Prof. Dr. med. Bernd Mühlbauer ist Direktor am Institut für Pharmakologie Klinikum Bremen Mitte. Foto: privat
Prof. Dr. med. Bernd Mühlbauer ist Direktor am Institut für Pharmakologie Klinikum Bremen Mitte. Foto: privat
Corona

Kreis Cuxhaven: Wie häufig kommt eine schwere Corona-Erkrankung bei gesunden Kindern vor?

von Jens Potschka | 11.12.2021

CUXHAVEN/BREMEN. Die kinderärztliche Fachwelt ist sich einig, dass gesunde Kinder von der Impfung nicht profitieren und auch ein geringeres Risiko für Übertragung darstellen. Über das Thema Kinderimpfung sprach Redakteur Jens Jürgen Potschka jetzt mit Prof. Dr. med. Bernd Mühlbauer. Der Mediziner ist Facharzt für Pharmakologie und Toxikologie und seit dem Jahr 2008 ordentliches Mitglied der Arzneimittelkommission. Seit 2010 ist er Vorstandsmitglied der Kommission auf Bundesebene.

Sie haben sich in die Diskussion der Kinderimpfung eingebracht und waren vor kurzem in Cadenberge mit Ihrem Vortrag "SARS-CoV-2 Impfung - wer und wie oft, auch alle Kinder? Eine unideologische Beschreibung von Nutzen und Risiken" zu Gast. Warum ist Ihnen dieses Thema wichtig, was sind Ihre Arbeitsschwerpunkte?

Ich leite das Institut für Pharmakologie in Bremen, das sich mit Wirkungen und Nebenwirkungen von Arzneimitteln befasst. Begonnen hat meine ärztliche Laufbahn allerdings in der Pädiatrie, daher ist mir das Thema Medikamente im Kindesalter besonders wichtig.

Sie haben in Ihrem Vortrag die Kinderimpfung als "ethisch fragwürdig" bezeichnet. Was lässt sie zu dieser deutlichen Aussage kommen?

Bei jeder ärztlichen Handlung muss das Wohl des einzelnen Patienten unverrückbar im Vordergrund stehen. Wenn ich einem Individuum eine Substanz verabreiche, deren Sicherheit ungenügend geprüft ist, um es vor einer Erkrankung zu schützen, die es wissenschaftlich gesichert nicht ernstlich bedroht, ist kein Vorteil für dieses Individuum zu erkennen. Das ist nicht im Einklang mit der ärztlichen Ethik.

Alle aktuellen Infos rund um die Entwicklung und Auswirkungen der Coronavirus-Krise auf die Region rund um Cuxhaven lesen Sie hier.

In den Medien wird vermehrt auf die Impfung für Kinder gedrängt. Gibt es seit Ihrem Vortrag neue Erkenntnisse, die die Impfung an Kindern rechtfertigt?

Nein, im Gegenteil, es nehmen die wissenschaftlichen Daten zu, dass ein gesundes Kind an COVID-19 nicht schwer erkrankt, und das gilt besonders für die jüngeren Kinder. Die Betonung liegt auf "gesund", Kinder mit chronischen Erkrankungen, zum Beispiel des Herzens oder der Lungen, können durchaus schwer an COVID-19 erkranken.

Gibt es in Deutschland eigens angelegte Studien für Kinder und wenn ja, wie viel Probanden haben daran teilgenommen und seit wann?

Eine vergleichende klinische Studie in dem Sinn gibt es nicht. Doch die Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie (DGPI) veröffentlicht regelmäßig die Daten aus ihrem COVID-19-Survey, die bestätigen voll und ganz, was ich vertrete ...



... Die primäre Krankheitslast dieser jungen Altersgruppe durch schwere Erkrankungen ist unverändert sehr gering. Die Übertragungsrate des Virus aus dieser Altersgruppe heraus ist geringer als bei Erwachsenen. Das gilt insbesondere für Kinder ohne Krankheitssymptome.

Die Annahme, dass die Impfung bei jungen Kindern einen anhaltenden Einfluss auf die Übertragungsrate des Virus nehmen wird, ist unbestätigt. Insoweit ist die Nutzen-Risiko-Abwägung bei der Impfindikation bei jungen Kindern besonders sorgfältig zu überprüfen und nicht so offensichtlich wie bei der Impfung von Erwachsenen.

