Frisch erbaut und bezogen: Das Pressehaus des "Volksblatts Alte Liebe" im Jahr 1932 mit der durch Bäume gesäumten Rohdestraße. Die Gardinen deuten darauf hin, dass die Wohnungen mit Blick auf den Kaemmererplatz zum größten Teil privat bewohnt waren. Foto: CNV-Archiv
Frisch erbaut und bezogen: Das Pressehaus des "Volksblatts Alte Liebe" im Jahr 1932 mit der durch Bäume gesäumten Rohdestraße. Die Gardinen deuten darauf hin, dass die Wohnungen mit Blick auf den Kaemmererplatz zum größten Teil privat bewohnt waren. Foto: CNV-Archiv
Erinnerung und Verantwortung

Der Cuxhavener Wilhelm Heidsiek ist für die Werte der Demokratie gestorben

von Maren Reese-Winne | 29.10.2025

Auch, wenn das Medienhaus umzieht: Der Stolperstein, der seit dem 25. April 2016 vor dem Pressehaus an den von den Nazis ermordeten Redakteur und Sozialdemokraten Wilhelm Heidsiek erinnert, bleibt als Mahnung und Erinnerung vor dem Pressehaus.  

Wilhelm Heidsiek, Jahrgang 1888, schloss sich als gelernter Buchdrucker in Hamburg den Jungsozialisten und der SPD an. Nach der Rückkehr von der Westfront erlebte er bei der Revolution 1918 im Arbeiter- und Soldatenrat in Kiel mit. Zurück in Hamburg schlugen ihm einige Genossen vor, in Cuxhaven eine sozialdemokratische Zeitung zu gründen. 1919 erschien das "Volksblatt Alte Liebe" zum ersten Mal. 

Der Cuxhavener Sozialdemokrat Karl Olfers, seit Frühjahr 1919 Mitglied der hamburgischen Bürgerschaft, überredete Heidsiek, als Redakteur, Setzer, Drucker und Vorstandsmitglied der Cuxhavener Volksblatt GmbH voranzugehen. In einer Zeit voller wirtschaftlicher Unsicherheit und politisch-gesellschaftlicher Orientierungslosigkeit verstand sich die "Alte Liebe" ("Cuxhavener Volksblatt für das hamburgische Amt Ritzebüttel und Umgegend") als "Weck- und Mahnruf". Nach Anfängen im Hafen produzierten Heidsiek und das engagierte Team der Volksblatt GmbH ab 1921  an der Ecke Poststraße/Wilhelm-Heidsiek-Straße (damals Hermannstraße; heute Cux-Sport).

Ausgiebig den Aufstieg der NSDAP analysiert

Von den Nazis im KZ Neuengamme ermordet: Wilhelm Heidsiek. Foto: Stadtarchiv Cuxhaven
Foto von der früheren Geschäftsstelle der "Alten Liebe".

Ausgiebig analysierte das Blatt trotz unverkennbarer Repressalien den Aufstieg Hitlers und seiner Anhänger: Unter der Überschrift "Vom Elend des Volkes gemästet / So sieht die Hitler-Partei aus. Lug und Trug" hieß es im Juli 1932: "Das Volk zahlt und blutet, aber die SA marschiert zum Bürgerkrieg! Das Volk hungert und wird geschlagen und erschossen von dieser losgelassenen, von den Nazibaronen wohlgelittenen und gern gesehenen Privatarmee des Herrn Hitler. Eine Hand wäscht die andere, Herr Hitler wäscht die der neuen Regierung und die neue Regierung die des Herrn Hitler." 

Mutiger Auftritt vor dem Pressehaus: "Die ,geistigen Waffen‘ der SA, die sie heute Nacht in der Rohdestraße und am Kaemmererplatz niederlegen mußten", steht auf dem Schild, das NS-Gegner vor dem Knüppelhaufen aufgestellt haben. Wilhelm Heidsiek steht ganz rechts. Foto: Familie Heidsiek

Bald schon sollte es sich zeigen, wie vorausschauend die Zeilen "Die deutsche Arbeiterklasse und mit ihr die deutsche Demokratie stehen in einem Kampf um Leben und Tod" waren. Heidsiek legte dar, wie die Nazi-Partei unter tatkräftiger Unterstützung der Magnaten auf dem Rücken der Verarmten, Kriegsgeschädigten und Arbeitslosen Reichtum und Einfluss aufgebaut hatte.

Schüler wollten es mit Drohgebärden regeln

Wie das ohne moderne Massenmedien allein mit Propaganda und den richtigen Multiplikatoren gelang, hat Historiker Henning K. Müller in seinem jüngst erschienenen 1424-Seiten-Werk "Die völkische Bewegung und der Aufstieg des Nationalsozialismus im Elbe-Weser-Raum" dargelegt. Bei seinen Recherchen stieß er im Staatsarchiv Hamburg durch Zufall auf ein erschreckendes Ereignis aus dem November 1931, als 20 Schüler aus dem Gymnasium für Jungen in Cuxhaven - allesamt Söhne der lokalen Honoratioren - die Räume der "Alten Liebe" stürmten und Wilhelm Heidsiek bedrohten, dessen kritische Berichterstattung über die nationalsozialistische Propaganda an ihrer Schule ihnen nicht passte.

