
Gedemütigt, angeschrien, bespuckt: Weitere Cuxhavenerin erlebt Gewalt durch Kinder
Angst und Wut bleiben zurück nach dem Vorfall vor einer Woche. Da wurde eine 72-Jährige aus Cuxhaven auf offener Straße von einer Gruppe von Kindern attackiert. Ihre Hündin flüchtete in Panik und verletzte sich. Doch nicht nur sie ist traumatisiert.
Angst und Wut, das sind zwei Gefühle, die sie vorher nicht kannte, sondern erst seit dem Vorfall am Dienstag vor einer Woche. An dem Tag wurde die 72-Jährige aus Cuxhaven mit ihrem Hund auf offener Straße von einer Gruppe von Kindern attackiert. So wie am selben Tag eine 94-jährige Seniorin im Schlossgarten.
Ob es sich um dieselben Jungen handelt, die auch sie angegangen haben, weiß die Hundebesitzerin natürlich nicht, auf jeden Fall habe sie aber bei der Polizei erfahren, dass dies an diesem Tag nicht der erste derartige Fall gewesen sei.
Brutalität der Attacke macht fassungslos
Die Brutalität der Attacke macht sie nach wie vor fassungslos. Sie beschreibt das Geschehen: Auf ihrer Hunderunde mit Hündin Alma gegen 20 Uhr sei sie auf vertrautem Terrain vom Abendrothquartier aus entlang der Abendrothschule unterwegs gewesen: "Ich bin dort oft entlanggegangen und auch öfter mal mit Kindern ins Gespräch gekommen", berichtet sie. Auch als ehrenamtliche Lesepatin sei sie den Kontakt mit Grundschulkindern gewohnt.
An der Abendrothstraße seien vier oder fünf Jungen unvermittelt auf sie zugekommen und hätten gefragt, ob sie den Hund streicheln dürften. Als sie das mit dem Hinweis darauf verneint habe, dass die Hündin davor Angst habe, sei es über sie hineingebrochen: "Sofort hatte einer die Hose unten. Dann wurde ich wurde bespuckt und angeschrien." "Du Hure" sei nur eines der Schimpfwörter gewesen, die ihr entgegengerufen worden seien. "Man mag es gar nicht wiederholen."
In dem Moment kein Mensch auf der Straße
Blanker Hass, nicht anders kann sie die binnen Sekunden entstandene Stimmung beschreiben. "Das war kein Gepöbel mehr, das war eine Attacke, geradezu eine Gier nach Brutalität." In dem Moment sei nicht eine Menschenseele auf der sonst so belebten Straße vorbeigekommen, die ihr hätte zur Seite springen können.
In Panik hätte sich dann Hündin Alma, was ihr als erfahrener Hundehalterin in 20 Jahren noch nicht passiert sei, aus dem Geschirr befreit und sei blindlings fast vor ein Auto gelaufen, was von den Jungen mit hämischen Rufen kommentiert worden sei. Der Autofahrer habe zum Glück schnell reagiert und gebremst. Alma flüchtete in einen Dornenbusch. Nur mit Mühe sei es ihr nach einer bangen halben Stunde gelungen, sie zum Hervorkommen zu bewegen. Doch die Hündin blutete heftig aus einer Wunde an der Pfote.
Die musste tags darauf noch genäht werden und wird bis heute alle zwei Tage tierärztlich versorgt. "Das Schlimmste aber: Sie hat jetzt ein Trauma und schreckt zurück, sobald sie schreiende Kinder oder Autos wahrnimmt", sagt die Halterin. Doch auch an ihr sei das Geschehen nicht spurlos vorbeigegangen: "Das erste Mal habe ich in meinem Leben Angst gehabt - vor diesen kleinen Kindern."
In den ersten Tagen Angst vor jedem
Sie sei immer ein offener Mensch gewesen, aber in den Tagen danach habe sie in jedem Entgegenkommenden einen Feind gesehen. Auch jetzt sei die Unsicherheit immer noch groß. Wo soll sie künftig entlanggehen? Soll sie jetzt immer umdrehen, wenn sie Gruppen von Jungen sieht? Diese Frage bewege auch Menschen in ihrer Nachbarschaft. Dort hat sie über den Vorfall berichtet und von weiteren Übergriffen und Einschüchterungsversuchen erfahren: Ein älterer Mann, der einer gehbehinderten Nachbarin habe helfen worden, sei mit den Worten "Du Nazischwein" beleidigt worden; erst das Erscheinen eines jüngeren Passanten habe die Kinder vertrieben.
Es sei auffällig, dass gezielt Frauen angegriffen würden, in ihrem Fall auch verbunden mit der versuchten sexuellen Demütigung durch das Entblößen. "Und wie es der 94-jährigen Dame geht, mag ich mir gar nicht vorstellen."
Wie hätte eine Gegenwehr aussehen können?
Die Frage, wie sie sich hätte wehren können, nagt an ihr. Die Polizei habe ihr gegenüber angedeutet, dass eine Gegenwehr womöglich sogar gegen sie hätte ausgelegt werden können. Auch auf den Tierarzt-Kosten von sicherlich mehreren hundert Euro werde sie sitzenbleiben, das sei für sie jedoch nicht das Schlimmste.
Bevor sie vor sechs Jahren nach Cuxhaven gezogen sei, wo sie sich an mehreren Stellen ehrenamtlich engagiert, habe sie in Großstädten gelebt, ohne dort je Vergleichbares erlebt zu haben. Im Alltag vieler Kinder laufe auf jeden Fall etwas falsch, wenn Schwellen des Unrechtsgefühls in der Form überschritten würden. Das bekämen auch Lehrkräfte zu spüren, die sich mehr um mangelnde soziale Kompetenzen kümmern müssten als sie unterrichten könnten.
Anlaufstelle Weisser Ring
Mit Fragen, die in Betroffenen nach solchen Vorfällen schwelen, ist Gerhard Seebode, dem Leiter der Außenstelle Cuxhaven der Opferschutzorganisation "Weisser Ring", nur zu vertraut. Der pensionierte Polizeibeamte und weitere fünf Ehrenamtliche stehen Menschen nach Gewalterfahrung als Ansprechpartner zur Verfügung, hören zu und geben Informationen. Selbstverständlich in einem geschützten Raum und unter Schweigepflicht.
Auch ein kleines Budget für Soforthilfen steht Gerhard Seebode zur Verfügung, aber: "Das ist für die meisten nicht das Wichtigste." Die Ehrenamtlichen vermitteln Kontakte zu Institutionen, helfen beim Ausfüllen von Anträgen oder begleiten die Betroffenen auf deren Wunsch hin zu Behörden. Unter anderem als Mitglied im Kommunalen Präventionsrat und dem Arbeitskreis häusliche Gewalt ist Seebode außerdem weithin vernetzt. Kontaktdaten: Weisser Ring Außenstelle Cuxhaven, Telefon (01 75) 70 21 435, E-Mail cuxhaven@mail.weisser-ring.de.