Gesine Schmidt (ATS Cuxhaven) wurde nach dem Sieg über 400 Meter Hürden (56,71 Sekunden) beim Sportfest "Weltklasse hinterm Deich" in Cuxhaven von den 5000 Zuschauern ausgiebig gefeiert. Foto: Ingo Wagner/dpa
Gesine Schmidt (ATS Cuxhaven) wurde nach dem Sieg über 400 Meter Hürden (56,71 Sekunden) beim Sportfest "Weltklasse hinterm Deich" in Cuxhaven von den 5000 Zuschauern ausgiebig gefeiert. Foto: Ingo Wagner/dpa
Leichtathletik

Nur ein Wimpernschlag: Gesine Schmidt aus Cuxhaven verpasste Olympia 1996 nur knapp

von Frank Lütt | 10.02.2021

CUXHAVEN/HANNOVER. Gesine Schmidt war in den 1990er-Jahren eine Cuxhavener Leichathletin, die immerhin zweimal bei Europameisterschaften startete. Der Traum von Olympia 1996 in Atlanta erfüllte sich nur ganz knapp nicht.

Nur ein Wimpernschlag hat gefehlt, dann hätte Gesine Schmidt 1996 die Qualifikation zu den Olympischen Spielen nach Atlanta geschafft. Nach dem entscheidenden Qualifikationsrennen flossen die Tränen bei der 400-Meter-Hürdenläuferin. Olympia wäre die Krönung für die Sportlerin des ATS Cuxhaven gewesen, doch die Statuten des Leichtathletik-Verbandes waren knallhart. Heute, 25 Jahre später, blickt sie dennoch mit Stolz auf ihre Karriere. Die zweifache Familienmutter lebt seit einigen Jahren glücklich in Hannover.

In Bad Bederkesa aufgewachsen

Gesine Schmidt, die seit 2006 den Nachnamen ihres Mannes Thomas Knauer trägt, ist behütet auf dem elterlichen Hof im Holzurburger Wald bei Bad Bederkesa aufgewachsen. Zur Schule ging sie in ihrem Heimatort und später bis zum Abitur in Bremerhaven. Das schlanke und hoch aufgeschossene, junge Mädchen hatte recht früh neben Volleyball die Leichtathletik als ihre Sportart auserkoren. Richtig ernst wurde es aber erst, als sie 1989 im Alter von 17 Jahren zusammen mit der Leichtathletik-Gruppe des ATS Cuxhaven ein Trainingslager in Spanien bestritt. Trainer Hannes Mahler hatte eine Idee und sagte zu der Sprinterin und Weitspringerin: "Mach mal die 400 Meter Hürden." Die junge Athletin war erstaunt und nahm den Vorschlag auch nicht mit einem lauten Hurra auf, aber der erfahrene Trainer überzeugte sie. "Hannes meinte, dass ich nach nur ein paar Wochen Training schon mindestens das Niveau bei den 400 Meter Hürde haben könnte wie beispielsweise beim Weitsprung", berichtet die 1971 geborene Sportlerin. Und es lief wirklich wie am Schnürchen. 1990 wurde Gesine deutsche Jugend-Vizemeisterin und war somit im nationalen Leistungskader. Nach dem Gewinn des nationalen Juniorinnen-Titels (1991) lief die unbekümmerte Cuxländerin in München bei der DM der Frauen auf Rang vier.

Ausbildung zur Verlagskauffrau

Sie absolvierte mittlerweile in unserem Medienhaus eine Ausbildung zur Verlagskauffrau. "Ich habe dankenswerterweise auch hier Unterstützung erfahren, zum Beispiel Sonderurlaube erhalten." Das war bei dem erhöhten Aufwand mit mehr Training und Trainingslagern auch nötig. Das Ziel war, bei der DM 1993 mindestens Dritte zu werden, um sich für die Heim-Weltmeisterschaft in Stuttgart zu qualifizieren.

