Akteure in Cuxhaven empört: Führt Engagement für Demokratie nun zu Generalverdacht?
"Dieser Generalverdacht hilft höchstens der fortschreitenden Spaltung der Gesellschaft", sagen Cuxhavener Akteure zur beabsichtigten neuerlichen verfassungsrechtlichen Überprüfung von Nichtregierungsorganisationen im Programm "Demokratie leben!".
Am 7. November wird Alt-Bundespräsident Joachim Gauck im voll besetzten Cuxhavener Stadttheater über die Bedrohung der wehrhaften Demokratie in Deutschland sprechen. Gauck ist gleichzeitig Ehrenvorsitzender des Vereins "Gegen Vergessen - für Demokratie". Macht ihn das zum potenziellen Verfassungsfeind? Was kurioser nicht klingen könnte, hängt mit einer Ankündigung zusammen, die auch viele Akteure in Cuxhaven trifft und empört.
Die Regionalgruppe Cuxhaven des Vereins "Gegen Vergessen - für Demokratie" gehört zu den Institutionen, die sich hier neben vielen anderen intensiv regelmäßig mit Lesungen, Ausstellungen, Vorträgen und Schulveranstaltungen für Erinnerungsarbeit und Demokratieförderung engagieren. Meist ausschließlich ehrenamtlich und unter anderem unterstützt durch Mittel aus dem Bundesprogramm "Demokratie leben!". Ausstellungen wie "Ernas Welt" (über die von den Nazis verfolgte Cuxhavenerin Erna Asch-Rosenthal), Schülerprojekte zu den "Stolpersteinen", Demokratiekonferenzen und zahlreiche Veranstaltungen zur jährlichen interkulturellen Woche sind nur einige Beispiele.
Seit 2023 ist das Programm auch im Landkreis Cuxhaven etabliert. Wie in allen teilnehmenden 300 Kommunen in Deutschland ist hier eine lokale "Partnerschaft für Demokratie" gegründet worden. Das Licht, in das jedoch die Akteure neuerdings gerückt werden sollen, ruft in Rüdiger Pawlowski, Sprecher der Regionalgruppe Cuxhaven von "Gegen Vergessen - für Demokratie", Empörung hervor: "Das ist ein zentraler Angriff auf die Zivilgesellschaft mit gezielter Diffamierung."
Mitreiten auf der Welle der AfD
CDU-Familienministerin Karin Prien, die kürzlich angekündigt hat, die Nichtregierungsorganisationen im Programm "Demokratie leben!" durch den Verfassungsschutz durchleuchten zu lassen, kommt bei den Kritikern nicht gut weg; stoße sie damit doch geradewegs ins Horn der AfD im Bundestag, die seit mehreren Jahren versuche, Demokratiearbeit zu diskreditieren und so Misstrauen zu säen.

Genau deren Wording (Formulierungen, die gezielt gestreut werden, um nach und nach in den allgemeinen Sprachgebrauch überzugehen) werde mit dem Generalverdacht übernommen. "Es ist hart, sich so etwas anzuhören und mit Staatsfeinden in einen Topf geworfen zu werden", sagt Jörg Flehnert von der externen Koordinierungs- und Fachstelle für das Programm in Stadt und Kreis Cuxhaven. Auch auf Behörden und deren Unterstützung zivilgesellschaftlichen Engagements solle so Einfluss genommen werden.
Die Ankündigung knüpft offensichtlich an die 551 Fragen umfassende Bundestagsanfrage "Politische Neutralität staatlich geförderter Organisationen" an, die die Unionsfraktion im Februar 2025 gestellt hatte und in der sie die Gemeinnützigkeit von 14 NGOs, darunter die "Omas gegen Rechts" oder "Correctiv", festgestellt wissen wollte. Eindeutige Antwort der Bundesregierung: "Der freiheitliche demokratische Verfassungsstaat lebt von zivilgesellschaftlichem Engagement für ein friedliches und respektvolles Zusammenleben und dem Einsatz gegen menschen- und demokratiefeindliche Phänomene." Zur Verteidigung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung gehöre selbstverständlich auch das Aufstehen gegen Hass und Hetze.

Den Verdacht der Verfassungsfeindlichkeit und unberechtigten Bereicherung neuerlich in den Raum zu stellen, ziele auf den Kern unseres Staatswesens und damit auch auf etablierte Institutionen wie Tierheim, DRK, Caritas, die Landfrauen oder die Stadtteilvereine ab, so Jörg Flehnert: "Doch ohne sie, die sich für das Gemeinwesen einsetzen, würde alles zerfallen." Was die hier angefeuerte Spaltung der Gesellschaft bedeute, sei gerade auf alarmierende Weise in den USA zu betrachten, wo Schwächere gezielt ausgegrenzt würden und das Engagement für andere als eigene Schwäche dargestellt werde.
Obwohl die Zunahme rechtsextremer Straftaten in Deutschland belegt sei, halte die Familienministerin gerade bei "Demokratie leben" an der flächendeckenden Überprüfung der NGOs durch den Inlandsgeheimdienst fest. "Natürlich kann immer nach Optimierungsmöglichkeiten geschaut werden - das tun wir immer, auch auf lokaler Ebene, aber doch nicht getrieben durch die AfD", so Flehnert. Strittige Programmpunkte, die es in einem so großen Programm wie "Demokratie leben" auch mal geben könne und die zu Recht ausgeschlossen gehörten, nähmen im Gesamtvolumen einen sehr geringen Raum ein.
"Es lässt einen ermüden - und das ist Taktik"
Rüdiger Pawlowski: "Das kann kein Anlass sein, um alle Akteure in eine linksradikale, womöglich sogar terroristische Ecke stellen zu wollen. Es lässt einen ermüden - und das ist Taktik. Wieso müssen sich hier Institutionen rechtfertigen für ein Engagement, das für jeden einzelnen selbstverständlich sein sollte, nämlich für den Erhalt unserer Demokratie?" Gerade der manchmal geäußerte Vorwurf, dass das Förderprogramm antisemitische Projekte fördere, mute für Cuxhaven, wo jüdisches Leben, Verfolgung und Holocaust immer wieder thematisiert würden, geradezu absurd an.

Die hohe Resonanz auf die Veranstaltungen zeige den Bedarf an Diskussion und Orientierung. Die Terminkalender sind voll. Für den 30. Oktober, lädt der Landkreis Cuxhaven um 19 Uhr in die Stadtscheune Otterndorf zur Lesung aus "Alle_Zeit" mit Teresa Bücker, Trägerin des NDR-Sachbuchpreises 2023, ein (Eintritt frei). Neben dem Besuch Joachim Gaucks treten außerdem wie jedes Jahr rund um den Reformationstag die ebenfalls aus "Demokratie leben!" hervorgegangenen und im Kommunalen Präventionsrat erarbeiteten "Cuxhavener Thesen für ein gutes Miteinander" in den Vordergrund, diesmal am 8. November mit einer Veranstaltung auf dem Wochenmarkt.