Günther Rüther aus Cuxhaven hat sich als Politikwissenschaftler ausgiebig mit der deutschen Nachkriegsgeschichte beschäftigt und zahlreiche Publikationen verfasst - sein jüngstes Buch, das, wie er sagt - "Geschichte durch Geschichten erzählt", ist in diesem Jahr in der Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung erschienen. Foto: Frank Neuenhausen
Günther Rüther aus Cuxhaven hat sich als Politikwissenschaftler ausgiebig mit der deutschen Nachkriegsgeschichte beschäftigt und zahlreiche Publikationen verfasst - sein jüngstes Buch, das, wie er sagt - "Geschichte durch Geschichten erzählt", ist in diesem Jahr in der Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung erschienen. Foto: Frank Neuenhausen
Ein bewegtes Berufsleben 

Nach Abitur in Otterndorf: Gebürtiger Cuxhavener renommierter Politikwissenschaftler

von Maren Reese-Winne | 28.08.2025

Günther Rüther, ein gebürtiger Cuxhavener, hat sich als Politikwissenschaftler einen Namen gemacht. Er hat ein bewegtes Berufsleben hinter sich - und jetzt ein neues Buch herausgebracht.

Für sein neuestes Buch hat sich der gebürtige Cuxhavener und Experte Günther Rüther mit dem Neustart in der Nachkriegszeit beschäftigt. Seine Überzeugung: "Als Befreiung haben die Menschen das Kriegsende bestimmt nicht empfunden."

Am 8. Mai 1945 - vor 80 Jahren - endete der Zweite Weltkrieg. In Cuxhaven hatten vorerst die Briten das Sagen. Ob sich die Einheimischen, von denen viele um die blanke Existenz kämpften, durch das Kriegsende befreit fühlten? Wohl kaum, sagt Günther Rüther: "Die allermeisten haben es nicht als Befreiung empfunden, sondern als Niederlage." Für sein jüngstes Buch hat sich der gebürtige Cuxhavener ausführlich mit dieser Frage befasst.

Erschienen in der Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung

Im Januar ist das 356-Seiten-Werk mit dem Titel "Laßt uns das Leben leise wieder lernen" (ein Satz der späteren Literaturnobelpreisträgerin Nelly Sachs) in der Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung erschienen, auf deren Homepage (www.bpb.de) es für nur fünf Euro bestellt oder kostenlos heruntergeladen werden kann. Günther Rüther beschreibt darin Erfahrungen, Befindlichkeiten und Hoffnungen zumeist bekannter Persönlichkeiten in den letzten Kriegsmonaten und der unmittelbaren Nachkriegszeit.

Das Cover von "Laßt uns das Leben leise wieder lernen" aus der Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung. Foto: Bundeszentrale für politische Bildung

Der heute in Euskirchen lebende Günther Rüther ist ein renommierter deutscher Politikwissenschaftler. Er leitete unter anderem die Abteilung Begabtenförderung und Kultur der Konrad-Adenauer-Stiftung, lehrte an der Universität Bonn, engagierte sich in der deutschen UNESCO-Kommission und im Verein "Gegen Vergessen - für Demokratie" und ist Autor zahlreicher Sachbücher, Biografien (u.a. Günter Grass, Theodor Fontane, Heinrich Mann) und didaktischer Schriften. 

Altenbruch, Groden, Gymnasium Otterndorf

Seine ersten Lebensjahre erlebte Günther Rüther (Jahrgang 1948) im östlichsten Zipfel Cuxhavens auf einem Altenbrucher Bauernhof. Später zog die Familie in die Segelckestraße und danach in ein Jugendstilhaus in der Papenstraße in Groden. Nach dem Besuch der Abendrothschule wechselte Rüther aufs Gymnasium Otterndorf - wohl, weil seine Mutter als Schuhverkäuferin in Altenbruch arbeitete und dorthin enge Kontakte bestanden. 

Nach dem Abitur (1968) und dem Wehrdienst nahm er sein Studium der Politischen Wissenschaft, Germanistik, Philosophie und Erziehungswissenschaft in Göttingen auf, das er 1974 in Freiburg mit dem Magister und dem 1. Staatsexamen für das höhere Lehramt abschloss. Der Einstieg als wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung war der Beginn einer beruflichen Karriere, die ihm spektakuläre Einblicke und Begegnungen ermöglichen sollte.

Als ausgewiesener Kenner der DDR war er ein gefragter Ratgeber 

Zahlreiche Aufenthalte in der DDR brachten ihn eng mit der kulturellen, vor allem literarischen Szene zusammen. In der Phase der Wiedervereinigung war sein politischer Rat auf beiden Seiten gefragt. 1993 fungierte er als wissenschaftlicher Berater für die ARD-Dokumentationsreihe "Das war die DDR". Sein Ruf als Wiedervereinigungs-Experte bescherte ihm Mitte der 90er-Jahre sogar einen Auftritt im südkoreanischen Fernsehen.

