CN/NEZ-Sportredakteur Frank Lütt (l.) mit dem 84-jährigen Harald Kirchner auf der Zielgeraden beim Winterlauf in Oldendorf. Großes Tempo gab es da nicht mehr zu sehen. Lütt hatte dabei 45 Kilometer in den Beinen, Kirchner kam auf 30 Kilometer. Die beiden Sportler sind die letzten zwei Kilometer zusammen überwiegend gegangen. Fotos: Hargus
CN/NEZ-Sportredakteur Frank Lütt (l.) mit dem 84-jährigen Harald Kirchner auf der Zielgeraden beim Winterlauf in Oldendorf. Großes Tempo gab es da nicht mehr zu sehen. Lütt hatte dabei 45 Kilometer in den Beinen, Kirchner kam auf 30 Kilometer. Die beiden Sportler sind die letzten zwei Kilometer zusammen überwiegend gegangen. Fotos: Hargus
"Sportlich von A bis Z"

Ultramarathon bringt CN/NEZ-Sportredakteur an seine Grenzen

von Frank Lütt | 29.01.2020

KREIS CUXHAVEN/KREIS STADE. Beim Buchstaben "U" gibt es nicht viel Auswahl bei Sportarten. Da Unterwasser-Rugby hier in der Region nicht angeboten wird, fiel die Entscheidung für unsere Serie "Sportlich von A bis Z" auf den Ultramarathon. Die Voraussetzungen waren allerdings alles andere als gut.

Das Unternehmen für CN/NEZ-Sportredakteur Frank Lütt war ein Vabanquespiel. Er wagte sich beim Winterlauf in Oldendorf auf die 45-Kilometer-Strecke. Wegen der nicht optimalen Vorbereitung ein Warnhinweis vorweg: Nicht zur Nachahmung empfohlen!

Anfang Oktober vergangenen Jahres nahm ich am Gezeitenlauf in Otterndorf teil und erreichte eine gelaufene Strecke von 32,21 Kilometer - soweit hatten mich meine Füße noch nie getragen. Anschließend reifte bei mir der Gedanke, dass ich bei kontinuierlichem Training so fit werden könnte, um Ende Januar 2020 einen Ultramarathon absolvieren zu können, damit wir hinter dem "U" einen Haken machen können. Doch dann erwischte es mich beim "I". Ein unfreiwilliger Spagat beim Inlinehockey sorgte für eine fette Oberschenkel-Zerrung, die ich auch noch zwei Monate später spürte.

So stieg ich erst wieder am 5. Januar ins Lauftraining ein. Zwölf Trainingsläufe absolvierte ich, von 30 bis 120 Minuten Länge, wobei dies nicht nach irgendeinem Schema passierte, sondern Lust und Laune bestimmten Intensität oder Streckenlänge. Normalerweise dauert die Vorbereitung auf einen Marathon mindestens zwölf Wochen mit unterschiedlichen Läufen - von Tempoeinheiten bis zu Langstrecken deutlich über 30 Kilometer. Dementsprechend fuhr ich schon mit etwas Bammel in den Kreis Stade nach Oldendorf, wo ich mich zum 21. Winterlauf für die 45-Kilometer-Distanz angemeldet habe.

Einige Laufspezis, die ich schon seit Jahren beruflich begleite, sprachen mir kurz vor dem Start Mut zu und gaben mir wertvolle Tipps: "Mach schön langsam, dann kannst Du das vielleicht schaffen. Nach jeder Runde solltest Du Dich am Verpflegungsstand bedienen." Andere hielten mich für verrückt oder trauten mir die Mission nicht zu: "Mit nur drei Wochen Training - Du bist wahnsinnig. Wir sammeln Dich nachher auf der Strecke ein."

