
"Man darf stolz auf sich sein": Cuxhavenerin hat sich in Männerdomäne durchgesetzt
Die Cuxhavenerin Silke Rother, die schon als Kind heimlich Stoffreste sammelte, hat sich im von Männern dominierten Berufsfeld durchgesetzt. Ihr Weg zur erfolgreichen Unternehmerin war geprägt von Mut, Rückschlägen und unerschütterlichem Willen.
Wenn Silke Rother durch ihr Atelier im Drangstweg geht, ist da sofort dieser Blick - ein prüfender, geschulter, liebevoller Blick für Farben, Formen und Stimmungen. Seit 50 Jahren lebt und arbeitet sie in einem Beruf, der ihr schon als kleines Mädchen im wahrsten Sinne des Wortes in die Wiege gelegt wurde. "Ich wusste einfach immer, dass ich etwas mit Stoffen machen möchte. Schon als Kind habe ich für meine Puppen gehäkelt, genäht, gebastelt - das war ganz und gar meine Welt."
Geboren am 21. Mai 1960 in Cuxhaven, war es ein weiter Weg von der Neunjährigen, die heimlich Stoffreste aus dem Gardinengeschäft holte, bis zur erfolgreichen Unternehmerin, die heute ein fünfköpfiges Team führt. Ihre Eltern hätten sie lieber im Büro gesehen, "aber ich habe gespürt, ich muss etwas Praktisches machen." Im April 1975 begann sie - gerade einmal 14 Jahre alt - ihre Ausbildung bei der renommierten Firma Wohltmann in der Schillerstraße im Lotsenviertel. Ein mutiger Schritt: Das Berufsfeld der Raumausstatter war damals fest in Männerhand.
Mutiger Start in einer Männerdomäne
"Ich war sofort Feuer und Flamme. Noch bevor mein Chef vom Stuhl aufstehen konnte, bin ich auf die Kunden zugerannt”, erinnert sie sich lachend. Ein wenig zu forsch vielleicht - aber genau das überzeugte. "Die Kollegen sagten: Wenn die das wirklich lernt, wird sie eine Bereicherung." Und das wurde sie. Rother musste sich mehrfach beweisen - körperlich wie fachlich. "Ich habe Teppichböden verlegt, 25-Kilo-Säcke mit Ausgleichsmasse geschleppt, gepolstert, geschraubt, genäht - ich konnte das alles. Auch wenn ich mir dabei den Rücken ruiniert habe." Damals hieß der Beruf noch "Sattler und Tapezierer" - ein echtes Handwerk.

Mit ihrer Prüfungsnote - eine Drei - haderte sie zunächst. "Ich war am Tag der praktischen Prüfung krank und komplett durch den Wind." Doch ihr damaliger Chef Jürgen Wohltmann stärkte ihr den Rücken: "Du brauchst dein Zeugnis nie wieder vorzuzeigen. Ich weiß, was du kannst." Und so machte sie weiter - mit Herzblut und wachsender Verantwortung. Schon bald führte sie selbstständig den Laden, machte Ausmessungen, Bestellungen, gestaltete Schaufenster und wurde gezielt von Kundinnen angefragt.
Beratung bei Tee mit Fingerspitzengefühl
Ein entscheidender Moment kam, als man ihr anbot, das Geschäft zu übernehmen - ein Angebot, das sie aus familiären Gründen ablehnen musste. "Mein damaliger Mann fand das zu viel. Ich hatte gerade meine Tochter bekommen, es passte einfach nicht." Später wagte sie dann doch den Schritt in die Selbstständigkeit - mit Unterstützung ihres zweiten Ehemanns. 1997 eröffnete sie ihr erstes eigenes Geschäft in der Dorotheenstraße - im privaten Esszimmer.
"Ich habe die Menschen immer bei einer Tasse Tee oder Kaffee beraten. Diese Gespräche waren mir wichtig - und das ist bis heute so." Inzwischen führt sie ein florierendes Unternehmen, bekannt für hochwertige Stoffe, kreative Raumkonzepte und ein feines Gespür für den Geschmack ihrer Kundschaft. "Ich sehe oft am Gesichtsausdruck, ob jemand einen Stoff mag - noch bevor er etwas sagt."
Ihr Beruf sei eine Berufung, sagt sie. "Ich liebe es, Lebensräume zu gestalten. Ich möchte, dass sich Menschen in ihrem Zuhause wohlfühlen - und das gelingt nur, wenn man sie wirklich sieht und versteht." Auch nach 50 Jahren denkt sie nicht ans Aufhören: "Solange ich kann, mache ich weiter. Ich habe ein tolles Team und noch viele Ideen."
Ein Leben mit Handwerk und ganz viel Herz
Ihr Weg war nicht immer leicht. Aber Silke Rother hat sich nie beirren lassen. "Ich bin stolz auf das, was ich erreicht habe - heute erst recht." In ihrer knapp bemessenen Freizeit genießt sie die gemeinsame Zeit mit ihrem Mann im liebevoll gepflegten Garten. Auch Hund Chico, zwei Kanarienvögel und gelegentliche Besuche bei den Enkelkindern in Kassel gehören zu ihrem erfüllten Leben.
Und wenn Silke Rother auf ihr Leben zurückblickt, kommt sie ins Nachdenken - mit einer Einsicht, die sie ihren Kundinnen wie auch sich selbst gern mit auf den Weg gibt: "Man sollte die Leiter des Lebens nicht immer nur hinaufschauen und sich fragen, was man noch alles schaffen müsste. Gelegentlich darf man auch mal nach unten blicken - und erkennen, wie viele Stufen man schon geschafft hat. Und dann darf man ruhig ein wenig stolz auf sich sein."