
Amtmann Barthold Heinrich Brockes bittet im Schloss Ritzebüttel zu Tisch
Kulinarik und Historie: Im Schloss Ritzebüttel wird nicht nur das Geburtstagsdinner eines Dichters gefeiert, sondern auch der marode Marstall in den Fokus gerückt. Die Aktiven vom Schlossverein verbinden Genuss und Erinnerung kunstvoll miteinander.
Es ist Punkt 18 Uhr. Die Glocke der Martinskirche ertönt, begleitet die letzten Gäste aus Richtung Marktplatz herüber. Vorbei am Gärtnerhaus, vorbei an der Alten Wache - und an jenem großen Relief, das seit Jahrzehnten an Amtmann Barthold Heinrich Brockes erinnert. Die Patina schimmert im frühen Abendlicht, unter dem roten Backstein blüht frisch bepflanzt ein Beet.
Dann die Treppe hinauf zum Schloss: Dort wartet ein Begrüßungssekt. Gitarrenklänge von Jan Richert - beschwingte italienische, kubanische, spanische Klänge füllen den Flur. Im Festsaal ist das Stimmengewirr schon dicht. Man begrüßt sich, herzt sich, orientiert sich an der Tafel mit der Sitzordnung und sucht seinen Platz. Ein Abend beginnt, der mehr sein will als ein Geburtstagsdinner - er ist lebendige Erinnerung an einen Dichter, Amtmann und Hamburger Senator, der vor 290 Jahren nach Ritzebüttel kam.
Drinnen im großen Saal glänzen die Tische. Weißes Porzellan, Silberbesteck mit Gravur, Stoffservietten in festlichen Falten. "Herzlich willkommen zur diesjährigen Brockes-Brotzeit", grüßt Schlossvereinsvorsitzende Melanie Eitzen-Fischer. "Wir feiern heute nicht irgendeinen Geburtstag, sondern die Wiederkehr eines Dichters, Naturbeobachters und Amtmannes." Dankbar blickt sie in den Saal: "Schön, dass Sie alle da sind." Sie erinnert an die Ehrenmitglieder, an neue Gäste, an die Stadtsparkasse als Förderer, an Sponsoren und an den eigentlichen Zweck des Abends: das Schlossensemble und besonders den maroden Marstall im Bewusstsein zu halten. "Es wird ein langer Weg", sagt sie, "aber wir bleiben dran. Mit Ihrer Hilfe."
Fünf Gänge und viele Treppenstufen
Das Menü ist ein Kunststück der Logistik. Denn im oberen Teil des Schlosses gibt es keine richtige Küche für derlei Feierlichkeiten. Also verwandelten die Hansens vom "Hotel Seelust" kurzerhand Trauzimmer, Garderobe und Barocksaal in eine Art "Zwischenküche". Ein Wärmeschrank stand in der Garderobe, mobile Herdplatten brodelten dort, wo sonst Jacken hängen. Für das Team hieß das: Trepp auf, Trepp ab - den ganzen Abend. Teller, Töpfe, Wärmebehälter in endloser Schleife. Draußen vor der Schlosstreppe wartete ein VW-Springer als Spülmobil. Gebrauchte Teller hinein, zurück nach Duhnen. "Das ist Schwerstarbeit, aber es macht Spaß", sagt Jörg Hansen. "Wir wollen zeigen, dass man auch ohne große Küche ein festliches Menü zaubern kann."
Kulinarik mit Heimatbezug
Und das taten sie. Zuerst ein Amuse-Gueule, dann eine Mousse von Cuxhavener Räucherfischen mit Honig-Senf-Dill-Soße. "Vielleicht gab's das so ähnlich schon zu Brockes' Zeiten", lacht Hansen. "Nur haben wir es ein wenig modern gemacht." Es folgten das Helgoländer Hummersüppchen, die rosa gebratene Rindersteakhüfte mit Rosmarinjus, Zwiebelmarmelade und Pastinaken. Zum Schluss eine Dessertvariation "Brockes 2025". Hansen erklärt jeden Gang launig selbst, norddeutsch per Du. "Brockes wäre bestimmt stolz, wenn er das sehen könnte", meint er. "Und wenn man 345 wird, darf man ruhig mal schlemmen."
Musik für des Dichters Ohren
Im Festsaal enthüllen Melanie Eitzen-Fischer und Vorstandsmitglied Bernd Kreft derweil ein neues Gemälde des Amtmannes. Applaus brandet auf. Zwischen den Gängen schweigen Teller und Gläser - und es erklingt Musik. Nina Böhlke singt, Andrea Benucci begleitet sie auf der Laute. Ihre Lieder - zumeist Musik aus dem 17. Jahrhundert von John Dowland - tragen weit in den Saal, schaffen stille Momente. "Sie begleiteten die Festrunde trefflich", sagt später ein Gast. Der Dichter Brockes, der selbst ein feines Ohr für Natur- und Weltklänge hatte, hätte wohl genickt.
Auch das Publikum mischt sich in die Erinnerung ein. "Wir kommen schon seit vielen Jahren zur Brockes-Brotzeit", erzählen Uta Petersen und Werner Tiemann. "Es ist wie ein Familientreffen." Andere Gäste sind zum ersten Mal dabei - und staunen über die Atmosphäre, die Mischung aus Barock und Gegenwart, Genuss und Geschichte.
Spät am Abend senkt sich die Stimmung. Stimmen mischen sich erneut im Flur und draußen schlägt die Turmuhr elfmal. Die Brotzeit 2025 klingt aus. Ein Abend für Brockes und für die lebendige Erinnerung einer Stadt an ihre hamburgische Vergangenheit.






