
"Lernart" in Oberndorf präsentiert das etwas andere Schulleben
OBERNDORF. Diese Schule ist anders. Bewusst passt sie sich den Anforderungen, Vorstellungen und Wünschen der Schülerschaft an - und nicht umgekehrt. Die Freie Schule "Lernart" in Oberndorf spricht Kindern und Jugendlichen größere Freiheiten zu.
Sie können, ja sollen sogar ihren individuellen Lernstoff selbstbestimmt und freiwillig zusammenstellen. Beim Tag der offenen Tür am Sonnabend zeigten Lehrer, Schüler und Eltern vor, wie ihre Privatschule funktioniert, die im August 2018 den Betrieb aufgenommen hat.
" Einfach super" findet es hier der 12-jährige Tjelle. Vorher hat er keine Schule besucht, sondern war mit seinen Eltern auf Reisen. An dieser Schule werde ihm geholfen, Japanisch zu lernen sowie Gebärdensprache, berichtet er. Freie Schule bedeutet, die gegenwärtig 34 Schülerinnen und Schüler zwischen sechs und 16 entscheiden sich frei, wie, wann und was sie lernen möchten. Lehrer heißen Lernbegleiter - und eine Begegnung mit den Kindern und Jugendlichen soll immer auf Augenhöhe stattfinden. Dass sich alle duzen, ist daher ganz selbstverständlich. Freiheit ja, aber ohne Regeln funktioniert sie nicht - und die gibt sich die Schulgemeinschaft demokratisch selbst. Der in der Aula ausgehängte Stundenplan schlägt Angebote vor. An Räumen herrscht in der früheren Kiebitz-Grundschule kein Mangel. Gearbeitet wird in Funktionsräumen wie Atelier, Werkstatt, Sporthalle oder Computerraum. Separate Räume gibt es für den Grundschul- und Oberschulbereich. Zwei Ziegen und Bienenvölker bereichern das bunte Schulleben.
Anfangsschwierigkeiten wie falsche Erwartungen seitens der Eltern oder Fluktuationen im Team lägen jetzt hinter ihnen, sagt Christian Beckmann. Gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin Franziska Hartmann hat er "Lernart" aus der Taufe gehoben und realisiert. Man habe einfach diese Zeit benötigt, um eine Gemeinschaft zu bilden, doch letztlich verlief der Prozess positiv: "Jetzt ist hier die Stimmung super", betont er.
"Cool" nennt der achtjährige Philipp seine Schule und meint in erster Linie die Lernbegleiter. "Am liebsten spiele ich Völkerball und fotografiere", erzählt er und fährt stolz fort: "Im Rechnen bin ich schon ganz gut, da löse ich sogar Sechstklässleraufgaben - und ich bin doch erst im dritten Jahrgang." Und wie sieht es mit dem Lesen und Schreiben aus? "Das geht so, das kommt noch ...", grinst Philipp.
Für die 14-jährige Mia sind Malen, Nähen, Theater und Chorsingen wichtig. Anders als auf einer Regelschule könne sie hier ihre Kreativität ausleben. Mia schreibt selbst Geschichten und Gedichte. Lesen bereite ihr hingegen Schwierigkeiten durch eine Lese-Rechtschreibschwäche, gibt sie zu. "Dadurch, dass ich gerne schreibe, muss ich aber auch lesen." Mathe bereite ihr Dank Lernbegleiter "Mathe-Martin" ebenfalls Spaß, selbst wenn sie darin nicht gut sei. Aber Mia scheint glücklich: "Ich werde durch diese Schule in Bereichen besser, in denen ich eigentlich Probleme habe - hier kann ich nach meinem Tempo lernen."
Qualifiziertes Personal
Auch eine freie Schule ist kein regelfreier Raum. Lernbegleiter müssen pädagogische Qualifikationen wie das zweite Staatsexamen nachweisen oder vergleichbare Prüfungen. Schulleiterin Laura Banse beispielsweise ist ausgebildete Deutsch- und Englischlehrerin. Sie hat Regel- und Privatschulerfahrung.
Private Ersatzschulen sind gehalten, vergleichbare Lernziele zu erreichen. Überprüfungsbehörde ist die Landesschulbehörde.
Eltern zahlen Schulgeld und sie bringen sich darüber hinaus aktiv ein. Sie packen stundenweise in Funktionsräumen oder der Mensa an.
Extra dieser Schule wegen ist Jennis fünfköpfige Familie mit Hund 2018 aus dem Ruhrgebiet hierher gezogen. "Die Konzepte fanden wir anziehend." Nachdem sie durch ihre beiden Jungs das Schulleben in Oberndorf aus Elternperspektive kennengelernt hatte, entschied sie sich, als Lernbegleiterin selbst einzusteigen. Jenni ist ausgebildete Pädagogin, war vorher in der Erwachsenenbildung tätig und jetzt mit Feuer und Flamme dabei, vor allem den gegenwärtig 14 Grundschulkindern zur Seite zu stehen.
"Es war die richtige Entscheidung für unsere Mädchen", sagt Gabriele Eichsteller aus Neuhaus. Ihre drei Töchter - zwölf und zehn Jahre alt - hätten jetzt keine Angst mehr, zur Schule zu gehen, wie es vorher der Fall war. Im Gegenteil. "Hier lernen sie gemeinsam und voneinander und können ihre Interessen einbringen, wo es in der Regelschule nicht so in den Lehrplan passt."
Die Schule
Schulstart war im August 2018. "Lernart", die Freie Schule Oberndorf, sieht sich als Alternative zum bestehenden Regelschulsystem. Sie ist Grund- und Oberschule für die Jahrgänge eins bis zehn. Träger der Privatschule sind Christian Beckmann und Franziska Hartmann.
Ausdrücklich gefördert wird dort eine individuelle Entwicklung sowie ein lebensnahes, selbstbestimmtes, jahrgangs- und fächerübergreifendes Lernen, Selbst- und Mitbestimmung sowie wertschätzendes Miteinander und gelebte Inklusion.
"Lernart" finanziert sich durch Darlehen (Unterstützer geben Bürgschaften ab), Spenden und Schulgeld. Auf Landesmittel kann man erst nach drei Jahren hoffen. Das Schulgeld ist individuell und sozialverträglich gestaffelt. Monatlich liegt es zwischen 100 und 250 Euro pro Kind.
Eine enge Zusammenarbeit gibt es mit der Kiwitte. Der Verein bietet Nachmittagsangebote in den Räumen an.