Anfang März 1933 verboten die neuen Machthaber das Volksblatt Alte Liebe zunächst für fünf Tage, wenige Tage später dauerhaft.
Einführung des NS-Bürgermeisters Wilhelm Klostermann auf dem schon in "Adolf-Hitler-Platz" umbenannten Kaemmererplatz am 26. Mai 1933. Foto: Sammlung Bussler

1933 endeten Demokratie und Pressefreiheit. Die "Alte Liebe" wurde nach der Machtergreifung (30. Januar 1933) verboten. Der Kaemmererplatz, im Mai 1933 umbenannt in "Adolf-Hitler-Platz", war der bevorzugte Aufmarschplatz der Nazis, die mit dem "Cuxhavener Tageblatt" ins Pressehaus einzogen.

Da es sich dabei um das Parteiblatt der NSDAP handelte, war das Ende der freien Presse besiegelt. Auch die anfangs verbliebene bürgerliche "Cuxhavener Zeitung" musste 1941 den Betrieb einstellen und ihren Abonnentenbestand zwangsweise auf das "Tageblatt" übertragen. Die fortan einzige Tageszeitung bestimmte, was die Bevölkerung zu lesen bekam.

Familie lebte weiter im Pressehaus

Wilhelm Heidsiek wurde mehrfach verhaftet und durfte nicht mehr als Journalist arbeiten, wohnte aber weiter mit seiner Familie im Pressehaus. Als Handelsvertreter handelte er mit Waschmitteln und Seifen, war aber auch Steuerberater. Viele mieden jedoch aus Angst vor der Gestapo den Kontakt zu ihm.

Heidsiek mit Ehefrau Martha und den Kindern Astrid und Harald.

Bei den Nachbarskindern im Pressehaus, war Heidsiek beliebt, wie sie viele Jahre berichteten. "Er musste mit einem Köfferchen voller Kleinwaren hausieren gehen. Das hat er dann und wann auch in unserer Wohnung aufgemacht und wir haben ein paar Garnrollen gekauft." Als ihn ein Junge in seiner frisch erworbenen Pimpf-Uniform mit "Heil Hitler" grüßte, tätschelte Heidsiek ihm nur den Kopf und sagte "Ist gut, mein Jung'."

Ab 1939 arbeitete er bei Tabak-Müller. Da der Betrieb als kriegswichtig eingestuft war, wurde Heidsiek (im Ersten Weltkrieg mit dem Eisernen Kreuz Zweiter und Erster Klasse ausgezeichnet) als "uk" (unabkömmlich) vom Kriegsdienst freigestellt. Für seine dienstlichen Fahrten hatte er einen alten DKW zur Verfügung. Hochinteressant für die Nachbarsjungs, die nur Auto fahren wollten: "Wir haben dann immer auf ihn gelauert und gefragt: ,Herr Heidsiek, dürfen wir mit?'"

Wahres Schicksal erst Jahre später herausgefunden

Dass Heidsiek dann plötzlich weg war, bekamen sie mit, aber die Hintergründe blieben den Kindern verschleiert. Die Reisen hatten Heidsiek wahrscheinlich auch Gelegenheit gegeben, den Widerstand weiter zu organisieren. Bei der  Verhaftungswelle nach dem gescheiterten Attentat auf Adolf Hitler am 20. Juli 1944 wurde er im August inhaftiert. Aus dem Cuxhavener Gefängnis kam er im Oktober ins KZ Neuengamme, wo er am 7. November 1944 starb. Offizielle Todesursache: "Herzschlag". "Dass er in Wirklichkeit mit Ketten totgeschlagen worden ist, hat uns der damals dort selbst inhaftierte Pastor E. Rau berichtet, der unsere Familie später in Cuxhaven besucht hat", berichtete seine Enkelin Birgit Heidsiek bei der Stolpersteinverlegung im April 2016.

Ein Stolperstein erinnert an Wilhelm Heidsiek. Foto: Reese-Winne

In seinem letzten Brief an seine Frau Martha, geschrieben  am 5. Oktober 1944 im Cuxhavener Gefängnis, strahlte Heidsiek immer noch Wärme und Zuversicht aus. Kraft gab ihm der Austausch mit seinen Mitstreitern, unter ihnen der später ebenfalls ermordete Heinrich Grube. 

Auch der Freund und Genosse Karl Olfers war 1933 umgehend aus seinen politischen Ämtern und dem Beruf als Geschäftsführer der "Bauhütte" gedrängt worden, befand sich zum Zeitpunkt der Verhaftungswelle aber bei der Wehrmacht. Seine Tochter Ruth Eilers erinnert sich noch an das schreckliche Weinen ihrer Mutter, als die Nachricht über Wilhelm Heidsieks Tod eintraf. Nur vergessen werden sollen dieses Schicksal und die Verletzlichkeit der Pressefreiheit nie.

Stolperstein-Verlegung vor dem Pressehaus am 25. April 2016 mit Enkelinnen, Urenkel und dem Ehepaar Eilers. Foto: Reese-Winne

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Maren Reese-Winne

Redakteurin
Cuxhavener Nachrichten/Niederelbe-Zeitung

mreese-winne@no-spamcuxonline.de

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