Stellvertretender sowjetischer Verteidigungsminister war vorsichtig

Er traf herausragende Akteure aus Politik und Gesellschaft, unter anderem die britische Premierministerin Maggie Thatcher, Staatsmänner, Regierende und Wissenschaftler, wenn sie die Konrad-Adenauer-Stiftung besuchten. Zu den Begegnungen besonderer Art zählte der Besuch des stellvertretenden sowjetischen Verteidigungsministers zu Beginn der 90er-Jahre, der den Besprechungsraum zuvor von seinen Sicherheitskräften untersuchen ließ. Auf Einladung der chinesischen Regierung konnte Günther Rüther für drei Wochen das Land bereisen. Kein Wunder, dass er sagt: "Ich habe der Stiftung viel zu danken."

Elite ist kein einfacher Begriff

Weitere Schwerpunkte kamen ab dem Jahr 2000 als Leiter der Abteilung für Begabtenförderung und Kultur hinzu. Er rief den Literaturpreis der Stiftung mit ins Leben und beschäftigte sich mit dem Thema Eliteförderung, einem Begriff, der durchaus eine differenzierte Betrachtung rechtfertigte, schließlich sei er in der NS-Zeit auf krude Weise missbraucht worden: "Eliten gibt es immer, man muss ihnen kritisch-wachsam begegnen", sagt er. Unbestritten sei der Startvorteil für Kinder aus höheren Schichten. Ausnahmen davon gebe es leider in der Begabtenförderung bis heute zu selten. "Das ist überall auf der Welt so", bedauert er, "in England und Frankreich noch viel extremer."

Sein eigener Anspruch war, seine wissenschaftlichen Veröffentlichungen verständlich lesbar und so für viele zugänglich zu machen. Als Mitglied des wissenschaftlichen Beirats beriet er die Bundeszentrale für politische Bildung bei ihren Leitlinien und Publikationen und trat selbst immer wieder als Autor in Erscheinung.

Überzeugt aktiv bei "Gegen Vergessen - für Demokratie"

Sein Engagement im überparteilichen Verein "Gegen Vergessen - für Demokratie" brachte ihn mit extrem unterschiedlichen Persönlichkeiten zusammen. Rüther schätzte den Austausch mit SPD-Urgesteinen wie Hans Koschnik und Hans-Jochen Vogel oder dem parteilosen Ex-Bundespräsidenten Joachim Gauck (der übrigens am 7. November auf Einladung der regionalen Arbeitsgruppe Cuxhaven des Vereins "Gegen Vergessen - für Demokratie" in Cuxhaven sein wird; die Veranstaltung ist ausgebucht).

Dabei habe er mit seinem politischen Engagement als junger Student völlig gegen die Zeit getickt, zum Beispiel 1972 als Wahlkämpfer für den CDU-Kanzlerkandidaten Rainer Barzel, der sich jedoch nicht gegen Willy Brandt behaupten konnte. Die kolossale Fehleinschätzung der erfolgreichen Ostpolitik Willy Brandts gehöre zu seinen größten politischen Irrtümern, gibt Günther Rüther heute offen zu.

Der Krieg war zu Ende - in Cuxhaven hatten nun die Briten das Sagen, während die Deutschen froh waren, wenn sie dort einen Job bekamen. Hier die deutsche Küchenmannschaft 1946 in der Bretterkaserne in Grimmershörn. Foto: CNV-Archiv

NS-Zeit und Krieg wurden lange ausgeblendet

Zurück in die Jahre 1945/46: Die Deutschen hätten es zum großen Teil geschafft, sich aus den Verstrickungen herauszuwinden und schwere Herausforderungen zu bewältigen, sagt der Wissenschaftler anerkennend. Dennoch sei der Nazi-Geist keineswegs von einem Tag auf den anderen verschwunden. Um das Thema Krieg und NS-Zeit sei ein großer Bogen gemacht worden: "Es wäre undenkbar gewesen, einfach einen Schalter umzulegen." Erst Bundespräsident Richard von Weizsäcker prägte 1985 das Bewusstsein, dass der 8. Mai 1945 eine Befreiung gewesen ist; fünf Jahre später kam es zur Wiedervereinigung.

Ein gutes Maß an Dankbarkeit wäre angebracht

Was Günther Rüther in der heutigen Zeit bekümmert, ist die Unzufriedenheit, ja Undankbarkeit vieler Deutscher, gerade im Osten, angesichts dessen, was dort in 35 Jahren aufgebaut worden ist: "Dabei könnte man darauf mit Stolz blicken, im Osten wie im Westen."

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Maren Reese-Winne

Redakteurin
Cuxhavener Nachrichten/Niederelbe-Zeitung

mreese-winne@no-spamcuxonline.de

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