Idyllische Landschaft

Mit 280 anderen Lauffreudigen ging es auf die Fünf-Kilometer-Runde in die Feldmark bei Oldendorf. Jeder Teilnehmer darf bei diesem Rennen so viele Runden absolvieren wie er will. Die längste Distanz ist 50 Kilometer. Ich meldete für neun Runden, also für 45 Kilometer. Nach wenigen Metern war das schnell in die Länge gezogene Feld voll in der Natur. Mit meinem gemächlichen Tempo - ich wollte die einzelnen Runden in etwa 35 Minuten laufen - war ich weiter hinten anzutreffen. Der asphaltierte Weg führte an einigen Weiden und Wäldchen vorbei. Zwei Rehe im Morgendunst auf der linken Seite betonten die friedvolle Stimmung. Das Plätschern eines kleinen Bachlaufes trug ebenfalls zu der beschaulichen Atmosphäre bei und ließen die empfindliche Temperatur von zwei Grad Celsius fast vergessen. Von Kilometer zu Kilometer wurde mir aber wärmer. Nach Runde eins löste mein Transponder am Fußgelenk einen Impuls an der Zeitmessmatte aus, die digitale Anzeige wies eine Zwischenzeit von 34:38 Minuten aus, also etwas schneller als gedacht.

Auf der zweiten und dritten Runde lief es weiterhin rund, ich erfreute mich an der Natur. "Die ganzen Regenwürmer hier am Wegesrand kommen wegen unseres Getrampels aus der Erde", erklärte ein Läufer neben mir ungefragt und fügte hinzu: "Die denken, dass es regnet." Okay, interessant, dachte ich mir. Als Langstreckenläufer hat man offenbar auch viel Zeit, um über vieles nachzudenken. Meine Gedanken kreisten aber zu diesem Zeitpunkt nur darum, das Tempo einigermaßen zu halten. Runde zwei und drei beendete ich exakt mit derselben Zeit: 34:59 Minuten. Ich war zufrieden.

Cola, Banane, Schokolade

Am Ende der vierten Runde, die ich ebenfalls in einem ordentlichen Tempo schaffte, gönnte ich mir eine längere Pause am Verpflegungsstand, sodass die Digitalanzeige für mich 38:00 Minuten auswarf. Neben Cola und Wasser nahm ich Bananenstücke und Schokolade zu mir.

Runde fünf begann gut, auf halber Strecke hörte ich das bedrohliche Pfeifen eines Vogels, vermutlich eines Bussards oder Rotmilans. "Sind das die Geier, die die Läufer aufpicken, die nachher nicht mehr ankommen?", fragte ich mit einem Schmunzeln eine Teilnehmerin mittleren Alters neben mir. "Mich kriegen die nicht, denn ich höre nach dieser Runde auf", erwiderte die Läuferin.

Von nun an dachte ich darüber nach, wie es jetzt wäre aufzuhören, dann hätte ich schließlich auch deutlich mehr als einen Halbmarathon hinter mir gehabt. Während dieser Gedankenspiele merkte ich, dass ich langsamer wurde. Mein linkes Bein hob ich nicht mehr so hoch an wie vorher. Auf einer langen Allee kam der seichte, aber kalte Wind von vorn. "Hat der Wind zugenommen?", fragte ich mich. Ich legte eine kleine Gehpause ein. Läufer, die ich vorhin noch überholt hatte, zogen langsam an mir vorbei. Wieder langsam in den Laufrhythmus findend, nahm ich die Verfolgung auf. Ich merkte jedoch, es würde nicht einfacher. Objektiver Beweis dafür: die 43:21-Minuten-Runde.

Gehpausen werden länger

Als ich das sechste Mal auf die Strecke ging, dachte ich an meinen Kollegen, der im Vorfeld zu mir sagte: "Für die Story wäre es besser, wenn Du kläglich scheiterst." Mein Ehrgeiz war geweckt, aber die Beine machten nicht mehr so mit wie in der ersten Rennhälfte. Die Gehpausen wurden häufiger und länger. Mit 46:01 Minuten war ich mehr als elf Minuten langsamer als zum Anfang. An der Verpflegungsstation traf ich den Otterndorfer Jürgen Frey, der seinen 220. Marathon beziehungsweise Ultramarathon bestritt. "Trink mal jetzt ein bisschen Brühe", riet er mir zu dem bisher von mir verschmähten Getränk. "Das wird Dir helfen", sagte Frey. Ich spürte, dass die Brühe mich immerhin innerlich wärmte. Ganz so warm wie in den Runden am Anfang war mir jetzt nämlich nicht mehr. Das hing sicherlich mit dem deutlich geringeren Tempo zusammen.

