Lars Gutow vom AWI. Foto: Tiedemann
Lars Gutow vom AWI. Foto: Tiedemann
Müll

Plastik: Wie bedroht ist die Nordsee wirklich?

13.02.2019

KREIS CUXHAVEN. Dr. Lars Gutow ist Meeresbiologe beim Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven und beschäftigt sich seit vielen Jahren mit den Themen Mikroplastik und der Vermüllung der Meere. Wie es aktuell um unsere Ozeane bestellt ist und was wir tun können, erklärt er in einem Interview.

Welche Arten von Plastikmüll befinden sich im Meer?

So gut wie alles, was die Menschen tagtäglich nutzen. Zigarettenfilter, Tüten, Getränkeflaschen oder Rührstäbchen für Kaffee. Einen großen Anteil des Plastikabfalls machen aber Verpackungen aus. Viele der Kunststoffabfälle treiben zunächst an der Meeresoberfläche. Je länger sich der Müll im Meer befindet, desto mehr wird er durch UV-Strahlung, den Salzgehalt des Meeres und die Kraft der Wellen zersetzt. Wir sprechen dann von Mikroplastik. Vieles davon sinkt auf den Meeresboden.

Welche Gefahren birgt Plastik?

Der Abfall im Meer ist neu für die Organismen. Größere Plastikteile können für Meeresbewohner zur tödlichen Falle werden. Seevögel strangulieren sich in Six-Pack-Ringen, Seehunde verheddern sich in Fischereinetzen. Immer häufiger finden wir kleinste Plastikteile in den Mägen von Seevögeln und Fischen. Das ist bei 90 Prozent der Seevögel der Fall.

Wie wirkt sich aufgenommenes Mikroplastik auf Tier - und Mensch aus?

Das ist bislang noch unklar. Setzt man Muscheln hohen Mikropartikel-Konzentrationen aus, gelangen die Partikel aus dem Verdauungstrakt bis in die Zellen und ins Gewebe, wo sie Entzündungsreaktionen auslösen können. Das ist in Experimenten mit sehr hohen Partikelkonzentrationen gezeigt worden. Ob das bei realistischen Konzentrationen auch der Fall ist, ist noch offen. Wir gehen bislang aber davon aus, dass ein großer Teil des Mikroplastiks, sollte es den Weg über den Verzehr von Meeresfrüchten in den menschlichen Körper finden, wieder ausgeschieden wird. Dennoch ist noch unklar, ob eine Gesundheitsgefährdung besteht.

Schlagzeilen wie "2050 wird es genauso viel Fisch wie Plastikmüll in den Meeren geben" haben für viel Aufsehen in den Medien gesorgt. Was halten sie von solchen Thesen?

Was wir wissen, ist, dass die globale Produktion von Müll steigt. Massiv. Eine genaue Bezifferung der Müllmenge ist aus dem Grund schwierig, weil Zählungen immer nur punktuell durchgeführt werden können und dann auf die ganze Meeresfläche hochgerechnet werden müssen. Das Plastik an der Meeresoberfläche bewegt sich. Aussagen wie diese sind deswegen schwierig, weil wir nicht wissen, wie viel (Plastik-)Müll sich genau in den Meeren befindet und wir eben auch nicht wissen, wie viele Fische sich in den Meeren befinden. Das wissen wir nicht für heute und schon gar nicht für das Jahr 2050. Möglicherweise gibt es heute bereits mehr Kunststoff als Fisch im Ozean ...

Wie bedroht ist die Nordsee?

Die Nordsee ist weder besonders dreckig, noch besonders sauber und liegt im internationalen Vergleich im Mittelfeld. Aktuell befinden sich durchschnittlich 1300 Plastikobjekte pro Quadratkilometer auf dem Boden der Nordsee. Davon stammen etwa 76 Prozent von der Fischerei in Form von z. B. Fischnetz-Fasern und -leinen. Man geht davon aus, dass weltweit circa 80 Prozent des Plastikmülls von Land kommen und 20 Prozent auf dem Meer eingetragen werden. Dieses Verhältnis variiert zwischen verschiedenen Gebieten. In der Nordsee scheint es so zu sein, dass ein höherer Anteil auf dem Meer (durch die Fischerei) eingetragen wird.

Was halten Sie vom Einweg-Plastik-Verbot der EU?

Das Einweg-Plastik-Verbot geht in die richtige Richtung, ist aber nicht ausreichend. Wir müssen rigoros hinterfragen, welche Kunststoffprodukte wir benötigen und welche nicht. Was wir nicht benötigen, sollte auch nicht hergestellt werden. Alles was hergestellt wird, muss auch nach der Verwendung durch den Konsumenten unter Kontrolle bleiben und im besten Fall wiederverwertet werden. Hierzu muss das Recycling verbessert werden. Aber vor dem Recycling sollte die Wiederverwendung stehen.

Was kann jeder Einzelne tun, um die Plastikflut einzudämmen?

Wir als Verbraucher haben eine gewisse Macht. Wir müssen lernen, kürzer zu treten, umzudenken und den Mund aufzumachen. Das heißt, zum Beispiel ganz bewusst auf die Extra-Tüte im Supermarkt zu verzichten. Oder dem Verkäufer im Laden zu sagen, dass man Produkt X gerne gekauft hätte, wenn es nicht in Plastik verpackt wäre. Verbraucher müssen umdenken und so ein Umdenken der Industrien bewirken. Die Lösung ist einfach: Wir müssen den Eintrag von Müll in die Umwelt stoppen! Uns muss klar werden, dass der Ozean der Schlüssel für Sauerstoff und Nahrung ist. Auch in Schulen sollte dieses Thema verstärkt in den Unterricht eingebaut werden.

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