Neuenkirchen: Auf den Spuren von Swantjes Mörder
NEUENKIRCHEN. Swantje S. war gerade 21 Jahre alt, als sie am 23. August 1981 brutal ermordet wurde. Erst knapp 30 Jahre nach der Tat kam die Polizei dem Mörder auf die Spur.
Sie hat gerade ihre Abiturprüfung geschafft und will als Au-pair-Mädchen in Frankreich arbeiten. Doch am 23. August 1981 wird Swantje S. (21) aus Neuenkirchen bei einem nächtlichen Spaziergang auf brutale Weise ermordet. Fast drei Jahrzehnte später hat die Suche nach ihrem Mörder Erfolg. Im September 2008 klicken die Handschellen: Ein damals 48-Jähriger wird festgenommen und später vom Landgericht zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Er hat DNA-Spuren am Tatort hinterlassen. Genetische Untersuchungen, die es früher nicht gab, bringen die Ermittler schließlich auch nach so vielen Jahren auf die Spur des Mörders.
Swantje S. begegnet ihrem Mörder in der Dunkelheit. Am 23. August 1981 verlässt sie gegen 23 Uhr die Wohnung in der Dorfstraße, wo sie mit ihrer Familie lebt. Ein nächtlicher Spaziergang ist für sie nicht ungewöhnlich - beinahe täglich ist sie auch nach Einbruch der Dunkelheit noch kurz unterwegs. Doch diesmal kehrt sie nicht zurück.Im Bereich Neuenkirchen-Brüninghemm lauert ihr der Mörder auf. Er verfolgt, überwältigt und stranguliert sie und bringt die 21-Jährige, die um ihr Leben kämpft, schließlich auf bestialische Weise um. 64 Messerstiche zählt die Polizei, als ihr Leichnam drei Tage später weit entfernt von der Straße und am Rande eines Kohlfeldes in einem Graben entdeckt wird.
Der Schock sitzt bei den Einwohnern tief. Die Hoffnung, dass Swantje doch noch lebend gefunden wird, ist der Gewissheit gewichen, dass sie das Opfer eines grausamen Verbrechens geworden ist. "Wir haben damals unsere Unbekümmertheit verloren", formuliert später eine enge Freundin die Gefühlslage nach dem schrecklichen Ereignis.
Die Polizei richtet umgehend eine 16-köpfige Sonderkommission ein. Am Fundort der Leiche beginnt die Spurensicherung. Die Ermittler entdecken "Kampfspuren", die Kleidung der Ermordeten, einen Kälberstrick sowie einen weißen Schal. Die Tatwaffe bleibt dagegen verschwunden.
Bei Spurensicherung setzen die Polizeibeamten technische Geräte ein, die für die damalige Zeit modern sind. Dazu zählt zum Beispiel auch eine sogenannte "Stereomesskamera", mit der "beweissichere Aufnahmen" vom Tatort gemacht werden können.
Zugleich gibt es "routinemäßige Hauskontrollen", die allerdings ergebnislos verlaufen. Die Bezirksregierung setzt eine Belohnung von 5000 Mark für Hinweise aus, die zur Ergreifung des Täters führen. Ende August 1981 kursieren Gerüchte in dem kleinen Dorf, dass es eine Festnahme gegeben haben soll. Doch die Polizei dementiert.
Die Ermittlungen laufen ins Leere und werden vorerst eingestellt. Rund 25 Jahre lang lagern die am Tatort sichergestellten Beweismittel in der Asservatenkammer der Polizei, bis schließlich die Ermittlungen in diesem Fall wieder aufgenommen werden. Dreh- und Angelpunkt ist die Frage, ob der Täter DNA-Spuren hinterlassen hat, die auch nach so langer Zeit auswertbar sind. Und tatsächlich werden die Experten der "Molekulargenetischen Abteilung" des "Kriminaltechnischen Institutes" (Hannover) fündig und stoßen auf eine männliche DNA am T-Shirt des Mordopfers.
