Vor uns die Karawane vieler Wattwagen. Dunen und Sahlenburger sind aufeinandergetroffen. Foto: Rahn
Vor uns die Karawane vieler Wattwagen. Dunen und Sahlenburger sind aufeinandergetroffen. Foto: Rahn
Cuxhavener Wattwagenfahrten

Entstressendes Erlebnis: Eine einzigartig entschleunigende Fahrt durchs Nordseewatt

23.08.2025

Tauchen Sie ein in die beruhigende Welt der Cuxhavener Wattwagenfahrten, wo Tradition auf Natur trifft und eine Kutschfahrt durch das Wattenmeer mehr ist als nur ein Abenteuer. Doch wie beeinflusst die Politik dieses einzigartige Erlebnis?

Von Max Martin Rahn

Entspannung. Allein mit diesem Wort lässt sich die sechsstündige Mitfahrt im Wattwagen vom gebürtigen Cuxhavener Kai Stelling (59) zusammenfassen. Begleiten Sie mich auf der Reise vom Hof in Holte, über Sahlenburg nach Neuwerk. Zusätzlich zur weltweit (fast) einzigartigen Tour durchs Cuxhavener Watt durchfahren wir die blühende Heide am Wernerwald. 

Das ganze Erlebnispaket

Neben der besonderen Anfahrt bietet der Beginn auf dem Reiterhof die Möglichkeit, bei den Vorbereitungen der Pferde und Wagen dabei zu sein. Noch mit den Pferden beschäftigt, begrüßt Stelling mich freundlich. Auf der Platte steht die Luft und ich bin froh, eine kurze Hose und ein T-Shirt zu tragen, doch das wird sich alsbald ändern. Generell empfiehlt sich Flexibilität bei der Bekleidung in Küstennähe. Mit drei Wagen beginnt die Reise vom Hof in Holte.

Pferde und Wagen werden für die Tour vorbereitet. Zwei Pferde werden an einen Wagen gespannt, theoretisch würde eines reichen. Foto: Rahn
Heute geht es mit drei Wagen von Holte, über Sahlenburg zur Insel Neuwerk. Viele Gäste steigen erst an der Rettungsstation Sahlenburg hinzu. Foto: Rahn

Jahrzehntelange Erfahrung

Die meisten Gäste fahren ab der Rettungsstation Sahlenburg oder von Duhnen, beschreibt der inzwischen hauptberufliche Wattwagenfahrer Stelling. Schon seit 40 Jahren fährt er Touren nach Neuwerk. 2012 hat er seinem Bruder die Wagen abgekauft, der wiederum den Betrieb vom Vater übernommen hatte. Der ausgebildete Maurer entschied sich für den inzwischen langsam schwindenden Beruf, nachdem er 23 Jahre in einer Fischdosenfabrik in Cuxhaven gearbeitet hatte. Die Entscheidung bereut Stelling nicht grundsätzlich. Mit dem Standort ist er nicht völlig zufrieden: "Wir haben das Nachsehen im Vergleich zur Konkurrenz".

Der Vorteil der längeren Fahrt für gleiches oder sogar weniger Geld wandele sich dahingehend zum Nachteil - besonders außerhalb der Saison, in den kälteren Monaten, wo die Konkurrenz mehr Wagen einsetzen könne. Außerdem mahnt er nachdrücklich, dass die weltweit einzigartigen Touren von der Cuxhavener Politik nicht angemessen wertgeschätzt würden.

Zunächst passieren wir die Landstraße. Die meisten Autofahrer achten auf das Pferdegespann, aber leider nicht alle. Knappe Überholmanöver, bei denen auch mal ein Pferd getroffen wird, sind keine Seltenheit. Foto: Rahn
Bei Kurvenfahrten ist Geschick gefragt. Dieses Fahrzeug steht recht ungünstig vor dem Waldweg. Foto: Rahn

Zu Beginn durchs Naturschutzgebiet

Los geht das Kutschieren. Schnell sind wir in der wunderschön blühenden Heide im nord-östlichen Teil vom Wernerwald. Ein Anblick, der vielen Touristen verborgen bleiben dürfte. Ich fühle mich zunächst wie ins Mittelalter zurückversetzt. Das erste Mal in einer Kutsche durch fast unberührte Landschaft. Ruhig ziehen uns die beiden Pferde Luna und Max durchs sinnliche Waldgebiet. 17 und 16 Jahre haben die beiden auf dem Buckel. Einige Jahre werden sie die Strecke noch zurücklegen, bevor sie in Pferderente gehen dürfen. Pferde erreichen in etwa ein Alter von 33 Jahren. Ein Mensch hätte im Verhältnis dazu 100-jähriges Jubiläum. Erst seit drei Jahren ist diese Strecke freigegeben. Stelling würde sich über die Freigabe weiterer Routen durch Naturschutzgebiete süd-westlich von Holte freuen. Schließlich sei die Nutzung für Reiter oder Landwirtschaft auch gestattet.

