herbst kritisch
Laut Robert Koch-Institut (RKI) ist der Ausblick auf die kommende Herbstzeit und somit die nächste Erkältungssituation ernüchternd. In einem RKI-Bericht heißt es: "Im Herbst ist ein paralleler Anstieg von Sars-CoV-2, Influenza und RSV aufgrund der reduzierten Grundimmunität zu erwarten." Durch das gleichzeitige Auftreten der Krankheiten könne es zu einer "deutlichen Gesundheitsbelastung" kommen. Auch Virologe Dotzauer sieht die kommenden Monate kritisch. "In gewissen Situationen, wie in Bussen und Bahnen, sollten Masken getragen werden, so blöd es auch ist."