Ticket zur EM gesichert

Es wurde aber nur der vierte Platz. "Das war reine Kopfsache, wie ich dann eine Woche später feststellen musste, denn dann bin ich bei einem Grand-Prix-Sportfest auf der ungeliebten Bahn eins völlig locker klare Bestzeit gelaufen." Das war das erste Mal in der jungen Karriere, dass die Beersterin "ein wenig geknickt" war. Heute weiß sie: "Es ist unheimlich wichtig, den Kopf frei zu halten, um Top-Leistungen zu erreichen." Mit dieser Erfahrung ausgestattet, ging es in die Saison 1994. "Das Jahr lief super", so Gesine. Hinter Heike Meissner (Dresdner SC) und Silvia Rieger (TuS Eintracht Hinte) holte sie in Erfurt DM-Bronze und sicherte sich das Ticket zur Europameisterschaft. Die gelaufene Zeit war phänomenal: 55,76 Sekunden bedeuteten persönliche Bestzeit. Dieses Ergebnis wird übrigens noch heute in der ewigen Bestenliste des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV) auf Rang 30 geführt.

Starker Auftritt in Helsinki

Austragungsort der EM 1994 war das Olympiastadion in der finnischen Hauptstadt Helsinki. Obwohl die Cuxländerin durch eine gerade erst vorher überstandene Magen-Darm-Erkrankung etwas geschwächt an den Start ging, zeigte sie sich in Top-Form. Im Vorlauf wurde sie mit der Zeit von 55,96 Sekunden Dritte, hinter der Weltmeisterin und Olympiasiegerin Sally Gunnell und der Ukrainerin Tetjana Tereschtschuk. Im anschließenden Halbfinale war die ATSCerin nur unwesentlich langsamer mit 56,01 Sekunden.

Endlauf knapp verpasst

Sie verpasste mit Platz fünf in diesem Lauf das Finale der besten acht Läuferinnen denkbar knapp. Rang vier hätte ihr den Endlauf beschert. In der Endabrechnung wurde sie Neunte. "Auch wenn ich am Finale vorbeigeschrammt bin, war ich am Ende doch zufrieden", erklärt sie, und fügt hinzu: "Weil sich die Leistung über 400 Meter Hürden über Jahre hin aufbaut, war ich dann optimistisch für 1995. Ich fühlte mich optimal vorbereitet." Aber eine Fußverletzung stoppte sie, die Saison musste früh abgebrochen werden. Es folgte das Jahr 1996. Der große Traum von Olympia sollte wahr werden, aber am Ende hatte Gesine "das negativste Gefühl" und "die größte Enttäuschung" ihres Sportlerleben erfahren müssen. Die Qualifikationsnorm für die Olympischen Spiele in Atlanta lag bei 55,80 Sekunden, eine mehr als sportliche Marke. Gesines dritter Platz bei der DM genügte nicht, weil sie knapp über der Norm war. "Nach diesem Lauf habe ich eine halbe Stunde lang nur geweint", beschreibt die Sportlerin ihre Enttäuschung. "Ein absoluter Tiefschlag." Der DLV beharrte auf der Quali-Zeit. "Ich war zum Zeitpunkt der Nominierung Dreizehnte in der Weltrangliste. Vor mir waren sechs Amerikanerinnen." So viele US-Sportlerinnen hätten gar nicht bei Olympia starten dürfen. "Wenn man die Liste bereinigt hätte, dann wäre ich schon mindestens Zehnte gewesen. Aber weil ich die Norm nicht gelaufen bin, war der Verband der Meinung, dass ich keine Endlaufchancen gehabt hätte", ärgert sich Gesine immer noch.

"Weltklasse hinterm Deich"

In der Heimat erhielt sie anschließend viel Zuspruch und Trost. Kurz nach der DM hatte sie unmittelbaren Kontakt zum Cuxhavener Publikum, denn für Gesine sind beim Leichtathletik-Abendsportfest "Weltklasse hinterm Deich" auf dem Strichweg die 400 Meter Hürden mit ins Programm aufgenommen worden. Die über 5000 Zuschauer feierten "ihre Athletin" frenetisch. "Das war einer meiner tollsten Momente. Als ich die Ehrenrunde machen durfte, das war einfach ein wahnsinniges Gefühl und ein ganz tolles Erlebnis", sprudelt es aus der 49-Jährigen heraus.

