
Virologe übt deutliche Kritik an neuen Quarantäne-Regeln für Kita- und Schulkinder
KREIS CUXHAVEN. Die Gesundheitsminister der Länder haben am Montagabend beschlossen, die Quarantäne-Regeln für Kindergarten und Schule zu lockern. Der Virologe Andreas Dotzauer hält diese Entscheidung für falsch - und hat dafür stichhaltige Argumente.
Der Leiter des Laboratoriums für Virusforschung an der Universität Bremen, Professor Andreas Dotzauer, hält die neuen Quarantäne-Regeln für schwierig. "Mit der Delta-Variante liegt die durchschnittliche Inkubationszeit bei vier Tagen, bei Kindern verschiebt sie sich um ein bis zwei Tage nach hinten, bei kleinen Kindern kann sie bis zu sieben Tage dauern", erklärt er seine Haltung. Allerdings: Je älter die Kinder seien, desto eher gelten für sie die Durchschnittswerte. "Die fünf Tage sind knapp berechnet", sagt Dotzauer.
Längere Inkubationszeit bei Kindern
Dass die Inkubationszeit bei Kindern länger ist, liege daran, dass sich die Symptomatik bei Kindern langsamer entwickele und auch die Vermehrung der Viren langsamer vonstatten gehe. "Das ist der Grund, warum sie bei den bisherigen Varianten kaum Symptome gezeigt haben", erklärt Dotzauer.
Auch wenn er das Ziel der politischen Entscheidung, möglichst viele Schüler in der Schule zu haben, nachvollziehen könne, sei die jetzige Entscheidung "ein Kompromiss mit Restrisiko." Wichtig sei, sich die Option zur schnellen Reaktion offen zu halten. "Wenn man also merkt, so funktioniert es nicht, sollte auch schnell wieder stärker eingeschränkt werden können", empfiehlt er.
Warten auf Kinder-Impfstoffe
Ein Stichwort, das insbesondere in Bezug auf die Kindertagesstätten immer wieder fällt, ist die sogenannte "Durchseuchung", dem Infektionsgeschehen also seinen Lauf zu lassen und alle Kinder Corona einmal "durchmachen" zu lassen. Das würde ohne Maßnahmen auch passieren, ist Dotzauer sicher. Aber: "Auch in dieser Altersgruppe kommt es zu schweren Erkrankungen und es bilden sich Long-Covid-Symptome", gibt er zu bedenken. Es sei noch wenig darüber bekannt, welche Spätfolgen drohen. "Allein aus Gründen der Vorsorgepflicht den Kindern gegenüber kann man eine "Durchseuchung" nicht machen", sagt er deshalb.
Virologe hält geplante Regeln für zu lax
Kommt es zum Infektionsfall in einer Einrichtung sei eine Quarantäne für alle Kinder eine Gruppe sinnvoll. Auch Kohortenbildung wäre angebracht. "Je kleiner die Gruppe, desto besser", sagt Dotzauer, Muss ein Kind in Quarantäne, sei es auch sinnvoll, wenn die anderen Familienmitglieder, auch die Geimpften sich isolieren oder mindestens tägliche Tests machen würden. "Wichtig ist, sich bewusst zu machen, welche Gefahr besteht für mich oder geht von mir aus?", sagt der Virologe.
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Impfstoffe könnten unwirksamer werden
Er weist zudem noch auf ein Problem hin, dass die vielen Infektionen in Schulen und Kitas für die Pandemie bedeuten. "Viren mutieren in jedem Wirt. Je mehr Personen sich also anstecken, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass es Mutationen gibt, gegen die die Impfstoffe an Wirksamkeit verlieren", erklärt er. Impfstoffe - auch für Kinder - seien aber die einzige Lösung, mit der die Pandemie in den Griff zu bekommen sei. Dass die Menschen aktuell wieder bereit seien, mehr zu riskieren, wirke sich "fatal" auf die Zahlen aus.
Kein positiver PCR-Test in DRK-Kitas
Davon kann bei den meisten Kindertagesstätten im Kreis Cuxhaven bislang noch keine Rede sein. Dennoch musste Joachim Büchsenschütz, Fachgebietsleiter für die 26 Kindertagesstätten des DRK-Kreisverbandes Cuxhaven-Land Hadeln, Anfang der Woche einen Schrecken verarbeiten: Bis dahin waren acht positive Corona-Lolli-Tests aus unterschiedlichen Kitas gemeldet worden. Bis Dienstagnachmittag gab es bereits sieben Rückmeldungen, nur ein Ergebnis stand bis dahin noch nicht fest. "Alle sieben vorgenommene PCR-Tests waren zum Glück negativ", so Büchsenschütz erleichtert.
