"Es ist unser Land": Gedenkkonzert in Cuxhaven erinnert an Pogromnacht 1938
Ein bewegendes Gedenkkonzert im Schloss Ritzebüttel in Cuxhaven erinnerte an die Schrecken der Pogromnacht und warnte vor Wiederaufleben alter Gefahren. Mit Musik und persönlichen Geschichten wurde die Bedeutung des Erinnerns in den Fokus gerückt.
Es war ein Nachmittag des Erinnerns und zugleich der Warnung vor längst vergangen geglaubten Entwicklungen, die sich in diesem Land wieder breitmachen. Beides - das Erinnern an die Schrecken der Pogromnacht vom 9. November 1938 und die Warnung - hatten der Pianist Mathias Christian Kosel und der Geiger Daniel Draganov in diesem Gedenkkonzert unter dem Motto "Jenseits des Lebens" im Schloss Ritzebüttel in Musik und in Worte gefasst.
In Zeiten, in denen Rechtsradikalismus blüht, können die Stimmen dagegen nicht laut genug sein. Erinnern an die eigene Geschichte ist nötiger denn je. Und dieses Erinnern habe die Stadt Cuxhaven, wie Rüdiger Pawlowski vom Verein "Gegen Vergessen - für Demokratie" in seiner Begrüßung unterstrich, seit vielen Jahren im Fokus. Vieles von den an diesem Nachmittag gelesenen und gesprochenen Passagen ließ ein sichtlich beeindrucktes und berührtes Publikum zurück. Am meisten vielleicht das, was der Geiger Daniel Draganov vom Schicksal seiner eigenen Familie berichtete. Draganovs Großeltern sind die einzigen der einst großen jüdischen Familie, die den Holocaust überlebt haben. Ihr Weg führte sie nach Lodz ins Ghetto, nach Auschwitz. Der Großvater wurde in Mauthausen befreit, die Großmutter in Bergen-Belsen. Später ließen sie sich in Prag nieder, wo die Mutter Draganovs das erste jüdische Kind war, das nach der Shoa in Prag geboren wurde.
Draganov, Stimmführer der 2. Violinen im Orchester der Deutschen Oper Berlin, ist bereits seit 1996 Mitglied des Bayreuther Festspielorchesters. Wenn sich in der Musikauswahl des Gedenkkonzertes im Schloss neben Bach, Beethoven, Bélà Bartok, Fazil Say, Ernest Block, jüdischen Traditionals auch Richard Wagner findet, ist das nicht eine Verbeugung des Enkels vor seinem Großvater. Der nämlich liebte Wagners Musik und war der Meinung, man dürfe sie nicht "den Falschen" überlassen. So erklangen das Gebet des Rienzi (aus der Oper "Rienzi") und das Gebet der Elisabeth aus "Tannhäuser".
Beide, Draganov wie Kosel, setzten in ihrer Interpretation der ganz unterschiedlichen Werke dieses Konzertes auf Intensität des Ausdrucks, konturenreiches Musizieren und größtmögliche Werknähe. Auf diese Weise beeinflussen sich musikalischer Beitrag und Lesung gewissermaßen wechselseitig, was wiederum die Wirkung insgesamt auf die Zuhörer erhöht. Und was die ganz "persönlichen" Momente in den Lesungen des Nachmittags angeht, so waren die beiden Erzählungen eigen. Der Draganovs natürlich noch mehr als der Mathias Kosels aus "Jenseits des Lebens".
Autor des unter dem Pseudonym Mael Le Frene geschriebenen Romans ist Kosel. Und er verarbeitet darin, wie schon in "Das Lied der Amsel" und "Thekelet", sehr viel Persönliches, Autobiografisches. Wobei das in diesem Jahr erschienene "Jenseits des Lebens" darüber hinaus auf jüngere politische Vorkommnisse Bezug nimmt und insbesondere vor noch kommenden Entwicklungen warnt - wie die durch Corona befeuerten Verschwörungstheorien oder Angriffe auf jüdische Einrichtungen. Klare Worte für den unbedingten Erhalt der Demokratie sprach am Ende der Geiger Daniel Draganov: "Es ist die beste Demokratie, die es jemals gegeben hat: Es ist unser Land."
Von Ilse Cordes