
Lena Petermann aus Otterndorf spielt in Frankreich
MONTPELLIER. Die deutsche Fußball-Nationalspielerin Lena Petermann spielt seit Sommer sehr erfolgreich in der 1. französischen Liga. Die Otterndorferin kickt für HSC Montpellier.
Petermann kann auf dem Platz endlich wieder das tun, was sie am besten kann: Tore schießen. Lange neun Monate machten ihr zuvor anhaltende Fußprobleme zu schaffen, die sie in der Rückrunde bei Turbine Potsdam komplett außer Gefecht setzten. Die Diagnose: Plantarfasziitis, auch bekannt als Fersensporn. Die Ausfallzeit: ungewiss. "Es ist das Schlimmste für einen Sportler, wenn du überhaupt nicht weißt, wie lange du aussetzen musst", erinnert sie sich. "Das hat die ganze Zeit auch psychisch zu einer so großen Herausforderung gemacht." Dass sie am Ende ein Dreivierteljahr zum Zuschauen verdammt ist, hätte sie anfangs nicht für möglich gehalten.
Nachdem in Potsdam lange keine Besserung eintreten wollte, entschied sich Petermann im Mai auf eigene Initiative dazu bei Dr. Klaus Eder im bayerischen Donaustauf in Behandlung zu gehen. Eder gehört zu den renommiertesten Sport-Physiotherapeuten des Landes. Erst im vergangenen Jahr trat er nach über 30 Jahren als Physio der deutschen Herren-Nationalmannschaft zurück. Er nahm in diesem Zuge an acht Weltmeisterschaften teil, wobei er bereits 1990 beim WM-Titel unter Franz Beckenbauer in Italien zum Team gehörte. Mit seiner Erfahrung gelang es ihm und seinen Physio-Kollegen nun auch, Petermanns Fußprobleme in den Griff zu bekommen. Über vier Wochen erhielt sie dort täglich vier bis sechs Anwendungen.
Neuanfang sollte her
In dieser Zeit begann die 25-Jährige parallel ihren Neuanfang zu planen. Die schwere Zeit in Potsdam wollte sie hinter sich lassen, auch ein sportlicher Tapetenwechsel sollte her. Vor ihrer Verletzung legte sie mit sieben Toren in zehn Spielen zwar eine starke Quote hin, allerdings wollte Petermann auch auf Vereinsebene einen neuen Impuls setzen.
Über ihren Berater entstand der Kontakt zum HSC Montpellier, der aktuell dritten Kraft im starken französischen Frauenfußball. Sie verschaffte sich vor Ort einen Eindruck vom Umfeld und den Vereinsstrukturen. "Die Atmosphäre im Club ist sehr familiär, was mir besonders gefallen hat", berichtet sie. Schon bei ihrem früherem Verein SC Freiburg sei das ein wichtiger Aspekt für sie gewesen. Sie entschied sich schließlich für den südfranzösischen Club nahe der Mittelmeerküste. Der Dreijahresvertrag bis 2022 zeugt von gegenseitigem Vertrauen und hohen Erwartungen, die der Verein in seine neue Stürmerin setzt.
Obwohl es körperlich stetig bergauf ging, konnte Petermann bei ihrem Dienstantritt Anfang Juli lediglich ein leichtes Laufpensum über rund 20 Minuten abspulen. Es war weiterhin Geduld gefragt. Als sie schließlich voll in die Vorbereitung einsteigen konnte, musste sie sich zunächst an die Gangart gewöhnen. "Ich war ein bisschen schockiert, mit welcher Härte sich hier im Training reingehauen wird", gibt sie zu. "Man beißt sich aber schnell rein und passt sich in den Zweikämpfen an. Selbstverständlich möchte niemand eine andere Spielerin verletzen, aber hier zieht im Zweifel auch keine so schnell zurück."
Dieser Einsatz zeugt auch von dem hohen Konkurrenzdruck innerhalb der Mannschaft, dem die 25-Jährige trotz ihres langen Ausfalls beeindruckend standhält. Am 2. Spieltag gab sie ihr Debüt und war beim 3:1-Sieg gegen den FC Fleury 91 direkt die Matchwinnerin. Der Systemwechsel vom anfänglichen 4-3-3 zum jetzigen 4-4-2 stellte sie vor keine Probleme. Egal ob als Einzel- oder in der Doppelspitze: Petermann ist bei Coach Frédéric Mendy gesetzt. Derzeit harmoniert sie prächtig mit ihrer französischen Sturmpartnerin Gauvin, mit der sie zusammen ein wuchtiges und treffsicheres Duo in vorderster Front bildet. Auch am vergangenen Wochenende sorgten sie für alle drei Treffer (einmal Petermann, zweimal Gauvin).
