Gedenkstunde in Cuxhaven am 9. November: "Erinnerung allein reicht nicht"
Am Jahrestag der Reichspogromnacht (9. November 1938) trafen sich Bürgerinnen und Bürger aus Cuxhaven am Gedenkstein für die in der NS-Zeit verfolgten jüdischen Mitbürger ihrer Stadt, um zu erinnern und Verantwortung zu zeigen.
Jedes Wort so klar, so deutlich, so grausam. Das Gedicht, das Lena Flohre, Vorstandsmitglied des SPD-Ortsvereins Cuxhaven, am Sonntag am Gedenkstein für die jüdischen Mitbürger in Cuxhaven vorlas, zeichnete nach, was die von Ahnungen, aber immer noch auch Hoffnung bewegten zusammengetriebenen Menschen auf dem Weg nach Auschwitz wahrnahmen.
Geschehnisse wurden von großen Teilen der Gesellschaft getragen
Es waren Jüdinnen und Juden, deren Schicksal längst beschlossen war, denen keine Lebensrechte mehr zugeschrieben wurden und auf die die Vernichtung wartete. Getragen von einer Gesellschaft, deren Empathie in großen Teilen erkaltet war. Der 9. November 1938, Tag der Reichspogromnacht, in der überall in Deutschland jüdisches Gedankengut, jüdischer Besitz verbrannt und jüdische Menschen gejagt wurden, war eine Zäsur, erklärte der SPD-Ortsvereinsvorsitzende Matthias Roßberg in der Gedenkstunde, zu der die SPD und die evangelische Kirchengemeinde der Martinskirche eingeladen hatten.
Für ein paar Minuten kamen die Kinder und Erwachsenen in der Südersteinstraße zur Ruhe, während die Kirchenglocken der Martinskirche läuteten. Auch hier seien jüdische Mitbürger der Bedrohung durch Gewalt, Verhaftungen und Mord ausgesetzt gewesen, erinnerte Matthias Roßberg. Der giftige Keim sei schon Jahrhunderte zuvor gelegt worden.
"Wie abgrundtief eine menschliche Seele sinken konnte"
Nun fand wieder Verfolgung auf offener Straße statt - "und so viele sahen weg. Der 9. November 1938 zeigte, wie abgrundtief eine menschliche Seele sinken konnte. Alle Dämme brachen und mündeten in einen abgrundlosen Holocaust." Das Gedicht "Es war ein Tag und er neigte sich" von Nora Gomringer macht es deutlich: "Und es war wahr."
"Aber unsere Verantwortung besteht nicht nur im Erinnern", so Matthias Roßberg. Denn dazu gehöre auch die Pflicht, auch heute demokratiegefährdenden Bewegungen die Stirn zu bieten, Fremdenhass nicht zuzulassen und die Freiheit zu schützen und zu verteidigen. "Denn nie wieder ist jetzt."
Auch Christen beteiligten sich an der Menschenjagd
Auch Pastor Stefan Bischoff (Ritzebüttel) erinnerte daran, wie es im Laufe der Geschichte selbstverständlich war, sich gegen die Juden abzugrenzen. Mit Folgen: "Immer mehr Menschen wurden kalt." Auch Christen hätten sich an der Jagd auf Menschen beteiligt, sie aus den Häusern geholt und ihre Schriften verbrannt. Es dürfe nicht sein, dss Juden jetzt wieder Angst hätten, ihre Kippa oder einen an der Kette getragenen Davidstern zu zeigen. In sein Gebet für Frieden, Versöhnung und Vergebung bezog Stefan Bischoff den Wunsch nach einem gelingenden Wiederaufbau in Gaza mit ein.

Daniel Draganov (nachmittags noch zusammen mit Christian Kosel in der Martinskirche zu hören) gestaltete die Gedenkstunde mit seiner Geige musikalisch. Weiße Rosen wurden als Zeichen des Mitgefühls und der Erinnerung am Gedenkstein niedergelegt. "Es tut gut, hier zu sein. Ich bin froh, dass so viele Menschen sich an einem Sonntag die halbe Stunde Zeit für diese Veranstaltung nehmen, um ihre Solidarität zu zeigen", so eine Teilnehmerin.