
Nach Kollision auf Nordsee: Frachter "Polesie" ist in Cuxhaven
Nach dem Zusammenstoß von zwei Frachtschiffen in der Deutschen Bucht suchen Rettungskräfte - auch aus Cuxhaven - nach mehreren Vermissten. Zahlreiche Schiffe seien dazu im Einsatz. Eine Person sei verstorben.

Der Seenotrettungskreuzer "Hermann Marwede" koordiniert derzeit die Suche vor Ort. Auch der Seenotrettungskreuzer Anneliese Kramer (DGzRS, Station Cuxhaven) ist an der Unfallstelle. Das Havariekommando mit Sitz in Cuxhaven lässt das Seegebiet zudem vom Sensorflugzeug DO228 überfliegen, um weitere Erkenntnisse zu erhalten.
"Sieben Menschen waren an Bord, und ich muss mit Bedauern mitteilen, dass wir einen Seemann nur noch tot bergen konnten, zwei weitere konnten wir retten", berichtete der Leiter des Havariekommandos (HK), Robby Renner, zu Beginn der Pressekonferenz am Dienstagnachmittag im Havenhostel in Cuxhaven und fügte hinzu: "Wir tun derzeit alles, um weitere Menschenleben zu retten".
Nach seinen Angaben werden noch vier Seeleute des havarierten Frachters "Verity" vermisst. Einer der Überlebenden sei in ein Krankenhaus gebracht worden.

Kein Erfolg trotz intensiver Suche
Trotz intensiver Suche wurden vier Besatzungsmitglieder noch nicht gefunden. "Wir müssen also davon ausgehen, dass sie noch im Schiff eingeschlossen sein könnten", so Robby Renner. Um 15 Uhr wurden deshalb Taucher zum Wrack geschickt. Das Wasser an der Unglücksstelle ist rund 30 Meter tief. "Die Bedingungen vor Ort sind sehr schwierig, sowohl das Wetter als auch die schlechte Sicht unter Wasser machen einen solchen Einsatz unglaublich schwierig", schilderte Renner. Außerdem ist ein Tauchgang nur bei Stauwasser möglich, da sonst die Strömung zu stark wäre. "Sie sehen, wir lassen nichts unversucht, um Menschenleben zu retten", so der Leiter des Havariekommandos. "Die Suche war nicht erfolgreich. Die Taucher konnten keine Erkenntnisse gewinnen", heißt es in einer Pressemitteilung des Havariekommandos in Cuxhaven.
Nach Einschätzung von Michael Ippich, Geschäftsführer Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger können die vermissten Seeleute bei einer aktuellen Wassertemperaturen von 12 Grad bis zu 20 Stunden in der See überleben. Voraussetzt, sie hatten nach der Kollision noch Zeit, sich eine Rettungsweste oder einen Kälteschutzanzug anzuziehen.
Video zeigt die Kollision
Bilder eines Erkundungsschiffes hätten gezeigt, dass das Wrack nicht auseinandergebrochen sei. Ein Video, das der Redaktion vorliegt, zeigt Radaraufnahmen vor dem Zusammenstoß der beiden Schiffe.
Der Unfall ereignete sich an einer Stelle, an der sich zwei "Verkehrswege" kreuzen. Auf dem Wasser hat Steuerbord Vorrang vor Backbord. Rechts vor Links, wie es im Straßenverkehr heißt.
Der Frachter "Verity" hätte also demnach Rücksicht nehmen und seinen Kurs anpassen müssen. Aus bisher ungeklärten Gründen hat die "Verity", die mit acht Knoten (rund 15 km/h) unterwegs war, scheinbar nicht reagiert.
Auf dem Video ist zu sehen, wie die mit 10,8 Knoten (20 km/h) fahrende "Polesie" noch versuchte auszuweichen, jedoch die "Verity" seitlich rammte. Auch das 344 Meter lange Kreuzfahrtschiff "Iona", das kurz hinter dem Massengutfrachter "Polesie" fuhr, musste reagieren. Der Luxusliner änderte seinen Kurs abrupt. Es sieht auf der Radaraufnahme so aus, als ob es das Kommando "hart backbord" auf der Brücke der "Iona" gegeben hat.
Das Radarbild zeigt außerdem, dass die "Polesie" durch die Kollision von knapp elf Knoten auf vier Knoten abgebremst wurde.
Einsatzkräfte der Feuerwehr Cuxhaven im Einsatz
Darüber hinaus beteiligen sich auch Rettungskräfte der Feuerwehr Cuxhaven an der Suche nach den vermissten Seeleuten - eine sogenannte MIRG (Maritime Incident Response Group). Seit Januar 2022 gilt das neue Abkommen über die Brandbekämpfung, die technische Hilfeleistung und die Versorgung von Verletzten auf See. Neu ist der Einsatz der Einsatzkräfte in einer Maritime Incident Response Group (MIRG). Es gibt drei Gruppen: Die (MIRG FF) ist eine fünfköpfige Einheit zur Brandbekämpfung, die (MIRG MR) eine sechsköpfige Einheit zur Verletztenversorgung und die (MIRG FR) eine fünfköpfige schnelle Eingreiftruppe (inklusive Führungskraft und Notarzt) - letztere wurde aus Cuxhaven angefordert. Cuxhaven verfügt über eine (FF) und eine (FR).
Jede MIRG besteht aus fünf bis sechs Feuerwehrleuten und Notärzten, die speziell für den Einsatz auf See ausgebildet und ausgerüstet sind. Insgesamt sind 18 MIRGs entlang der Nord- und Ostseeküste stationiert. Die ersten Einsatzkräfte rücken bei komplexen Schadens- oder Rettungssituationen innerhalb von 30 Minuten aus. Mit der neuen Generalvereinbarung reagiert das Havariekommando auf die Herausforderungen, die sich in den letzten Jahren entwickelt haben, wie zum Beispiel die steigende Anzahl von Offshore-Windparks. Die sicherheitsrelevante Ausbildung der Einsatzkräfte wird nun noch enger getaktet.
Damit die Feuerwehrleute schneller am Einsatzort sind, wird weniger auf die Mehrzweckschiffe des Bundes als auf Hubschraubertransporte gesetzt, weshalb die MIRG aus maximal sechs Personen besteht.

