
Praktikum im Nationalpark Wattenmeer: Als Vogelwart auf Scharhörn
KREIS CUXHAVEN. Es ist der wohl abgelegenste und zugleich schönste Arbeitsplatz Norddeutschlands. Mitten im Hamburgischen Nationalpark Wattenmeer, umringt von Naturgewalten.
Hier liegt die Vogelschutzinsel Scharhörn, eine Wanderdüne, knapp 20 Kilometer von Cuxhavens Küste entfernt. Darauf steht, einsam und verlassen, eine Hütte aus Containern. Das Zuhause des Vogelwarts.
Austernfischer, Brandgänse, Möwen
Im Innern bestimmt eine Symphonie aus rauschendem Wind, prasselndem Regen und knackendem Holz im Ofen die Atmosphäre. Ebbt der Wind ab, brechen Rufe von tausenden Austernfischern, Brandgänsen, Lachmöwen oder Silbermöwen die Stille der Natur. "Die Liste an Vogelarten würde sehr lang werden", erklärt Ruben Hochhaus. Der Student aus Berlin ließ seine kleine Stadtwohnung hinter sich, suchte die Ruhe, und fand sie auf Scharhörn. Drei Monate war er der Vogelwart. Er zählte Vögel, sammelte Müll - und lieferte die Daten an den Verein Jordsand zur statistischen Nachverfolgung von Vogelwelt und Lebensraum. "Wenn der Wind in dein Auge pfeift, du versuchst durch das Spektiv zu gucken, das ist manchmal ganz schön anstrengend. Aber die Bilder, die du hast, von diesen Massen an Vögeln, die emporsteigen, das wollte ich schon immer mal gesehen haben", sagte er vor seiner Abreise.
Rohrweihen und Seeadler
Die Zeit davor, sie war gespickt mit tierischen Begegnungen, die der 22-Jährige fest in sein Ornithologie-Herz geschlossen hat: "Zwei Rohrweihen waren den ganzen September über da, das war eine Art, die ich schon immer gern sehen wollte. Kornweihen und Seeadler waren auch hier."
Für die Auszeit entschied sich Ruben Hochhaus ganz bewusst. Einsam sei er nicht gewesen. Das würde nach drei Monaten aber auch noch gehen, so Hochhaus. Viel gelesen habe er, etwa "Herr der Ringe" oder "Die Forelle" von Leander Fischer. Von der Nachbarinsel Neuwerk kamen zudem regelmäßige Lieferungen mit Wasserkanistern, frischem Essen und dem ein oder anderen Touristen, dem er die Welt der Vögel näherbrachte. Zum Duschen lief er wöchentlich die rund sieben Kilometer zur Nachbarinsel Neuwerk, erzählt er. "Die Hütte selbst verfügt zwar über einen Wasserhahn, das ist aber nicht der normale Begriff von fließend Wasser. Das Geschirr sollte man also besser direkt abwaschen."
Zählung bei Springtide
Im Meer selbst war Schwimmen kaum möglich, da sei das Wasser zwar warm aber nicht tief genug gewesen. "Da muss man schon sehr weit laufen", beschreibt der Psychologie-Student seinen Alltag, umringt von rund 100.000 Vögeln. Gezählt werden diese unter anderem alle zwei Wochen bei Springtide, wenn das Niedrigwasser niedriger ausfällt als gewöhnlich. Wie man die Tiere zähle? "Es ist einfach wichtig, dass man eine bestimmte Routine bekommt. Dass man sie am Anfang vielleicht einzeln durchzählt und dann in Päckchen, etwa in Zehnerschritten."
Seit 1939 steht der rund 20 Hektar umfassende Hotspot der Vogelbeobachtung unter Naturschutz. Ebenso wie die künstlich geschaffene Insel Nigehörn gleich nebenan. Die darf wegen des Naturschutzes nur der Vogelwart und ein Beauftragter der Nationalpark-Verwaltung betreten. Betreut werden beide Bereiche durch den Verein Jordsand, der sich für die Unversehrtheit der Gebiete einsetzt. So obliegt auch die Auswahl eines geeigneten Vogelwarts dem Verein.
Nokia-Retro statt Smartphone
"Wir bekommen regelmäßig Bewerbungen von Leuten, die interessiert daran sind, Vogelwart auf Scharhörn zu werden. Die schaue ich mir dann durch, etwa ob ornithologische Kenntnisse vorhanden sind, das ist schon wichtig", erklärt Carolin Rothfuss, Leiterin des Vereins, ansässig im Nationalpark-Haus auf der Insel Neuwerk. "Je mehr Kenntnisse man mitbringt, desto besser. Generell sollte man aber schon eine Ente von einer Gans unterscheiden können." Auch müsse man damit rechnen, dass die ein oder andere Essenslieferung mal nicht kommen kann oder der Strom einige Tage lang fehlt.
Auch der letzte Vogelwart für 2020 durfte diese Erfahrung machen. Kurz vor dem Abschluss von Rubens Praktikums ging wegen starken Winds der Stromadapter kaputt. Da hieß es warten, auf einen neuen Adapter. Seine einzige Leitung zur Außenwelt war da ein Nokia-Handy, kein Smartphone. Das nutze er aber auch in seinem Berliner Leben nicht, stellt Hochhaus klar. Ansonsten habe er dort draußen dank der neuen Hütte und Wetterstation auch einen guten Internetzugang gehabt. "Ich wurde vom Verein darum gebeten, einen Laptop mitzubringen, um die Daten schon vor Ort eintragen zu können."
April: Neuer Vogelwart
Die alte Hütte musste wegen Pilzbefall abgerissen werden. Mit der neuen gibt es jetzt auch eine Wetterstation - und Internet. "Die Hütte musste schon mehrmals neu gebaut werden, da die Insel ja auch weiterwandert", erklärt er. Seit November befindet sich die Hütte jetzt förmlich im Winterschlaf. Im April wird sie wieder zum Leben erweckt, wenn ein neuer Vogelwart oder eine neue Vogelwartin nach Scharhörn zieht. Wer nachfolgt, sollte auf jeden Fall wetterfest sein, da man im Idealfall den ganzen Tag draußen sitze und Vögel beobachte, so Koordinatorin Rothfuß. "Es kann ziemlich nass und kalt werden."
Für Ruben Hochhaus hat inzwischen schon wieder das Berliner Leben begonnen. An die Momente, "wenn das Hochwasser in die Abendstunden fällt, die Sonne durch die Wolken bricht und dieses schöne Ambiente schafft", wird er sicherlich noch oft zurückdenken.
Podcast "Auf Tauchgang"
Sie wollen noch tiefer in die Welt eines Vogelwarts auf Scharhörn eintauchen? Mit unserem neuen CNV-Podcast "Auf Tauchgang" entführen wir Sie jede Woche in die Welt eines Menschen aus dem Landkreis Cuxhaven. Die Folge mit Vogelwart Ruben Hochhaus hören Sie kostenlos bei Spotify, Apple Podcast, Amazon oder auf der Startseite unseres Medienhauses, cnv-medien.de. Titel der Folge: "Von Berlin ins Wattenmeer: Das ist der Vogelwart von Scharhörn"