
Clean-Up in Cuxhaven gegen Müll, Fischbestände und globale Kipppunkte
Ab der Kugelbake sammeln Freiwillige Müll, um die Nordsee zu schützen. Neue Studien zeigen: Auch die Fischbestände in der Elbe sinken dramatisch, und globale Kipppunkte wie das Korallensterben mahnen, dass sofortiges Handeln nötig ist.
Handschuhe an, Müllgreifer bereit - ab dem Wahrzeichen Kugelbake ziehen Freiwillige los. Sie sammeln Plastik, Netze und Verpackungen und entsorgen das gesammelte "Strandschlecht" fachgerecht. Die "Clean up Aktion" des blauen Klassenzimmers dauert rund 90 Minuten, führt Richtung Strandhaus Döse und soll nicht nur den Strand säubern, sondern auch Bewusstsein für die Nordsee schaffen. Frauke Kruggel, Diplom-Pädagogin, erklärt den anwesenden Freiwilligen, darunter auch Kinder, worauf beim Müllsammeln zu achten ist.
Gerade Plastik, das sich zu Müllstrudeln in den Weltmeeren türmt, bedroht die Tier- und Pflanzenwelt. Plastik zerreibt sich nicht, sondern zerfällt in Mikropartikel, die Nahrungsketten belasten. Schon nach wenigen Minuten wird ein Kanister gefunden, darauf ein großes Warnzeichen für giftig.

An jedem Morgen wird der Strand mit Baggern gereinigt - und trotzdem wird die Gruppe der Clean-Up Aktion eine zweite Tonne für den Müll ordern müssen. Scheuerfäden von Netzen, die sich in den Schnäbeln von Vögeln verfangen, Schuhe, Plastikplanen und Einwegflaschen, die schätzungsweise 450 Jahre brauchen, bis sie sich im Meer zersetzen. Früher hätte man einzelne Deckel gefunden. Jetzt gehen diese gleich mit den Flaschen unter und landen auf dem Meeresboden, erzählt Kruggel.
Elbe-Fischrückgang alarmiert Forschende
Doch der Müll ist nur ein Teil des Problems. Nach Angaben eines Kooperationsprojekts der Uni Hamburg und des Leibniz-Instituts zur Analyse des Biodiversitätswandels hat sich die Fischfauna in der Elbmündung in den vergangenen vier Jahrzehnten dramatisch verändert. Die Forschenden werteten Befischungsdaten von fünf Stationen entlang der Elbmündung aus. Die Proben wurden unter anderem mit dem Hamenkutter "Ostetal" erhoben.

Die Studie zeigt: Zwischen den 1980er-Jahren und 2010 erholten sich die Fischbestände dank verbesserter Wasserqualität. Doch seither sinken die Bestände drastisch. Der Gesamtbestand aller Arten ging um über 90 Prozent zurück, besonders betroffen sind Stint, Finte, Flunder und Kaulbarsch.
Dabei wurden alle Lebensstadien in Mitleidenschaft gezogen. Verschlickung wichtiger Aufwuchsgebiete reduziere dabei das Aufkommen von Larven und Jungfischen. Beim Kaulbarsch zeige sich ein beeinträchtigtes Wachstum auch bei subadulten und adulten Tieren. Nach Angaben des Kooperationsprojekts nimmt gleichzeitig der Anteil einiger Meeresfische wie Hering und Wittling zu, was auf eine strukturelle Verschiebung hin zu meerorientierten Arten hindeutet.
Menschliche Eingriffe als Ursache
Die Forschenden verknüpfen die Veränderungen eng mit menschlichen Eingriffen. Regelmäßige Baggerarbeiten und Fahrrinnenvertiefungen würden dafür sorgen, dass Sedimente aufgewirbelt werden, die die flachen Kinderstuben der Fische verschlammen. Hohe Trübung erschwert den Nahrungserwerb. Gleichzeitig verschärfen geringere Niederschläge und reduzierte Abflüsse das Problem. Weniger Sedimente werden aus dem Mündungsgebiet gespült, Salzgehalt steigt, das ökologische Gleichgewicht gerät aus der Balance.
Dr. Elena Hauten, Co-Autorin der Studie, erklärt, dass insbesondere der Stint ein unerlässlicher Futterfisch für Küstenvögel und andere Räuber sei. Sein Verschwinden hätte dramatische Folgen für das gesamte Ökosystem.
Die Studie zeigt aber auch, dass Fischbestände sich relativ schnell erholen können, wenn die Umweltbedingungen verbessert werden. "Noch ist es nicht zu spät, um gezielte Schutzmaßnahmen zu entwickeln", betont Hauten.

Globale Dimension: Kipppunkte im Klimasystem
Die Lage an der Elbe ist Teil eines größeren Problems. Laut dem Global Tipping Points Report 2025, veröffentlicht von der Universität Exeter mit Mitwirkung des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK), hat die Erde bereits erste kritische Kipppunkte überschritten.
Besonders betroffen sind Warmwasser-Korallenriffe, die als Kinderstuben vieler Meerestiere und als Nahrungsgrundlage für Menschen dienen. Die globale Erwärmung von derzeit 1,3 bis 1,4 Grad - in manchen Jahren bereits über 1,5 Grad - hat die Korallenriffe an ihre Grenzen gebracht. Große Teile der Riffe drohen großflächig abzusterben.
Neben den Korallen könnten auch andere Systeme abrupt kippen: Gletscher, polare Eisschilde, Meeresströmungen und Regenwälder sind potenziell betroffen. Nach Angaben des PIK erhöht jedes Zehntelgrad Erwärmung das Risiko, irreversible Veränderungen auszulösen.
Vom lokalen Handeln zur globalen Verantwortung
"Jedes Stück Müll, jeder Handschuh zählt", sagt Dr. Jesse Theilen, Hauptautor der Elbe-Studie. Wer die Strände sauber hält, unterstützt die Fischfauna und leistet gleichzeitig einen Beitrag gegen die Folgen des Klimawandels.
Die Forschenden empfehlen mehrere Ansatzpunkte: Flachwasserzonen in der Elbmündung wiederherstellen und schützen, Baggerarbeiten und Fahrrinnenvertiefungen sensibler gestalten, Wasserführung und Abflüsse regulieren, um Sedimenttransport zu sichern, Globale Erwärmung begrenzen, erneuerbare Energien fördern und Schutzprojekte für Korallenriffe unterstützen.
Nach Angaben des Kooperationsprojekts der Uni Hamburg und des Leibniz-Instituts könnten so Fischbestände innerhalb weniger Jahre stabilisiert werden. Gleichzeitig mahnen die Autoren des Kipppunkt-Reports: Ohne konsequentes Handeln steigen die Risiken für Mensch, Tier und Ökosysteme weltweit.
Die Studie zeigt, dass gezielte Maßnahmen wirken können. Laut dem Global Tipping Points Report 2025 gilt das auch für die globalen Ökosysteme: Nur entschlossenes Handeln kann weitere Kipppunkte verhindern.
Am Ende der Clean-Up Aktion breiten die Freiwilligen ihr Strandschlecht auf Planen aus, bevor der Müll getrennt und später entsorgt wird. Jeder erhält schließlich von Frauke Kruggel einen Bernstein als Dankeschön. "Wenn man verzweifelt bei all den Nachrichten zur Klimaerwärmung, kann man sich diesen Bernstein ansehen und daran erinnern, dass es Hoffnung gibt."