Eine Gefahr für die Umwelt
Auch wenn die Rettung von Menschenleben an erster Stelle stehe, gebe es auch den Aspekt der Umweltgefährdung durch den Treibstoff des gesunkenen Schiffes. Es sei aber ein geeignetes Mehrzweckschiff vor Ort, das beispielsweise Treibstoff aus dem Wasser aufnehmen könne. Im Schiff befinden sich nach Angaben des HK 1300 Kubikmeter Dieseltreibstoff. Die unter der Flagge Großbritanniens fahrende 91 Meter lange "Verity" hatte laut dem Havariekommando sogenannte Stahl-Coils geladen, also Rollen aus großen Blechen. Das Seegebiet wurde in einem Radius von fünf Seemeilen, der Luftraum in einem Radius von zehn Seemeilen gesperrt.
Frachter "Polesie" kommt nach Cuxhaven
Der an der Havarie beteiligte Frachter "Polesie" ist noch schwimmfähig und ist in der Nacht auf Mittwoch in Cuxhaven eingetroffen. Die "Polesie" gehört der polnischen Reederei Polsteam Group mit Sitz in Stettin (Szczecin). Sie ist 190 Meter lang und 28,5 Meter breit.
Ablauf der Rettungsaktion
- 05:00: Kein Signal mehr von der "Verity", das Schiff war gesunken.
- 05:01: Alarmierung der Rettungsleitstelle See der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger, international MRCC Bremen genannt. Daraufhin erfolgte die sofortige Alarmierung der Rettungseinheiten.
- 06:19: Die Hermann Marwede trifft ein und beginnt mit der Suche und Koordination vor Ort. Das an der Kollision beteiligte Schiff "Polesie" war von Anfang an an der Suche beteiligt. Nach und nach treffen weitere Schiffe ein, um an der Suche zu helfen.
- 06:29: Erste Wrackteile wurden gefunden.
- 08:25: Das MIRG Team des Havariekommandos (Maritime Incident Response Group) trifft ein.
- 14:30: Pressekonferenz des Havariekommandos im Havenhostel in Cuxhaven.
- 15:00: Taucher werden zum Wrack entstand.
Die Frachter-Kollision weckte Erinnerungen an eines der größten Schiffsunglücke in der deutschen Geschichte - fast auf den Tag genau vor 25 Jahren. Am 25. Oktober 1998 war der italienische Frachter "Pallas" auf der Nordsee unterwegs, als die Holzladung vor der dänischen Nordseeküste in Brand geriet. Das Schiff trieb führerlos in deutsche Gewässer und strandete vor der Insel Amrum. Es kam zu einer großen Ölverschmutzung, in deren Folge viele Vögel starben.