Selbstvertrauen getankt
Im Gespräch mit der Otterndorferin merkt man ihr das zurückgewonnene Selbstvertrauen schnell an. Nach ihrem gelungenen Saisonstart scheut sie keine großen Ziele. Sie möchte mit Montpellier um den zweiten Tabellenplatz kämpfen und sich mindestens weiter als dritte Kraft der Liga etablieren, an deren Spitze seit mittlerweile 13 Jahren in Folge das derzeitige Maß aller Dinge im Frauenfußball, Olympique Lyon, einsam seine Kreise zieht. Und wem diese Zahl an Meistertiteln in Serie nicht ausreicht: OL sicherte sich in den letzten vier Spielzeiten auch jeweils den Champions-League-Titel. An zweiter Stelle stand auf nationaler Ebene zuletzt häufig Paris Saint-Germain, doch bei PSG sieht Petermann ihr Team durchaus auf Schlagdistanz. Sechs Punkte Rückstand auf OL und drei Punkte Rückstand auf Paris zeugen nach neun von 22 Spielen auch davon, dass für den derzeitigen Tabellendritten noch alles offen ist. Neben einer Top-Platzierung im Team setzt sich die Angreiferin auch persönliche Marken: "15 Tore sollten es am Ende der Saison schon sein", findet sie. Mit einer Quote von sieben Toren aus acht Spielen scheint sie derzeit auf einem guten Weg. Von Spielzeit zu Spielzeit möchte sie ihre Erwartungen an sich selbst anheben: "Im ersten Jahr will ich bestmöglich reinkommen, im zweiten Jahr dann noch einen drauflegen und im dritten Jahr vielleicht ein Wörtchen um die Torjägerkrone mitreden."
Im Fokus der Bundestrainerin
Die französische Fußballliga genießt ein hohes Ansehen im internationalen Vergleich. Petermann sieht zwar keine großen Unterschiede zwischen Bundesliga und der Division 1 Feminine, das technische Level sei in Frankreich allerdings etwas anspruchsvoller. Ihre guten Leistungen in der benachbarten Liga werden jedenfalls auch von Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg genau registriert - und die Otterndorferin, die bereits 19-fache Nationalspielerin ist, scharrt schon mit den Hufen. "Ich stehe wieder in regelmäßigem Kontakt mit ihr", berichtet Petermann. "Ich muss natürlich erst mal konstant Leistung bringen, weiter knipsen und fit bleiben, aber ich bin zuversichtlich, bald wieder dabei zu sein." Bei den letzten beiden DFB-Nominierungen gehörte sie schon zu den Spielerinnen, die auf Abruf gegebenenfalls nachgerückt wären.
Die Rahmenbedingungen für ihre großen Pläne scheinen in Montpellier jedenfalls gegeben. Auch mit der französischen Sprache kommt sie immer besser klar. "Vom Schulfranzösisch ist nicht mehr sehr viel hängen geblieben", musste sie festellen. Nach einem halben Jahr mit regelmäßigem Unterricht findet sie sich mittlerweile aber gut zurecht. Auch die vergleichsweise milden Temperaturen an der Mittelmeerküste (derzeit um die 14 Grad) lassen sich aushalten. "Ich bin ohnehin eher ein Sommertyp", sagt Petermann lächelnd, deren Wohnung unweit vom Strand liegt.
Den Draht ins Cuxland verliert die Otterndorferin dadurch keineswegs. Sie erhielt bereits mehrfach Besuch von Freunden und Familie, für die sie immer Platz in ihren beiden Gästezimmern hat. Mitte Dezember geht es dann über anderthalb Wochen für den Weihnachtsurlaub zurück an die Nordseeküste. "So schön es hier am Mittelmeer auch sein mag, die Heimatbesuche sind fest im Kalender verankert", betont sie. Und wer weiß: Die Fahrten nach Deutschland könnten spätestens dann wieder häufiger werden, wenn sie sich in naher Zukunft wieder das DFB-Trikot überstreifen darf.
Von Joël Grandke