Lolli-Tests sind sehr sensibel
Den Einsatz dieser empfindlichen Lolli-Tests mag er nicht nachvollziehen. Denn solch ein falsches positives Testergebnis sorge nicht nur dafür, dass sich die Familien solange in Quarantäne begeben müssen, bis ein negatives PCR-Testergebnis vorliege. "Das sind auch für unsere Erzieherinnen emotional schwierige Zeiten." Den Eltern werde empfohlen, die Testungen bei ihren Kindern noch vor dem Zähneputzen und Frühstück vorzunehmen, so Büchsenschütz. Die Tests seien hochgradig sensibel. Ein Kind soll eine halbe Stunde zuvor eine Pflaume gegessen haben - und der Schnelltest fiel positiv aus. Die neuen Quarantäne-Regeln kann der DRK-Fachberater noch nicht bewerten, weil nicht feststehe, ob auch Kitas davon betroffen seien.
Viele Unsicherheiten bei Eltern
Auch in den Betreuungseinrichtungen des evangelisch-lutherischen Kindertagesstättenverbandes Cuxhaven kommen die Lolli-Tests zum Einsatz, wie Claudia Starck berichtet. "Im Hinblick auf das Verfahren und Quarantäne-Regelungen gibt es bei den Eltern noch viele Unsicherheiten." Allerdings könne der Kita-Verband bei Entscheidungen und Anordnungen lediglich auf das Gesundheitsamt verweisen. "Zur Zeit arbeiten wir nach wie vor im offenen Konzept, sind aber auf die Rückkehr in kleinere bzw. geschlossene Gruppen sehr gut vorbereitet."
"Können wir nicht ändern"
Helle Vanini, Geschäftsführerin des Paritätischen, der im Stadtgebiet drei Kindergärten und zwei Hort-Einrichtungen betreibt, blickt den neuen Regelungen abwartend entgegen: "Was wir nicht ändern können, können wir nicht ändern." Aus ihrer Sicht ist es zu früh, um die Entscheidung der Länder-Gesundheitsminister zu kommentieren: Erst müsse man wissen, was denn tatsächlich auf einen zukomme.
Träger müssen abwarten
Den Verordnungstext aus dem Ministerium will auch Martin Reese, Leiter der Grodener Schule, abwarten. Offiziell haben die Schulen nach seinem Kenntnisstand keine Informationen über die neuen Quarantäne-Regeln erhalten. "Ob es gut ist, Kinder vorzeitig freiesten zu lassen, kann ich nicht einschätzen", sagt Reese in Bezug auf etwaige, damit verbundene Risiken. Aufgrund der Ausbreitung der Delta-Variante werden Schulen seiner Auffassung nach öfter vor der Situation stehen, Schülerinnen und Schüler in Quarantäne zu schicken - unabhängig von Erleichterungen oder Vereinheitlichungen der Regeln.
"Soziale Kontakte fehlen"
In der Grodener Schule hat man Erfahrung mit der Bewältigung solcher Situationen, nicht nur in Bezug auf das Unterrichtsgeschehen. Aus Gründen der Coronaprävention verfolgten sechs von 29 Erstklässlern die zurückliegende Einschulungsfeier auf digitalem Wege. "Was fehlt", gibt so Schulleiter, "sind natürlich soziale Begegnungen."
Keine Fälle in Otterndorfer Grundschule
Im noch jungen Schuljahr sei die Grundschule Otterndorf bislang von Coronafällen verschont geblieben. Auch die Einschulung der 69 Abc-Schützen am Sonnabend habe reibungslos geklappt, so Schulleiterin Elisabeth Baumann. Alle seien getestet gewesen: "Wir haben das vorher gut über die Schulplattform IServ kommuniziert." Auch die regelmäßigen Testungen der anderen Schulkinder funktioniere reibungslos, so Baumann. "Das ist mittlerweile geübte Praxis. Und vergisst mal ein Kind die Unterschrift der Eltern oder verliert sie, dann hakt unsere Schulsozialarbeiterin nach." (lab/kop/wip/mr)