Projekt komplettiert:

Stolpersteine gegen das Vergessen in Cuxhaven

13.04.2016

CUXHAVEN. Gunter Demnig ist auch beim Finale dabei: Acht Stolpersteine als Gedenken an Opfer des NS-Regimes wird der Künstler am 25. April in Cuxhaven verlegen. Von Maren Reese-Winne

CUXHAVEN. Es war 2011. Eines der ersten Projekttreffen von „Toleranz fördern – Kompetenz stärken“ im Haus der Jugend. Gaby Hoffmann weiß es noch wie heute: „Du, Erika (Fischer), hast gesagt: ,Ich möchte jetzt endlich die Stolpersteine verlegen.‘ Dann ist Eike (Braschwitz) aufgestanden und hat bekräftigt: ,Und da sind wir dabei.‘“

Daraus entstanden ist ein Projekt, mit dem der Förderverein Cuxhaven Spuren hinterlassen hat: 30 „Stolpersteine“, mit denen an Verfolgte und Opfer der Nazi-Herrschaft erinnert wird. Die letzten acht dieser Stolpersteine werden am 25. April verlegt.

Politisch verfolgt

Nicht nur jüdische Familien waren im Visier der Nationalsozialisten, wurden von Cuxhaven aus verschleppt oder konnten erst im letzten Moment fliehen: Mit Heinrich Grube, Wilhelm Heidsiek und Kapitän Karl Alexander wird diesmal auch dreier politisch Verfolgter gedacht. Als SPD-Mitglieder und Widerständler wurden alle drei nach Verfolgung und Folter in Konzentrationslagern ermordet. Stolpersteine vor dem Rathaus, auf dem Kaemmererplatz vor dem Pressehaus und an der Ecke Kapitän-Alexander-Straße/Konrad-Adenauer-Allee werden an sie erinnern.

Vier Stolpersteine sind der jüdischen Familie Scharfstein gewidmet und werden am Übergang zwischen Kaemmererplatz und Nordersteinstraße installiert. Am Standort des späteren Karstadt-Gebäudes hatte die Familie ein Warenhaus betrieben, das sie 1935 auf Druck der NSDAP aufgeben musste.

Ebenso wie die siebenjährige Marianne Janecke, an die seit 2013 ein Stolperstein in der Beethovenallee erinnert, ist Rolf-Dieter Erbguth ein Opfer der Euthanasie. Horst Riepenhusen, Vorstandsmitglied der Lebenshilfe Cuxhaven, entdeckte das Schicksal des Jungen, der als 15-Jähriger in einer so genannten „Heilanstalt“ sein Leben lassen musste.

„Etwas Besonderes in diesem Jahr ist, dass wir noch sehr viele Angehörige gefunden haben, die tief bewegt sind über die Ehrung. Ihnen war es auch wichtig, selbst den Stolperstein zu bezahlen“, berichtet Erika Fischer.

Schulen intensiv dabei

Wieder haben sich Schülerinnen und Schüler und die Lehrkräfte des Stolperstein-Teams intensiv mit den Lebensgeschichten der Opfer beschäftigt: Jana Birke und ihre „Lichtenbergler“ mit Wilhelm Heidsiek, Eike Braschwitz und die Bleickenschule mit Heinrich Grube, Jens Kaufmann und das Amandus-Abendroth-Gymnasium mit Familie Scharfstein und Dr. Gerd Behrens und die Geschwister-Scholl-Schule mit Kapitän Alexander. Die Spuren von Rolf-Jürgen Erbguth haben Lisa Klowat und Hanna Zandbergen, „Bufdis“ aus dem Haus der Jugend, nachverfolgt.

Schweiß und Tränen

„Die intensive Mitarbeiter der Schulen ist überhaupt das Schönste“, sagt Erika Fischer. Sie macht keinen Hehl daraus: Das gesamte Stolperstein-Projekt, über fünf Jahre begleitet durch anspruchsvolle Veranstaltungen wie Lesungen, Ausstellungen, Fahrten, hat Schweiß und Tränen gekostet.

