
"Seht her": Warum der Mädchenaktionstag in Cuxhaven längst nicht überholt ist
Einfach nur Kind sein? Und das als Mädchen? Unbeschwert erleben viele Kinder und Jugendliche diese Zeit schon lange nicht mehr. Engagierte Mädchenarbeit in Cuxhaven will dem Druck aus Gesellschaft und sozialen Medien etwas entgegensetzen.
Der am 13. September stattfindende Mädchenaktionstag befindet sich in einer langen Tradition. Doch Corona ließ Mädchenspektakel und Co. darniederliegen. Die Kehrtwende wurde im Januar 2024 eingeleitet: Seither kommt der Arbeitskreis Mädchenarbeit in der Stadt wieder zusammen.
"Und in dem Moment, in dem man ein Miteinander hat, passiert auch viel", stellt Mirian Breuer von der Frauen- und Mädchenberatung des Paritätischen fest. So feierte der Mädchenaktionstag im vergangenen Jahr mit rund 80 bis 90 Teilnehmerinnen seinen Neustart im Haus der Jugend; diesmal sollen es gerne noch mehr werden.
Die Aufgabe von Mädchenarbeit erläuterten die Mitveranstalterinnen vorab im Haus der Jugend - dort, wo 8- bis 15-Jährige am 13. September von 14 bis 18 Uhr ganz unter sich sein dürfen, um kreativ zu sein, Fotos zu machen, Selbstbehauptung zu üben, Pflegeprodukte herzustellen oder in der Schwarzlichtdisco zu tanzen.
Passend zum Motto "Seht her" wird das Thema Neon überall auftauchen. "Wir wollen die Sichtbarkeit in den Vordergrund stellen", erläutert Stadtjugendpflegerin Svenja Plock. Was bedeutet es, ein Mädchen zu sein, wo stehe ich? Was möchte ich und was mag ich? Hierfür soll es Antworten und Denkanstöße geben, aber auch Zeit und Raum für Selbstfürsorge, Spaß und Gekicher.
Unbeschwerte Kindheit endet immer früher
In der Lebensrealität vieler Mädchen kommt das immer seltener vor, wie die Sozialarbeiterinnen berichten. Soziale Medien schürten Ansprüche an Schönheit, Schlankheit und Perfektion. Essstörungen würden immer häufiger, Mädchen hätten eine erwartete Rolle auszufüllen. Alles sei geprägt vom Vergleich - ob Figur, Frisur oder Beziehung, so Anna-Lena Friebe aus dem Haus der Jugend.
Rolle rückwärts wird in manchen Schichten propagiert
Einen "Roll-back" (Rolle rückwärts) nimmt Heike Bach, Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Cuxhaven, wahr. Vermehrt würden den Mädchen wieder die Ansprüche eines sehr traditionellen Familien- und Frauenbilds untergejubelt: Unsichtbar, brav, am besten untergeordnet, auch in der Beziehung. Viele Frauen fänden dies sogar normal, berichtet Mirian Breuer aus der Frauen- und Mädchenberatung. Doch häufig münde die Tragfähigkeit dieser "Idealvorstellung" in Übergriffigkeit, körperlicher und seelischer Gewalt und finanzieller Abhängigkeit.
Unter besonderem Druck befinden sich viele Mädchen in migrantischen Familien. Lehrkräfte, Schulsozialarbeiterinnen und Institutionen beobachten, dass es vielen verboten wird, die Wohnung außer für den Schulbesuch zu verlassen. Da verbleiben reine Mädchenangebote als einziger Weg, um doch gelegentlich unter Gleichaltrige zu kommen. "Sie wissen, dass sie hier gesehen werden", so Mariana Härtel vom Jugendmigrationsdienst und der Beratungsstelle gegen häusliche Gewalt des Paritätischen (BISS).
"Gefährlichster Ort ist das Zuhause"
Wer Mädchen draußen gefährdet sehe, müsse sich darüber klar sein, dass der gefährlichste Ort in Wirklichkeit das Zuhause sei, macht Mirian Breuer deutlich. Umso wichtiger sei es, Mädchen sehr früh zu bestärken und ihnen deutlich zu machen, wie richtige Beziehungen gehen, wie sie Grenzen setzen und für sich einstehen. "Was darf mein Freund, was lasse ich zu, darüber herrscht eine große Verunsicherung", so Mirian Breuer.
Selbstbewusstes und unabhängiges Auftreten wird auch beim Mädchenaktionstag vermittelt: Unbeschwert sein und ausprobieren ja - "aber niemand muss alles mitmachen", unterstreicht Svenja Plock. Das Fest bringe zudem alle Schichten zusammen. "So ein Fest eignet sich gut dazu, Isolation aufzubrechen", sagt auch Cindy Appelt von der DRK-Jugendhilfestation Cuxhaven. Während der Pandemie hätten viele Mädchen verlernt, sich zu verabreden und unbeschwert mit anderen zusammen zu sein.
Welche Gesichter steckten hinter den Beratungsangeboten?
Außerdem wollen die Organisatorinnen Hilfsangebote sichtbar machen und die Gesichter dahinter zeigen. Wer heute noch am Schminktisch stand, kann morgen vielleicht Auswege aus einer verzweifelten Situation zeigen. Und das ganz bewusst für einen Tag ohne Jungs. Auch wenn für diese die Begleitung natürlich ebenfalls überaus wichtig sei, wie alle betonen.