Cuxhaven: Neuntklässler der Geschwister-Scholl-Schule setzen sich für den Frieden ein
"Hat die Menschheit, haben die Mächtigen etwas gelernt?" Diese Frage beantwortete sich bei der jüngsten Gedenkveranstaltung in der Altenwalder Schulaula angesichts der Weltlage quasi von selbst. Trotzdem wollen die Jugendlichen nicht resignieren.
Ihr Gedenken an ausgewählte Opfer des NS-Regimes bezog die Gedanken an alle Menschen ein, die unter Kriegen leiden und litten - ein Plädoyer für Frieden und Toleranz. Seit 2004 besteht das Projekt "Narben bleiben", ins Leben gerufen von Manfred Mittelstedt, dem 1. Vorsitzenden des Vereins für Gedenkkultur; seit 2005 als Gemeinschaftsprojekt mit der Geschwister-Scholl-Schule.
"Es geht unter die Haut, wenn wir die Menschen kennen"
"Von Euch, für Euch", sagte Mittelstedt zu den Jugendlichen, die sich zuvor mit den Schicksalen verfolgter, bedrohter und getöteter Menschen auseinandergesetzt hatten, die als Beispiele für millionenfaches Sterben standen. "Es geht unter die Haut, wenn wir die Menschen kennen. Was, wenn es Eure Familie oder Freunde wären?" fragte Schulleiter Arne Ohland-Schumacher.
Begleitet wurde das Projekt einmal mehr durch die Geschichtslehrkräfte der Schule. Zu den Gästen zählten die ehemalige Schulleiterin Angela Armbrust sowie Lars Mittelstädt von der Außenstelle Cuxhaven des Landesamts für Schule und Bildung.
Direkt ins Visier der Nazi-Machthaber geraten
Manfred Mittelstedt übernahm es, die erste Person vorzustellen: Etgar Josef André (1894-1936), gelernter Schlosser, der noch 1914 an der Front gestanden hatte und danach Hafenarbeiter in Hamburg wurde, geriet als Mitglied der KPD ins Visier der Nazi-Machthaber. Er wurde im Jahr 1928 Mitglied der Hamburgischen Bürgerschaft und 1931 Cuxhavener Stadtverordneter. Im selben Jahr stürmten KPD-Mitglieder eine NSDAP-Versammlung in Geesthacht, zwei SA-Männer starben.
Nach der Machtergreifung im Jahr 1933 war deshalb der Feind bereits ausgemacht; Etgar André wurde am 3. März 1933 in Wilhelmsburg festgenommen; seine Hinweise auf die Immunität als Bürgerschaftsabgeordneter fruchteten nicht. Drei Jahre war er ohne Anklage in Haft, wurde dort auch gefoltert. Wegen Hochverrats und dem Vorwurf der Teilnahme am Angriff in Geesthacht wurde er am 10. Juli 1936 zum Tode verurteilt und mit dem Hackebeil geköpft. An ihn erinnert heute vor dem Hamburger Rathaus ein Stolperstein.
Herkunft und Engagement waren schon Grund dafür, verfolgt zu werden
In bewegenden Vorträgen schilderten danach Neuntklässler das Schicksal weiterer NS-Verfolgter: "Rassenschande", Herkunft, religiöse Gesinnung, soziales Engagement und Widerstand wurden ihnen zum Verhängnis: Max Eichholz, Wilhelm Trammer, Erna Rosenthal (später mit der Ausstellung "Annas Welt" in Cuxhaven geehrt), Willy Cohn, Juan Luria, Leo Katzenberger, Erna Wazinski, Marie Juchaz (Gründerin der Arbeiterwohlfahrt in Deutschland), Alexander Schmorell (Mitglied der Weißen Rose).
Veteranen durften sich nicht geschützt fühlen
Schon ein vermutetes Liebesverhältnis rechtfertigte Verschleppung, Qual und Todesurteil: "Jeder Jude ist lediglich als Gast in Deutschland; wer es wagt, sich an einer deutschen Frau zu vergreifen und die Ehre des deutschen Volkes anzugreifen, muss mit Konsequenzen rechnen", hieß es 1933 in einer Urteilsverkündung. Viele spätere Opfer fühlten sich als Veteranen des Ersten Weltkriegs und oftmals mit dem Eisernen Kreuz ausgezeichnete ehemalige Soldaten sicher - ein Trugschluss.
Frieden ist selbst in Europa nicht selbstverständlich
Schulleiter Arne Ohland-Schumacher schlug den Bogen in die Gegenwart, indem er die Notizen des 16-jährigen Syrers Omar über seine Flucht nach Altenwalde im Jahr 2015/16 vorlas. Ein Gedenken an die Deutsch-Israelin Shani Louk, ermordet am 7. Oktober 2023 beim Überfall auf ein Festival-Gelände - Auslöser des Kriegs in Israel und Gaza - beschloss das Gedenken. "Es sind auch Mitmenschen aus Eurer Zeit", so Arne Ohland-Schumacher, "die alle keinen Krieg wollen, nirgendwo auf der Welt." Doch selbst in Europa sei der Frieden nicht der Normalzustand. "Wir wollen nicht, dass so etwas passiert, wir wollen nicht, dass Menschen flüchten müssen. Doch wenn sie da sind, nehmen wir sie auf."
Vor einer gemeinsamen Schweigeminute teilten die Anwesenden ihre Hoffnung auf die Versöhnung der Völker. Tränen flossen bei dem Lied, das der ehemalige Musiklehrer Udo Brozio für das Gedenken ausgewählt hatte: Erst in den 70er-Jahren entstanden und von Hannes Wader ins Deutsche übersetzt ("Es ist an der Zeit..."), sinniert es an den Gräbern von Verdun über das Leben eines nicht mal 19-jährigen dort begrabenen Soldaten - sinnbildlich für die Folgen zweier schlimmer und eigentlich aller Kriege.