Die Forderung nach Impfungen der jungen Kinder zur Verhinderung eines allgemeinen Lockdowns ist nicht verhältnismäßig. Der Eigennutz für das Kind muss im Vordergrund stehen …

(Quelle: Gemeinsame Presseinformation von Deutscher Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin DGKJ, Deutscher Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie DGPI und dem Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte BVKJ)

In einem Interview hat Professor Dr. Thomas Mertens, Vorsitzender der Ständigen Impfkommission (Stiko), gesagt, dass er sieben- bis achtjährige Kinder nicht gegen Corona impfen lassen würde. Mit seinen Äußerungen sorgt er für großen Unmut. Wie ist Ihre konkrete Meinung dazu?

Offensichtlich ist sich die kinderärztliche Fachwelt einig, dass gesunde Kinder von der Impfung nicht profitieren und auch ein geringeres Risiko für Übertragung darstellen als ungeimpfte Erwachsene. Warum das die Politik nicht kapieren will, ist völlig unverständlich.

Warum gelingt es den Wissenschaftlern nicht, die besondere Situation der Impfung bei Kindern so aufzuzeigen, dass ein sofortiger Impfstopp angeordnet wird?

Zum Glück haben wir ja noch keine generelle Empfehlung der SARS-CoV-2-Impfung bei gesunden Kindern. Die wird es aus der wissenschaftlichen Welt auch nicht geben. Also brauchen wir keinen Impfstopp.

Dass die Impfung von Erwachsenen absolut sinnvoll ist, bestreitet niemand bis auf einige Querköpfe, die leider sehr laut sind. Bei Kindern sind die wenigen herauszusuchen, die davon profitieren können. Eine solche Einzelfall-Betrachtung erfordert aber Denken und eine differenzierte Darstellung, beides wenig geeignet für Politiker-Sprüche oder Schlagzeilen - die müssen einfach sein.

Wo sehen Sie den Unterschied einer Impfung zwischen Kindern und den Erwachsenen?

Das ist ganz einfach: Die Impfung schützt Erwachsene vor schwerem Krankheitsverlauf, vor Intensivstation und Tod. Sie verringert auch das Übertragungsrisiko auf andere. Hier nehmen wir das Risiko von Nebenwirkungen der Impfung, die es selbstverständlich gibt, in Kauf, weil der Nutzen für den Einzelnen überwiegt. Gesunde Kinder dagegen erkranken so extrem selten schwer an COVID-19, dass es eine generelle Impfempfehlung nicht rechtfertigt.

Deutschland erlebt in den vergangenen Tagen ständig neue Rekorde bei den Corona-Infektionszahlen. Wie dramatisch ist die Lage aus Ihrer Sicht?

Stand heute haben wir ja die Hoffnung, dass die vierte Welle ihr Maximum erreicht hat. Dass die Intensivstationen der Situation noch Herr werden, ist der Impfung zu verdanken - überlastet sind sie nur in Regionen Deutschlands, wo die Impfquote besonders niedrig ist. Auch wenn immer wieder von geimpften Intensivpatienten berichtet wird: Das Gros dieser Patienten ist nicht ausreichend geimpft.

Leider dürfen wir nach den bisherigen Erfahrungen nicht davon ausgehen, dass mit der vierten Welle die Pandemie vorbei ist, weitere Wellen werden kommen. Daher müssen wir die Impfkampagne fortsetzen - bei den Erwachsenen, wohlgemerkt.

Gibt es neuere medizinische Empfehlungen, wie sich Schwangere bei den Impfungen verhalten sollten?

Über die SARS-CoV-2-Impfung in der Schwangerschaft wurde zunächst kontrovers diskutiert, da an den Zulassungsstudien selbstverständlich keine Schwangeren teilgenommen hatten. Aufgrund der Beobachtung, dass Schwangerschaft das Risiko für schwere COVID-19-Verläufe erhöht, wurden dann doch mehr und mehr Schwangere geimpft. Ganz aktuell, Anfang November, veröffentlichte eine kanadische Arbeitsgruppe eine Übersichtsarbeit, in der die Ergebnisse von 23 wissenschaftlichen Publikationen zur Impfung von schwangeren und stillenden Frauen zusammengefasst wurden. Es zeigten sich eine gute Impfantwort und keine negativen Effekte auf den weiteren Verlauf der Schwangerschaft und der Geburt, weder bei den Müttern noch bei den Neugeborenen. Schwangeren Frauen wird die Impfung klar empfohlen. Allerdings sollte im ersten Trimenon, also bis zur 13. SSW, keine Impfung erfolgen.

Warum sollten die Genesenen, obwohl viele einen sehr guten Antikörperstatus haben, durchgeimpft werden wie Ungeimpfte?

Das Problem ist, dass es derzeit keine wirklich aussagesichere Diagnostik gibt, wer immun gegenüber der Infektion ist. Weder die Antikörper-Titer noch die Tests der zellulären Immunität erlauben eine definitive Aussage.