Mit einem Wechsel aus Laufen und Gehen schaffte ich es, mein Niveau einigermaßen zu halten. 47:15 Minuten in Runde sieben. "Die vorletzte Runde ist noch mal hart, die letzte ist dann nur noch Schaulaufen", hatte Frey vorhin mir mit auf den Weg gegeben. Ich kämpfte dagegen an, konzentrierte mich darauf, nicht so oft zu gehen. Und tatsächlich: Ich wurde wieder schneller. Über zwei Minuten gegenüber der Vorrunde (45:05). Ich konnte aber nicht mehr nach 40 Kilometern. Und die verbliebene Zeit genügte nicht mehr, um unter der Zielschluss-Zeit von sechs Stunden zu bleiben. Die Oldendorfer Organisatoren waren aber gnädig, ich dürfte auch meine letzte und neunte Runde noch laufen. Thomas Hargus, der Zeitnehmer aus Otterndorf, motivierte mich mit pieksenden Kommentaren: "Du hast ja noch nicht mal die Marathondistanz geschafft. Stell Dich nicht so an." Als die Männer außerdem erwähnten, dass sie auch Harald Kirchner, 84-jähriges Laufurgestein aus Langen, auf seine letzte und sechste Runde gelassen hatten, raffte ich mich auf und lief weiter. "Harald ist da hinten eben gerade um die Ecke gebogen", rief mir ein Veranstalter hinterher.

Harald, der mittlerweile mehr für sein schnelles Gehen bekannt ist, hatte gut 500 Meter Vorsprung. Ich kämpfte mich nach und nach heran. Beim Kilometerschild 3, also für mich bei Kilometer 43, hatte ich ihn. "Na Harald, lass uns mal die letzten zwei Kilometer zusammen laufen", sagte ich. Und so plauderten wir noch eine ganze Weile, vorwiegend übers Laufen. Harald erzählte mir zum wiederholten Mal von seiner über 60-jährigen Läuferkarriere, während wir auf die Zielgerade einbogen. Ich ermunterte ihn, wenigstens hier in die Laufbewegung zu kommen, auch wenn es mir sehr schwer fiel und beim Antraben sogar ein Krampf drohte. Nach sechseinviertel Stunden überquerten wir erschöpft aber glücklich die Ziellinie.

Jeder Schritt schmerzt

Nachdem wir uns noch einmal am Getränkestand versorgt hatten, ging es zum Schulzentrum, wo die Umkleiden und Siegerehrung sind. Leider waren das noch mal gut 500 Meter. Jeder Schritt schmerzte, es zog in den Leisten, die Knie wollten nicht mehr so gebeugt werden, die Füße fühlten sich platt an. Ich benötigte für diese Strecke gefühlt noch mal solange wie für die letzten zwei Kilometer im Rennen. Mir war unheimlich kalt, ich zitterte wie Espenlaub. Spätestens jetzt erinnerte mich an die Mahner im Vorfeld, dass Ultramarathon mit nur drei Wochen Training keinen Sinn ergibt, aber was soll's: Ich hab das U gepackt.

Ultramarathon

Ein Ultramarathon ist eine Laufveranstaltung über eine Strecke, die länger als die Marathondistanz von 42,195 Kilometer ist. Außer den Ultras über bestimmte Distanzen gibt es auch Läufe, die über eine bestimmte Zeit ausgetragen werden. Die kürzeste dieser Disziplinen, die als Ultramarathon gilt, ist der Sechs-Stunden-Lauf; es gibt sogar 72-Stunden-Läufe.

Das Training für einen Ultramarathon ist dem für einen Marathonlauf ähnlich, jedoch werden die "langen langsamen Läufe" auf über drei Stunden Dauer ausgedehnt. Die gesundheitlichen Risiken entsprechen denen beim Marathonlauf.

In der Region gibt es mehrere Ultra-Läufe: Otterndorfer Gezeitenlauf, Sietland-Ultra, Nordholzer Sechs-Stunden-Lauf, Lamstedter Börde-Lauf und Watt-Moor-Ultra.

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Frank Lütt

Redakteur
Cuxhavener Nachrichten/Niederelbe-Zeitung

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