Einer der ersten Eindrücke dieser Fahrt. Gäste die erst am Strand dazu steigen, bekommen die blühende Heide heute nicht zu Gesicht. Foto: Rahn
Die Heide in Bestform. Schöner geht es kaum. Foto: Rahn
In natura sieht diese Stelle bedeutend enger aus. Den erfahrenen Kutscher Stelling bringt das nicht aus der Ruhe. Foto: Rahn

Haupttreffpunkt am Strand

Bei der Rettungsstation Sahlenburg besteigen weitere Gäste den Wattwagen. Links neben mir zwei Schwestern und hinten im Wagen eine Familie mit Tochter. Die eigentliche Tour durchs Watt beginnt. Schnell macht sich der typische Küstenwind bemerkbar und ich zweifle an meiner Kleidungswahl. Ein Basecap und eine Stoffjacke habe ich vorausschauend eingepackt, allerdings lässt sich an der kurzen Hose nichts mehr ändern. Bei 20 °C ist es, trotz Wind und bedecktem Himmel, aber auszuhalten. Auf die Idee, mich mit der unter mir liegenden Decke zu schützen, komme ich zunächst nicht. Ständige Begleiter sind kreischende Möwen und andere Vögel. Neben dem Platschen der Pferdehufe im feuchten Watt herrscht eine fast schon einlullende Stille. 

Zwischenhalt an der Rettungsstation Sahlenburg. Hier steigen weitere Gäste hinzu, die nur das Watt queren wollen. Foto: Rahn
Der erste Blick über den Deich. Die Weite des Küstengebiets öffnet sich. Mittig im Hintergrund zeichnet sich die Insel Neuwerk bereits ab. Foto: Rahn
Fast könnte man sich vorkommen, wie auf einem anderen Planeten. Zeitweise wirkt das Watt endlos. Foto: Rahn

Menschen genießen verschieden

"Von gesprächigen bis schweigsamen Menschen ist alles dabei", erklärt Stelling ruhig. Vom Strand bis Neuwerk sind es etwa zehn Kilometer. Auf der Hinfahrt beantwortet der Cuxhavener vielfältige Fragen, die meisten stellt das Ehepaar vorn. Fleißig mache ich Notizen. Einigen Kutschern geht es nicht schnell genug, sie überholen. Gelegenheit, die anderen Wagen von außen zu begutachten. Als gebürtiger Berliner frage ich mich: Warum habe ich das nicht früher mal gemacht? Und warum genau hat das Auto das Pferd quasi völlig ersetzt? Die sich immer schneller drehende Welt müsste dringend entschleunigt werden und eine umweltschonendere Fortbewegung per Pferd wäre ein Mittel. Aber die Uhr lässt sich nur schwerlich zurückdrehen. Die Schwestern bestätigen die entschleunigende Wirkung, die Szenerie tut ihr Übriges.

Wir durchschreiten das Watt, Pfützen und tiefere Wasserlöcher bei abnehmenden Gezeiten. Neben drei entgegenkommenden Traktoren bemerke ich zunächst eine Reiterin und dann noch zwei junge Frauen auf Pferden. Was muss das eigentlich für ein tolles Hobby sein, bei Ebbe durchs Watt zu reiten, ähnlich einem amerikanischen Hollywoodfilm? 

Zwei junge Reiterinnen begeistern mich. Ganz persönlich: Auf die Idee durchs Watt zu reiten wäre ich noch nicht einmal gekommen. Allerdings bin ich auch gebürtiges Großstadtkind... Foto: Rahn
Der Hinweg ist fast geschafft - Neuwerk fast erreicht. Was hat die kleine Insel zu bieten? Foto: Rahn

Kurzaufenthalt auf Neuwerk

Die Aufenthaltszeiten auf Neuwerk variieren, je nach Wasser und Wetter. "Es können nur 20 Minuten sein oder man kommt gar nicht mehr weg, wenn es ganz schlecht läuft", informiert der 59-Jährige. Dann könne man erst am nächsten Morgen zurückfahren. Auf der Insel treffe ich zufällig auf die Reiterin aus dem Watt. Katja Bruns (58) aus Zeven reitet jedes Jahr ungefähr fünf Mal übers Watt nach Neuwerk. Sie sieht das als Kurzurlaub. "Normalerweise reite ich mit meiner Freundin", erklärt die Fotografin. Es habe auch einen gewissen Schwierigkeitsgrad, die insgesamt 24 Kilometer mit Pferd zu absolvieren. Es brauche Vertrauen zwischen Reiterin und Tier.