Eine Auswahl: Die Lesung von Jennifer Teege, Enkelin des KZ-Kommandanten Amon Göth, der Besuch der Anne-Frank-Freundin Jacqueline Sanders-van Maarsen, zwei Anne-Frank-Ausstellungen, Rundfahrt zu vergessenen Orten, Zeitzeugenprojekt „70 Jahre danach“ mit Fahrt nach Berlin und Gespräch mit Inge Deutschkron. Unvergessen: „Wie klug und sensibel die Schüler bei jedem Mal nachgefragt haben.“

Viel intensiver erlebt

Die Veranstaltungen haben den Beteiligten Erfahrungen verschafft, die diese nie wieder vergessen werden. „Sich mit einem Schicksal zu beschäftigen, ist viel intensiver, als die abstrakte Zahl von sechs Millionen ermordeter Juden zu hören“, so drückte es einmal eine Schülerin aus.

Die Biografien haben die Jugendlichen in Präsentationen zusammengefasst, die sie am Donnerstag, 21. April, um 15 Uhr in einer öffentlichen Veranstaltung im Ratssaal zeigen werden. Am Sonntag, 24. April, wird um 18 Uhr im Schloss Ritzebüttel eine Bilanz der Stolperstein-Aktion gezogen – auch Initiator Gunter Demnig wird dabei sein.

Route der Verlegung

Die Stolpersteine werden am Montag, 25. April, ab 9 Uhr verlegt (Termin vorgegeben durch den Künstler). Auch Angehörige der Opfer haben sich bereits angemeldet. Zur Route:

9 Uhr: Albert-Schweitzer-Straße 21, Rolf-Jürgen Erbguth, Jahrgang 1928. Eingewiesen am 9. 6. 1943 in die Heilanstalt Lüneburg und am 3.9. 1943 in die Heilanstalt Pfafferode. Dort ermordet am 25.9. 1943.

9.30 Uhr: Rathaus, alter Haupteingang, Grüner Weg. Heinrich Grube, Jahrgang 1888. Im Widerstand/SPD-Mitglied. Seit 1933 mehrmals verhaftet. Am 16. November 1944 im KZ Neuengamme ermordet.

10 Uhr: Kaemmererplatz/Nordersteinstraße: Jakob Alexander, Gertrud, Manfred und Heinz Scharfstein. Jakob Alexander Scharfstein überlebte die Überfahrt 1941 nicht. Seiner Frau Gertrud und den Söhnen gelang die Flucht in die USA und nach Palästina.

10.30 Uhr, Kaemmererplatz: Wilhelm Heidsiek. Im Widerstand/SPD-Mitglied, verfolgt, mehrmals verhaftet, am 7. November 1944 in Neuengamme ermordet.

10:50 Uhr: Kapitän-Alexander-Straße/Konrad-Adenauer-Allee: Kapitän Karl Alexander. Im Widerstand/SPD-Mitglied. Mehrmals verhaftet, des Hochverrats verdächtigt. Am 12. Juni 1940 im KZ Sachsenhausen ermordet.

Die Stolpersteine, angebracht vor dem letzten bekannten Wohnort, sollen Passanten für einen Moment stoppen und aufmerksam machen auf ein Schicksal, das für Tausende anderer steht. Wenn die vorerst letzten Stolpersteine verlegt sind, soll eine Broschüre erstellt werden, die Schüler, Besucher und Einheimische auf künftig zu den Standorten führt.

Letzte Wohnorte

In Cuxhaven sind Stolpersteine bislang an folgenden Orten zu finden: Große Hardewiek 1 (Bernhard, Betty Erna, Gerda und Minna Rosenthal), Steinmarner Straße 10 (Hanna Erdmann), Poststraße 11 (Hermann, Irma, Kurt, Selma Blumenthal, Erika, Leo und Lieschen Ehrlich, Herta Jacobsohn), Beethovenallee 7 (Marianne Janecke), Dohrmannstraße 1 (Augusta und Hermann Sternberg), Kirchenpauerstraße 1 (Bernhard und Friederike Weinberg), Strichweg 29 (Max Moritz Cahn), Deichstraße 20 (Oskar Dankner), Holstenstraße 7 (Anna und Benjamin Wallach).

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