Vereinswechsel vollzogen

Natürlich war das folgende Jahr 1997 noch unter dem Eindruck der verpassten Olympia-Quali abgelaufen, es war dann eher ein durchwachsenes Jahr. Es war Zeit für Veränderungen. "Ich hatte das Gefühl, ich muss was ändern und ging nach Hannover." Verbunden damit war nicht nur ein Vereinswechsel (erst LG Braunschweig, später LG Weserbergland), sondern auch eine berufliche Veränderung. Sie studierte dann Medienmanagement, ein relativ kleiner Studiengang in Hannover mit Anwesenheitspflicht, was die zeitliche Belastung schon enorm steigerte. Geblieben war trotzdem ihr Cuxhavener Trainer Hannes Mahler. Nach dem Silberrang 1997 bei der DM landete sie ein Jahr später wieder auf Platz zwei. Jetzt war dies gleichbedeutend mit der Qualifikation für die EM im ungarischen Budapest. Hier schaffte sie es abermals bis ins Halbfinale. Am Ende war sie Zwölfte. "Mit einem Finalplatz hatte ich auch nicht gerechnet", erklärt Gesine, dass die Weltspitze damals größer geworden war.

Olympia 2000 als Ziel anvisiert

Entmutigen ließ sie sich dennoch nicht. 1999 legte sie eine Pause beim Studium ein. Sie wollte noch einmal durchstarten. Das Ziel sollte Olympia 2000 im australischen Sydney sein. Doch schon im Jahr davor verletzte sich Gesine erneut schwer. Dann war der Traum wieder geplatzt, aber: "Das hat längst nicht so weh getan wie 1996, als ich fit war und als Weltranglisten-13. nicht nominiert wurde."

Als Freiberuflerin tätig

Es folgte der Rückzug vom Leistungssport. Der Fokus lag dann auf ihrem Studium. Seit 2003 ist sie nun diplomierte Medienwissenschaftlerin, arbeitete bei Fachverlagen in Hannover und Celle beispielsweise im Projektmanagement oder Marketing. "Der Hochleistungssport hat mich dazu gebracht, dass ich zu vielen Dingen auch eine andere Einstellung habe. Das hilft im Berufsleben, diese Zielstrebigkeit. Der Sport hat mich schon sehr geprägt, ohne ihn wäre ich heute ein anderer Mensch", glaubt die Wahl-Hannoveranerin, die seit 2014 als Freiberuflerin beispielsweise in der Produkt- und Unternehmenskommunikation tätig ist.

Zwei sportliche Söhne

An Laufen ist übrigens heute nicht mehr zu denken. "Ich habe Arthrose in beiden Knien. Wenn ich joggen würde, dann könnte ich danach mit den dicken Knien drei Tage lang nicht mehr gehen", erklärt Gesine, die aber regelmäßig ins Fitness-Studio geht. Ausgleich findet sie aber auch jeden Tag bei den Runden mit ihrem Hund und natürlich beim Spielen mit ihren Söhnen Jorge (9) und Mika (4). Übrigens, der Ältere spielt eifrig Handball, Leichtathletik hat er mal ausprobiert. Der Kleine könnte einmal in ihre Fußstapfen treten, glaubt Gesine, ohne jedoch den Nachwuchs unter Druck setzten zu wollen. "Mika ist nur am Rennen und Rennen. Aber auch Jorge wäre bestimmt ein guter Leichtathlet." Durchaus möglich, dass dort die nächste Generation mit Olympia-Traum heranwächst ...

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Frank Lütt

Redakteur
Cuxhavener Nachrichten/Niederelbe-Zeitung

fluett@no-spamcuxonline.de

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