So clever heizt Cuxhaven: Wie 360 Röhren auf einem Dach die Gasrechnung halbieren
Auf einem Altbau-Dach in Cuxhaven ragen 360 Röhren zum Himmel. Doch statt Sterne zu beobachten, fangen sie Sonnenwärme ein: ein Projekt, das nicht nur den Gasverbrauch drastisch senkt, sondern auch die Zukunft der Energieversorgung neu definiert.
Wer im Lotsenviertel die Schillerstraße entlanggeht, kann es zwar nicht sehen, doch auf dem Dach des Friseursalons "Alegra" spielt sich etwas Ungewohntes ab: Auf dem Flachdach reihen sich 360 schlanke Glasröhren aneinander, wie aufgestellte Teleskope in den Himmel. Darin steckt keine Astronomie, sondern die vielleicht bodenständigste Technik für die Energiewende: Solarthermie. Sie produziert keinen Strom, sondern Wärme - und das in rauen Mengen.
"Wir sparen damit vierzig bis fünfzig Prozent Gas", freuen sich Hauseigentümer Andreas und Claudia Just. "Und wir haben kein Glykol mehr, keine Frostsorgen. Die Anlage läuft drucklos - einfacher geht's nicht", schwärmen die Justs. Tochter Alegra Rath ist dort im Herzen des Lotsenviertels mit ihrer jungen Familie zu Hause und betreibt zudem ihren gleichnamigen Friseursalon.

Vom Vortrag aufs Dach
Der Anfang dieser Zusammenarbeit war unspektakulär: ein Info-Nachmittag im Cuxhavener Havenhostel über Heizungen und Wärmepumpen. Haak, damals Gastredner, erklärte dort Alternativen zur Wärmepumpe.
"Am Ende der Veranstaltung haben wir uns unterhalten und ausgelotet, ob das vorstellbar ist, einen Ortstermin im Friseursalon zu machen", erzählt Just. "Maximilian hat gleich gesagt: ,Ich schaue mir das mal an.‘ Dann hat er gerechnet: Lohnt sich das? Was kostet das? Wie viel Autarkie ist möglich?"
Bevor die erste Schraube gedreht wurde, schalteten die Justs einen Energieberater ein. "Das ist wichtig, weil man so dreißig Prozent der Gesamtkosten gefördert bekommt - einschließlich Beratungskosten", sagt Andreas Just. "Und wenn wir alle die Energiewende wollen, müssen wir uns in diese Richtung bewegen."
Röhren, die Wärme trinken
Die Technik klingt komplex, ist aber einfach zu verstehen: Jede Röhre ist ein doppelwandiges Glasrohr. Innen ein schwarzes Glas, dazwischen Vakuum. In der Mitte ein Kupferstab ("Heat Pipe"), der die Sonnenwärme nach oben in den Sammelkasten leitet. Dort fließt das Heizungswasser daran vorbei, nimmt die Wärme auf - und wird in große Speicher geleitet. "Das Prinzip ist simpel wie ein Regenschirm, aber technisch dominant", sagt der Geschäftsführer von Haak-Solar. "Und weil wir Standardkomponenten einsetzen, kann jeder Heizungsbauer sie warten."

Der Clou: Das System arbeitet drucklos, nutzt nur ein leichtes Gefälle in den Leitungen. Frostschutzmittel wie Glykol entfallen. "Glykol war immer ein Hauptkopfschmerz bei alten Anlagen", weiß Maximilian Haak. "Es muss regelmäßig gewechselt werden, wird bei Hitze sauer und greift Dichtungen an. Das fällt hier alles weg."
Drei Monate, zwei Männer, 360 Röhren
Drei Monate dauerte das Projekt - von der Planung bis zum letzten Handgriff. 90 Prozent der Montage stemmten Maximilian Haak und Andreas Just selbst. "Ich bin kein gelernter Handwerker", sagt Haak lachend. "Aber wir sind ein schönes Team. Ich glaube, wir sind auch ein bisschen Freunde geworden."
Die Vakuumröhren kamen direkt aus China. "Es gibt praktisch keine deutschen Hersteller mehr", weiß der Jungunternehmer aus Otterndorf. "95 Prozent der in Deutschland verbauten Kollektoren stammen von dort. Früher hieß ,Made in China‘ minderwertig. Heute ist das solide Qualität - und ohne diese Quelle wäre die Anlage zwei- bis dreimal so teuer."
Wärme, die das Gas ersetzt
Mit 35 Kilowatt Kollektorleistung deckt die Anlage mindestens ein Drittel, in der Praxis 40 bis 50 Prozent des Wärmebedarfs. "Wenn die Sonne genug liefert, denkt die Heizung: ,Alles Bombe, ich muss nicht anspringen‘", berichtet Just aus Erfahrung. Im Rücklauf der Heizung sitzt ein Wärmetauscher, der das warme Wasser aus den Speichern einspeist.
Die junge Friseurmeisterin Alegra Rath merkt den Unterschied täglich: Ihre neue Kopf-Spa-Dusche liefert warmes Wasser, das jetzt zum Teil direkt aus der Sonne kommt. "Das ist Wellness für die Kunden - und für die Umwelt", freut sich die Friseurmeisterin.

Technik ohne Hexenwerk
Die Speicher - drei große, gedämmte Wassertanks - stehen dort, wo früher im Keller der Öltank war. "Das Schöne ist: Wir brauchen keine Dämmung am Haus zu ändern, keine Fenster zu tauschen. Die Anlage senkt den Gasverbrauch in jedem Fall deutlich", erklärt der Fachmann im Hinblick auf die Sonnenheizung.
Auch der Stromverbrauch ist gering. "Die Pumpen ziehen je 40 Watt - das ist nicht der Rede wert", berichtet Haak aus der Praxis. Alle Komponenten sind übrigens Standard im Heizungsbau: "Jede Pumpe, jeder Speicher ist seit Jahrzehnten erprobt. Geht einmal etwas kaputt, kann jeder Heizungsbauer die defekten Teile problemlos ersetzen."
Skepsis - und Chancen
Trotz der Vorteile stieß der Geschäftsführer von Haak-Solar am Anfang auf Skepsis. "Die Basis war sehr, sehr zurückhaltend", erinnert er sich. "Viele Heizungsbauer verdienen ihr Geld aktuell mit Wärmepumpen. Da haben manche Angst, dass eine Alternative ihr Geschäftsmodell gefährdet. Aber ich will nicht gegen etwas sein, sondern für mehr Optionen."
Die Eheleute Claudia und Andreas Just sehen im Projekt Sonnenheizung ein Stück gelebte Energiewende: "Es muss ja nicht immer die Komplettlösung sein. Das hier ist ein gesunder Mittelweg - und er funktioniert."
Der junge Unternehmer Maximilian Haak möchte eine echte Alternative zur Wärmepumpe schaffen, und die Sonnenheizung hat bewiesenermaßen das Zeug dazu.