Diese Spur führt die Ermittler zu Ferdinand H., der den Mord zwar leugnet. Die Beweislage ist für Polizei und Staatsanwaltschaft aber erdrückend: "Es handelt sich eindeutig um die DNA des Festgenommenen", heißt es in einer Erklärung des Oberstaatsanwaltes.
Der damals 48-jährige Tatverdächtige, der zuvor nach der Wiederaufnahme der Ermittlungen ebenso wie andere mögliche Verdächtige an einem DNA-Test teilgenommen hat, wird am 26. September 2008 festgenommen und in eine Justizvollzugsanstalt gebracht. Im Januar 2009 erhebt die Staatsanwaltschaft Anklage. Nur einen Monat später wird Ferdinand H. aber aus der Untersuchungshaft entlassen, da "kein dringender Tatverdacht" bestehe.
Schließlich kommt es aber doch noch zum Prozess. Am 22. Juli 2010 sitzt der inzwischen 49-Jährige neben seinem Verteidiger auf der Anklagebank des Stader Landgerichtes. Im Gerichtssaal wimmelt es von Kamerateams, Fotografen und Journalisten; der Fall ist längst auch überregional in den Schlagzeilen.
Ferdinand H. vermeidet jeglichen Blickkontakt, senkt immer wieder den Kopf und beißt sich auf die Unterlippe. Nur wenige Meter entfernt sitzen Swantjes Mutter und ihr Bruder. Nach der Anklageverlesung schildern sie das Umfeld, in dem die junge Frau sich bewegt und wie sich der Mord auf die Familie ausgewirkt hat: "Es kommt jetzt alles wieder hoch", sagt ihr Bruder unter Tränen. Swantjes Mutter schildert, dass ihr schon kurz nach dem Auffinden ihrer Tochter klar gewesen sei: "Das muss ein Täter sein, der sich im Ort auskennt." Sie sollte Recht behalten.
Aber die Beweisführung der Staatsanwaltschaft gestaltet sich schwierig. Ferdinand H. bestreitet zwar nicht, dass er am Tatort war. Doch zu diesem Zeitpunkt sei Swantje S. bereits tot gewesen. "In Panik" habe er möglicherweise Kleidungsstücke - darunter auch ihr T-Shirt - berührt. Daher habe man auch seine DNA-Spur finden können. Eine Version, die die Staatsanwaltschaft nicht glaubt und die sie an den folgenden Verhandlungstagen bis zum Urteilsspruch durch eine Indizienkette widerlegen will.
Das Gericht setzt später sogar einen Verhandlungstermin in Neuenkirchen an - mitten in der Nacht. Der Vorsitzende Richter Behrend Appelkamp hat den Ortstermin im Ortsteil Brüninghemm anberaumt, damit sich das Gericht ein eigenes Bild vom Hergang der Tat machen kann. Der Tatort wird originalgetreu wie am Tag des Leichenfundes hergerichtet. So verteilen die Beamten unter anderem auch ein T-Shirt, den Kälberstrick und den Schal auf dem Feld. Das Schilf im Graben wird zuvor beseitigt, das Gras gemäht und die Beamten lassen sogar Gebüsch beschneiden. Alles soll so aussehen wie in der Nacht vom 23. auf den 24. August 1981. Und der Termin soll beitragen, die Frage zu klären, warum der Angeklagte rund 20 Meter in das Kohlfeld hineingelaufen ist. Seine Darstellung, dass er in der Dunkelheit einen Mantel an einem Leitpfosten gesehen habe und neugierig geworden sei, nimmt ihm die Staatsanwaltschaft nicht ab.
Die Verhandlung wird fortgesetzt, Ferdinand H. bestreitet weiterhin, die Tat begangen zu haben. Nach neun Verhandlungstagen und den Plädoyers von Staatsanwaltschaft und Verteidigung verkündet Richter Behrend Appelkamp am 3. November 2010 das Urteil: Ferdinand H. soll lebenslang hinter Gitter. Mit versteinerter Miene sitzt der Mörder von Swantje S. auf der Anklagebank.