Einfahrt zum Zentrum der Insel. Hungrigen Gästen werden Speis und Trank geboten, alle anderen erkunden gern die Insel. Foto: Rahn
Die Pferde Luna und Max werden von Kai Stelling versorgt. Äpfel und Brotstücke dürfen die Pferde genießen. Foto: Rahn
Der gewaltige Neuwerker Leuchtturm aus der Froschperspektive. Der Ausblick beeindruckt ebenso. Foto: Rahn
Katja Bruns (58) auf ihrem Pferd auf dem Weg Richtung Insel Neuwerk. Foto: Rahn

Sabine Bartling (50) und Regina Hänel (44), die zwei Schwestern aus Bielefeld, die neben mir sitzen, resümieren: "Mega-Kutschfahrt. Richtig schön und wirklich mal entschleunigen." Schon zu Hause haben sie die Überfahrt gebucht. Dabei sei nicht Neuwerk, sondern die Kutschfahrt für sie das Wichtigste gewesen. 

Sabine Bartling (l.) und Regina Hänel, die zwei Schwestern aus Bielefeld resümieren: "Mega-Kutschfahrt. Richtig schön und wirklich mal entschleunigen." Schon zu Hause haben sie die Überfahrt gebucht. Dabei sei nicht Neuwerk, sondern die Kutschfahrt für sie das wichtigste gewesen. Foto: Rahn

Ruhe pur

Während der Rückfahrt treffen wir wieder auf die zwei jungen Reiterinnen. Zusammen mit einigen Wattwagen treten sie die Rückreise an. Die reitenden Watt-Überquerer begeistern, gern hätte ich mehr erfahren. Letztlich schaltet sich mein Smartphone nach genau 1889 Fotos oder Videos von selbst aus und ich genieße die letzten Kilometer zum Strand und durch den Wald. Inzwischen bedecke ich mich mit einer Pferdedecke - na klar. Nur eines geht mir abschließend durch den Kopf: was für eine Entspannung.

Antritt der Rückfahrt. Circa zweieinhalb Stunden liegen noch vor uns. Foto: Rahn
Der zweite Wagen vom Hof Stelling fährt zusammen mit uns zurück. Es gibt feste Vorgaben, an welcher Position (angehende) Kutscher fahren dürfen. Hintergrund ist der sogenannte Kutschenschein. Foto: Rahn
Das letzte Bild, bevor der Akku von meinem Handy völlig entleert war. Anlass genug, Smartphone und Notizblock beiseitezulegen und die Fahrt auch mal zu genießen. Die letzten zwei Stunden kann ich die schweigsameren Menschen verstehen. In sich kehren und diese Ruhe absorbieren, ist eine ernsthafte Alternative. Foto: Rahn

Finanzen und Nachwuchs

Trotz zunehmender Probleme ist Kutscher Stelling glücklich. Der Branchen-Nachwuchs und die wirtschaftlichen Nachwirkungen durch die Coronazeit wirken aber bis heute. Ehemalige Kutscher gehen in Rente und durch eine gesetzliche Neuregelung lässt sich Nachwuchs immer schwerer gewinnen. Von 1886 bis 2018 bildeten die Wattwagen-Führer Nachfolger selbst aus. Aber inzwischen ist eine Art Kutscherschein notwendig, der mehrere Wochen Zeit und tausende Euro an Finanzmitteln verschlingt. Hinzu kommt, dass die Kurse in der Lüneburger Heide nur zwei Mal im Jahr stattfänden, bilanziert Stelling. Und wenn man sich selbstständig machen möchte, sollte man anfallende Kosten für Tierarzt, Futter, Beschlag, Nutzungsrechte, Standgebühren, Kurtaxe und so weiter nicht außer Acht lassen. Allein der Kaufpreis eines Pferdes liege bei 6000 bis 7000 Euro.

Trotz Umweltschutz 19 Prozent Umsatzsteuer

"Corona hat uns schwer getroffen. Jetzt ist alles so teuer und wir müssen uns tagtäglich überlegen, wie es überhaupt weitergeht", seufzt Stelling schwermütig. Die Preise müsse er nächstes Jahr anziehen, um überlebensfähig zu bleiben. Aktuell zahlt ein Erwachsener 50 Euro für die sechs Stunden nach Neuwerk und zurück. Im Vergleich zur Konkurrenz sei das zu günstig, vergleicht Stelling. So nehme ein Kutscher für eine Einzelfahrt schon 35 Euro - nur von Neuwerk zum Strand, oder andersherum. Für den Cuxhavener kommt erschwerend hinzu, dass 19 % Umsatzsteuer anfallen - im Gegensatz zu 7 % bei anderen Fuhrunternehmen, die motorisiert unterwegs sind. "Unverständlich und belastend", konstatiert Stelling.

