
Auftakt in Cuxhaven: "Kalter weißer Mann" bringt Gender-Debatte auf die Bühne
Im Stadttheater Cuxhaven prallen Weltanschauungen auf Wortakrobatik: "Kalter weißer Mann" zerlegt den Kulturkampf ums Gendern mit messerscharfer Satire, pointensicheren Dialogen und einem Ensemble in Bestform.
Wenn es ums Gendern geht, ist heutzutage zwischen Befürwortern und Gegnern (und ganz besonders zwischen Befürworterinnen und Gegnerinnen) nicht selten der sprichwörtliche "Kampf bis aufs Messer" angesagt. Verbissenheit auf beiden Seiten ist sozusagen Trumpf. Nicht jedoch in der Komödie "Kalter weißer Mann" des Autoren-Duos Dietmar Jacobs und Moritz Netenjakob - sie nehmen die Angelegenheit vielmehr "satirisch" und bereiten so ihrem Publikum bei inbegriffener absoluter Treffsicherheit ein ausgesprochenes Vergnügen.
Zum Beispiel am Sonntagabend im Stadttheater Cuxhaven, wo die Komödie in einer Produktion des Euro-Studios Landgraf zu erleben war. Unter der Regie von Marcus Ganser spielte ein bestens gestimmtes sechsköpfiges Darsteller- und Darstellerinnen-Ensemble und eröffnete mit den fast ausnahmslos ins Schwarze treffenden Dialogen des Stücks zugleich die neue Bespielungstheater-Spielzeit.
Wenn eine Kranzschleife zur Gender-Frage wird
"Früher ist nicht mehr" - dieser locker-flockig-resignative Spruch scheint über allem zu stehen, was sich da im Laufe von gut eineinhalb Stunden Spieldauer so alles in "Kalter weißer Mann" entwickelt. Und das ist in der Tat eine ganze Menge. Auslöser ist die Kranzschleife zur Trauerfeier für den Seniorchef einer mittelständischen deutschen Unterwäschefirma. Auf ihr, der Kranzschleife, steht zu lesen: "In tiefer Trauer die Mitarbeiter". Ganz "normal", findet Horst Bohne, der Geschäftsführer in spe. Kein Mensch hätte sich vor Jahr und Tag darüber aufgeregt. Heute jedoch schon, denn - so Marketingchefin Alina Bergreiter, Head of New Development: "Wo sind auf dieser Kranzschleife die Mitarbeiterinnen?"
Was sich dann entspinnt, ist ein mit viel Wortwitz und Komik gewürzter Schlagabtausch durchaus nicht nur über das Gendern, sondern über all das, was die Kulturdebatte ausgelöst hat. Eine wahre "Büchse der Pandora" wird da geöffnet, mit all den Facetten, die sie bereithält - von political correctness und Selbstbestimmung über das eigene Geschlecht bis hin zu Themen wie Sexismus und Rassismus. Mitten drin: Horst Bohne, der für seinen verstorbenen Chef ja doch nur eine "ganz normale" Trauerfeier ausrichten wollte, wenn auch mit der nicht ganz uneigennützigen Absicht, sich selbst in Szene zu setzen.
Timothy Peach brilliert als Gender-Gegner
Timothy Peach ist geradezu unübertrefflich in der Rolle des in die Enge getriebenen Gender-Gegners, der sich mit Händen und Füßen gegen den Zeitgeist und prompt in jede Falle tappt. Dass Peach mit alldem nicht ins Klamottige abgleitet - das ist eben die Kunst. Und zu einem ganz großen Teil auch das Verdienst des absolut dialog-sicheren Autoren-Duos Dietmar Jacobs und Moritz Netenjakob.
Für deren satirischen Ritt durch die gesellschaftlichen Veränderungen unserer Zeit schafft Marcus Ganser, Regisseur und Ausstatter dieser Komödien-Inszenierung, einen vom Kreuz dominierten Trauerraum. Durchaus ein kleines Wagnis. Aber wie das so ist in säkularen Zeiten wie diesen: Trauerfeiern sind eben auch nicht mehr das, was sie mal waren. Heute ist Social-Media immer dabei - ob in Form des Selfies mit Kranz, Schleife und Urne, unvermittelt aufploppenden Nachrichten oder als "posts" in die weite Welt. Das Ganze wird zu einem geradezu irrwitzigen Hickhack um Begriffe und Begrifflichkeiten, die früher so und nicht anders waren und heute nicht mehr gelten.
Satire darf alles - auch in Cuxhaven
Und immer mit im Spiel: ein überdrehter, an seinem Smartphone klebender Social-Media-Experte (Peer-Robin Hagel); eine Markertingleiterin (Sophie Göbel), die messerscharf und lustvoll jedes Wort auf den Prüfstand stellt, um am Ende in genau dieselbe Macht-Falle zu tappen wie der Geschäftsführer in spe. Am Rande: der Pfarrer (Andreas Windhus), der bei all dem Durcheinander seines Amtes nicht mehr walten kann. Die neunmalkluge Praktikantin Kim hingegen, im Nebenberuf Influencerin mit vielen Followern (Tima Herz), darf ihren Senf zu allem dazugeben und steht letzten Endes für eine gar nicht mal so schlechte Lösung des Problems. Ähnlich übrigens wie die (streckenweise überzeichnete) langjährige, etwas erinnerungssüchtige und dennoch für Neues offene Sekretärin (Nicola Tiggeler), die zum guten Schluss die ganze Sache auf den Punkt bringt. Was zeigt: Das alles darf Satire und wenn die Themen auch noch so heikel sind!
Von Ilse Cordes