In der Gesamtheit sprächen alle Indizien dafür, dass H. die 21-Jährige bedrängt, stranguliert und erstochen habe. Ob es zu sexuellen Handlungen gekommen sei, lasse sich nicht Bestimmtheit sagen: "Er tötete sie vorsätzlich", ist die Einschätzung des Gerichtes. Es war also Mord.
Sein Anwalt unternimmt einen letzten Versuch, dass sein Mandant doch nicht ins Gefängnis muss. Er legt Revision beim Bundesgerichtshof ein. Doch er scheitert: "Wir konnten nicht erkennen, dass bei der Verurteilung wegen Mordes ein Rechtsfehler gemacht wurde", heißt es zur Begründung.
Der Fall Swantje S. ist nach fast drei Jahrzehnten aufgeklärt - und er ist nicht der erste, bei dem ein genetischer Fingerabdruck dafür sorgte, dass ein Urteil auch Jahrzehnte nach der Tat noch erfolgen kann. Denn: Mord verjährt nicht ...
Neu aufgerollt
Keine Spur, keine Täter, keine Leiche: Im Landkreis Cuxhaven gibt es zahlreiche Kriminalfälle, die nach jahrelangen Ermittlungen immer noch nicht aufgeklärt sind. Es sind ebenso schreckliche wie aufsehenerregende Fälle, mit denen sich die Ermittler in der Region befasst haben. Vielen sind die unfassbaren Taten noch in Erinnerung. In der CN/NEZ-Serie "Neu aufgerollt" wollen wir an diese spektakulären Kriminalfälle erinnern.
Moderne Analysemethoden und Datenabgleich
DNA-Analysen gehören inzwischen zum Standardrepertoire bei polizeilichen Ermittlungen.
Mithilfe der DNA-Analyse sind heute praktisch alle menschlichen Körperzellen (wie Blut, Muskelgewebe, Haut, Knochen, Haare, Sperma, Speichel, Schweiß) molekulargenetisch auswertbar. Grund hierfür ist, dass die menschliche DNA individualcharakteristisch ist. Das heißt: Sie kann einer bestimmten Person zugerechnet werden.
Grundsätzlich ist es heute technisch möglich, selbst aus "Minimalspuren" (zum Beispiel einer mikroskopisch kleinen Hautschuppe oder Speichelspuren an einem Glas oder einer Zigarette sowie durch Schweiß oder Blutkörperchen) ein DNA-Profil zu erstellen, das zur Identifikation einer Person geeignet ist.
Diese Nutzung modernster Analysemethoden und ein regelmäßiger Datenabgleich führten auch dazu, dass unaufgeklärte Fälle aus der Vergangenheit doch noch erfolgreich abgeschlossen werden könnten. Eine entsprechende DNA-Analyse-Datei wurde 1998 geschaffen, nachdem mithilfe der DNA-Analyse verschiedene Sexualmorde aufgeklärt werden konnten. Gespeichert werden Daten von Beschuldigten, Verurteilten und am Tatort aufgefundenes Spurenmaterial.
Übrigens: Selbst die kriminelle Praxis, Tatortspuren durch Brandstiftung zu vernichten, ist nicht unbedingt immer erfolgreich. In Studien konnte gezeigt werden, dass nach Zimmerbränden, begraben unter einer Ascheschicht, sehr wohl noch auswertbare Spuren (zum Beispiel Fingerabdrücke, Blutspritzer, aber auch DNA) zu finden sind.
"Die DNA-Analyse ersetzt jedoch nie die weitere Tatortarbeit oder kriminalistische Ermittlungstätigkeit; sie ergänzt diese allerdings sehr wirkungsvoll", so das Bundeskriminalamt.