Ukrainische Gäste und deutsche Helferinnen im Ukraine-Café des OHA (Offenes Herz Altenwalde), in dem sich die Themen verändert haben. Es geht nicht mehr um die bloße Existenz, sondern um die Bewältigung des täglichen Lebens. Foto: Reese-Winne
Ukrainische Gäste und deutsche Helferinnen im Ukraine-Café des OHA (Offenes Herz Altenwalde), in dem sich die Themen verändert haben. Es geht nicht mehr um die bloße Existenz, sondern um die Bewältigung des täglichen Lebens. Foto: Reese-Winne
Auf längere Zeit eingestellt

Ein Jahr nach Kriegsbeginn: So geht es ukrainischen Familien in Cuxhaven

von Maren Reese-Winne | 24.02.2023

Der 24. Februar 2022 hat ihr Leben für immer geändert: Um ihr Leben zu retten und den Kindern Perspektiven zu bieten, kamen schon wenige Tage nach Kriegsbeginn in der Ukraine die ersten Flüchtlinge nach Cuxhaven. Wie geht es ihnen heute?  

Orientierungslosigkeit war das erste Gefühl, als sie sich einrichteten mit den paar Sachen, die sie hatten mitnehmen können. Und mit der Frage, ob sie überhaupt Wurzeln schlagen wollten. Auch Tetiana ging das so: "Anfangs habe wir gedacht, wir seien nach sechs Monaten wieder zu Hause. Inzwischen sind die Hoffnungen auf eine baldige Rückkehr geschwunden: "Ich wohne hier und heute", sagt die studierte Marketing-Fachfrau.

Nach den ersten zwei Monaten in einer Gastfamilie hat die Familie - Vater, Mutter, drei Kinder, Oma und eine Katze - eine Wohnung gefunden. Die Kinder sind in der Schule angekommen, für den Großen steht im Sommer der Wechsel ans Gymnasium bevor. Nachmittags geht es zum Trampolin, Fußball oder Tanzen oder zu Freunden. Außerdem sind die Kinder nach wie online mit der Schule in  der Ukraine verbunden. 

Am Anfang einfach verloren gefühlt

Es hat sich der Alltag eingestellt - das geht auch den anderen Gästen des Ukraine-Cafés so. Nach wie vor lädt die Flüchtlingsinitiative Offenes Herz Altenwalde (OHA) jeden Dienstag von 14.30 bis 16.30 Uhr in das Pastorat der Ritzebütteler Kirchengemeinde (Vorwerk  5) ein. "Am Anfang waren alle hier einfach verloren, sie wussten nicht, wo sie anfangen sollten: Was müssen wir tun, was wird von uns erwartet?", erzählen die Gäste, die sich an diesem Dienstag eingefunden haben. Inzwischen sei das Leben geordneter und spiele sich wieder mehr in der Familie ab.

Dennoch sei das Ukraine-Café weiter eine enorme Hilfe, zum einen wegen der Schwerpunkte rund um das Leben in Deutschland - Versicherung, Schule, Jobsuche... -, aber auch wegen des Austauschs untereinander und mit den Haupt- und Ehrenamtlichen des OHA, die bei jedem komplizierten Schriftstück wissen, das damit zu tun ist. Wie selbstverständlich spielen die Kinder währenddessen mit den deutschen Betreuerinnen. "Hier haben wir uns das erste Mal wirklich aufgehoben gefühlt", erzählen die Erwachsenen, wollen aber auch die Caritas, den Paritätischen und das Haus der Jugend keinesfalls unerwähnt lassen.

Die pragmatischste Form der Vernetzung ist eine Whatsapp-Gruppe des OHA mit inzwischen 412 Mitgliedern. Schneller als mit einer Suchmaschine können hier Fragen geklärt und Informationen weitergegeben werden.

Zeigen, wie das Leben in der Ukraine war

Als einen der besten Momente ist vielen die Dankesparty im September im Haus der Jugend im Kopf geblieben, zu dem sie die deutschen Gäste mit schier umwerfender Gastfreundschaft empfingen. "Absolut interessante Menschen" aus der ganzen Ukraine wohnten gerade in Cuxhaven, unterstreicht Dolmetscherin Swetlana Neuendorf. Sie brächten natürlich auch unterschiedliche regionale Kulturen mit. Ereignisse wie das Danke-Fest, der ukrainische Weihnachtsmarkt und Auftritte böten ihnen die Gelegenheit, zu zeigen, wie die Ukraine gelebt hat; jede Stadt mit ihrer Tradition und ihren Festen. Traditionen, die in der sowjetischen Zeit oft verboten gewesen seien. "Deshalb haben sie auch so einen Hunger darauf, ihre eigene Identität zu zeigen."

Natürlich bleiben Sorgen, jeden Tag. Allein schon um Familienmitglieder und Freunde, die teilweise in den russisch besetzten Gebieten unerreichbar sind, vor allem, seit dort russische Telefonnummern eingeführt worden sind. Das Internet funktioniert dann, wenn gerade kein Stromausfall ist. Hier in Cuxhaven beherrscht vor allem die Frage nach Beruf und Sprache den Alltag. Tetiana hat alle ihre Dokumente mitgebracht und anerkennen lassen. Schwieriger sei das Anerkennungsverfahren bei ihrem Mann, einem Augenarzt mit syrischer Staatsangehörigkeit.

Engpass bei zertifizierten Sprachkursen

Die Kapazität der drei zertifizierten Sprachinstitute reiche bei weitem nicht aus. "Natürlich haben wir Verständnis dafür, dass es nicht genug Lehrkräfte gibt und nicht alle zusammen beschult werden können." Manche haben auch noch gar keinen Zugang zu einem Kurs mit (für den Beruf wichtigen) zertifiziertem Abschluss gefunden. Umso dankbarer werden die von Ehrenamtlichen des OHA wie Heike Hebecker oder Elke Oellerich angebotenen Sprachangebote in Sahlenburg, im Haus der Jugend  der Jugend, dem Begegnungszentrum Süderwisch oder der Mozartstraße (auch mit Kinderbetreuung) besucht.

Nicht gut organisiert ist nach wie vor die Begleitung und Übersetzung auf Ämtern oder beim Arzt: "Bitte mit Dolmetscher zum Termin kommen", heißt es da, aber er das sein soll und wer die Kosten trägt, sei nicht geregelt: "Da müsste es endlich eine Lösung geben", sagt Mirjam Schneider, Koordinatorin des OHA. Daneben bewegen die Neuankömmlinge noch weitere Anliegen: Sie würden sich gerne mehr einbringen und wünschten sich weitere Treffpunkte, zum Beispiel für junge Erwachsene, Senioren oder für den gemeinsamen Sport. Nicht zuletzt bekommen auch sie die allgemeine Notlage bei Kita-Plätzen zu spüren.  

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Maren Reese-Winne

Redakteurin
Cuxhavener Nachrichten/Niederelbe-Zeitung

mreese-winne@no-spamcuxonline.de

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