Sehr viele Ergebnisse dieser Laboruntersuchungen liegen in einem mittleren Bereich, der dann keine sichere Prognose erlaubt, ob man sich anstecken kann oder nicht. Im Sinne des vorbeugenden Gesundheitsschutzes tendiert die Medizin dann zur Impfempfehlung.

Gilt man ohne Booster-Impfung bald als ungeimpft?

Das kann ich nicht vorhersagen. Ich gehe aber davon aus, dass die bisher geübte Praxis, dass der Status "vollständig geimpft" ohne Befristung gilt, auch bei SARS-CoV-2-Impfung bald verlassen wird.

Von der Vakzine gegen saisonale Influenza kennen wir das ja schon immer, da sich die Viren eben verändern.

Ist es richtig, dass die bedingte Zulassung der Impfstoffe im Dezember 2021 beziehungsweise im Januar 2022 ausläuft?

Haben die Hersteller eine Verlängerung beantragt und was passiert mit den noch nicht verbrachten Impfstoffen?

Bedingte Zulassungen sind grundsätzlich ein Jahr gültig. Sie werden auf Antrag des Herstellers entsprechend verlängert. Die Dauer ist übrigens weniger wichtig als die Konsequenz der "Bedingung".

Die Zulassungsbehörden fordern den Hersteller auf, kontinuierlich Daten zu Wirkungen und Nebenwirkungen zu erheben und vorzulegen. Damit steigt der Wissensschatz über Vor- und Nachteile stetig an.

Sind Sie selbst geimpft?

Klar bin ich geimpft. Und ich habe in den nächsten Tagen einen Termin für die Auffrisch-Impfung.

Was halten Sie von den sogenannten Totimpfstoffen "Novavax" und "Valneva" und wann rechnen Sie mit einer Zulassung?

Darauf warten wir alle, weil es einige Skeptiker überzeugen wird, sich doch noch impfen zu lassen. Nämlich diejenigen, die der RNA-Technologie misstrauen, bei der das Antigen erst von den eigenen Körperzellen hergestellt werden muss.

Die von Ihnen erwähnten Impfstoffe enthalten ganze, aber nicht mehr funktionsfähige Viren ("Totimpfstoff") oder gentechnisch hergestellte Partikel des Virus. Ein solcher Impfstoff ist "Novavax" und wir erwarten die Zulassung innerhalb der nächsten Wochen.

Herr Prof. Dr. Mühlbauer, ich danke Ihnen für das aufschlussreiche Gespräch.

Wie hat Ihnen der Artikel gefallen?

(1 Stern: Nicht gut | 5 Sterne: Sehr gut)

Feedback senden

CNV-Nachrichten-Newsletter

Hier können Sie sich für unseren CNV-Newsletter mit den aktuellen und wichtigsten Nachrichten aus der Stadt und dem Landkreis Cuxhaven anmelden.

Die wichtigsten Meldungen aktuell


Bild von Jens Potschka
Jens Potschka

Redakteur
Cuxhavener Nachrichten/Niederelbe-Zeitung

jpotschka@no-spamcuxonline.de

Lesen Sie auch...
Gesundheit

Neue Gruppe in Otterndorf: Selbsthilfe für Krebspatienten im Kreis Cuxhaven

von Wiebke Kramp

KREIS CUXHAVEN. Christiane Steffens (65) aus Otterndorf möchte Krebspatienten Mut machen. Ihnen soll der Rücken gestärkt werden, sich gegenseitig zu stützen und Austausch zu pflegen.

Am 12. November ist es soweit

Musicalsongs im Programm der Cuxhavener Sportgala

von Herwig V. Witthohn

CUXHAVEN. Sport und Kultur vereint - dass dies passt haben die Besucherinnen und Besucher der Cuxhavener Sportgala schön öfter erkennen können. Und auch bei der Gala am 12. November, 19 Uhr wird es wunderbare Songs zu hören geben.

Erstaufnahme-Einrichtungen

Wird die Kaserne in Cuxhaven eine Sammelunterkunft für Geflüchtete?

CUXHAVEN. Angesichts der steigenden Zahl an Schutzsuchenden in Niedersachsen will das Land weitere Sammelunterkünfte schaffen.

Mittelfinger gezeigt?

Nach umstrittener Geste: Verfahren gegen Cuxhavener Politiker Wegener eingestellt

von Kai Koppe

CUXHAVEN. Ein mutmaßlicher "Stinkefinger" gegen einen Querdenker-Aufzug hat für den Cuxhavener SPD-Politiker Gunnar Wegener kein gerichtliches Nachspiel.