Watt-Tour weltweit besonders

Weltweit einzigartig sind die Wattwagenfahrten von Cuxhaven nach Neuwerk nicht ganz. Es gibt noch eine Alternative im Nordfriesischen Wattenmeer. Dort verkehren ganz ähnliche Gespanne von Nordstrand zur Hallig Südfall. Weltweit bleibt dieser Touristenmagnet aber einmalig. Das gibt es nirgendwo sonst.

Folgend weitere Eindrücke:

Stellenweise durchfahren wir tiefere Wasserstellen. Die Pferde ziehen das Gespann stetig voran. Foto: Rahn
In der Ferne können die Wattwagen aus Duhnen erspäht werden. An einer Gabelung werden wir auf diese Kolonne treffen. Foto: Rahn
Blick gen Cuxhaven. Foto: Rahn
Die Gabelung Richtung Duhnen und Sahlenburg. Foto: Rahn
Kai Stelling ist sehr erklärungswillig und beantwortet vielfältige Fragen. Foto: Rahn
"Action-Cam" der Pferde bei einem sehr kurzen Spurt. Die meiste Zeit geht es gemächlich zu. Foto: Rahn
Wattwagenparkplatz im Zentrum. Foto: Rahn
Eine Übernachtung auf Neuwerk kann eine Überlegung wert sein - passend zu der sowieso schon entspannenden Überfahrt. Foto: Rahn
Der Ausblick ist wunderbar und beeindruckend. Wenn Sie Höhenangst haben, lehnen sie sich aber besser nicht allzu weit nach vorn, über das sehr dicke Mauerwerk. Foto: Rahn
Wenig Beachtung findet die Spitze des Turms über uns. Schön wäre es, würde der oberste Punkt im Bauwerk zukünftig für Touristen zugänglich gemacht werden. Foto: Rahn
Blick übers Zentrum in die Weite. Die kurze Pause auf der Insel lässt nicht genug Zeit für ausgiebige Erkundungen. Foto: Rahn
Wird bei zukünftigen Erneuerungsarbeiten bestimmt auch ersetzt. Der schmale und lange Auf- bzw. Abweg an der Außenseite des Turms. Foto: Rahn
Die beiden Schwerstern wollten mich auch gerne mal ablichten, nachdem ich fast alles und jeden fotografiert habe. Liebe Grüße. Foto: Hänel
Erneut sehen wir die jungen Frauen auf ihren Pferden. Sie halten sich an die Wattwagenfahrer, denn die Wissen was sie machen und kennen die Gezeiten. Foto: Rahn

Wie hat Ihnen der Artikel gefallen?

(1 Stern: Nicht gut | 5 Sterne: Sehr gut)

Feedback senden

CNV-Nachrichten-Newsletter

Hier können Sie sich für unseren CNV-Newsletter mit den aktuellen und wichtigsten Nachrichten aus der Stadt und dem Landkreis Cuxhaven anmelden.

Die wichtigsten Meldungen aktuell


Lesen Sie auch...
Eigeninitiative ist gefordert

Kein Netz, Düsternis, Abwasserstau: Szenarien eines Blackouts in Cuxhaven

von Maren Reese-Winne

Plötzlich ist es kein exotisches Thema mehr: Vorsorge für den Katastrophenfall bewegt inzwischen viele, die sich nicht hätten träumen lassen, womöglich mal einige Tage ohne Strom dazusitzen. Details - auch anrüchige - nannte ein Vortrag in Cuxhaven.

4,5 Mio. für Montagewerk

Dänisches Unternehmen investiert Millionen in Cuxhaven: Neues Offshore-Werk am Hafen

von Jens Potschka

In Cuxhaven treffen Baulärm und Zukunftsmusik aufeinander: Ein dänisches Unternehmen startet ein millionenschweres Projekt direkt am Hafen und verspricht eine spannende Entwicklung für das Offshore-Industrie-Zentrum.

Gute Nachrichten für Meister Adebar

Störche im Landkreis Cuxhaven: Neue Weißstorchbeauftragte und neue Rekordzahlen

Im Landkreis Cuxhaven übernimmt Ursel Richelshagen als neue Weißstorchbeauftragte das Ruder und setzt auf innovative Ideen. Der Vorgänger präsentierte für das Jahr 2024 neue Rekordzahlen für die Storch-Population im Cuxland.

Bibliotheks-Ausstellung

Künstlerische Vielfalt in Cuxhaven: Babette Etzold fasziniert mit Meeresmotiven

Die Cuxhavener Künstlerin Babette Etzold verwandelt die Stadtbibliothek in ein Meer aus Farben. Ihre Werke, inspiriert von der abstrakten Malerei, laden zu einer Entdeckungsreise in die Tiefen ihrer Kreativität ein.