Die Zahl der im Jahr 2022 registrierten Sterbefälle deutet sowohl für die Stadt Cuxhaven als auch für Hadeln auf eine deutliche Übersterblichkeit hin. Wissenschaftler haben es noch vor sich, die regionalen Besonderheiten zu untersuchen. Foto: Reese-Winne
Die Zahl der im Jahr 2022 registrierten Sterbefälle deutet sowohl für die Stadt Cuxhaven als auch für Hadeln auf eine deutliche Übersterblichkeit hin. Wissenschaftler haben es noch vor sich, die regionalen Besonderheiten zu untersuchen. Foto: Reese-Winne
Forscher schätzt Lage ein

Zu viele Menschen sterben vorzeitig in Deutschland - Cuxhaven besonders betroffen

von Maren Reese-Winne | 01.02.2023

Die außergewöhnlich hohe Zahl an Sterbefällen im Jahr 2022 beschäftigt die Standesämter in Stadt und Kreis Cuxhaven. Mit 838 Sterbefällen schnellte der Wert in der Stadt um 15 Prozent nach oben, den Höchststand innerhalb der vergangenen 20 Jahre.

Die außergewöhnlich hohe Zahl an Sterbefällen im Jahr 2022 beschäftigt die Standesämter in der Stadt Cuxhaven, aber auch in anderen Orten des Landkreises. Mit 838 registrierten Sterbefällen schnellte der Wert in der Stadt signifikant nach oben - um immerhin 15 Prozent, so hohe Zahlen waren seit 20 Jahren nicht registriert worden. Im Jahr 2021 hatte die Zahl noch bei 731 Sterbefällen gelegen. In den benachbarten Standesämtern war der Trend ebenso unübersehbar, und dies bestätigt sich auch bundesweit. 

In den ersten zwei Wochen des Jahres 2023 sind in der Stadt Cuxhaven bereits 52 Todesfälle beurkundet worden, auch das hat es noch nie gegeben. Nun nimmt die Stadt Cuxhaven in der Demografie bekanntermaßen seit langem einen besonderen Rang ein und ist unter anderem aufgrund der hohen Zuwanderung durch ältere Mitbürger in Sachen demografischer Wandel  den meisten anderen Regionen in Deutschland weit voraus. Aber lässt sich eine Steigerung der Sterbefälle allein damit erklären?

Welche Rolle spielt das Alter und welche die anderen Faktoren?

Welche Rolle spielen Corona, andere Infektionskrankheiten, die Hitzewelle (obwohl deutlich gemäßigter als im Süden), vernachlässigte Gesundheitsvorsorge während der Pandemie, Einsamkeit und deren Folgen, Sorgen um Krieg und Existenz, Personalnotstand in Kliniken und lange Fahrten der Rettungsdienste? Das haben wir Fachleute gefragt und festgestellt: Die Lage lässt niemanden kalt, auch nicht die Wissenschaft, die derzeit noch ebenso wie die statistischen Ämter die Todesursachen sowie weitere Rahmendaten (etwa das Alter der Verstorbenen) analysiert.

Dazu gehört auch die Betrachtung regionaler Unterschiede. Die Datenlage mache es allerdings schwer, hierbei rasch voranzukommen, erklärt Dr. Michael Mühlichen von Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung in Wiesbaden. Die amtlichen Statistiken des Bundes und der Länder erschienen stets mit einiger Verzögerung. Die Todesursachenstatistik für das Jahr 2021 auf Kreisebene sei erst in diesem Frühjahr zu erwarten, die für 2022 voraussichtlich ein Jahr später. Das Statistische Bundesamt arbeite aber zusammen mit dem Bundesgesundheitsministerium darauf hin, den Prozess der Datenerfassung und -bearbeitung zu beschleunigen, was sehr zu begrüßen sei. Die Wissenschaft, in der das Thema allgegenwärtig sei, müsse mit den reinen Sterbedaten so schnell wie möglich auch die Daten zu den Todesursachen verknüpften.

"Die Erhebung von Begleiterkrankungen ist wichtig"

Aktuell werde flächendeckend auch nur das so genannte Grundleiden der Verstorbenen erhoben. Einige Bundesländer erhöben aber bereits auch die Begleiterkrankungen und bald würden diese Daten für das gesamte Bundesgebiet vorliegen. "Die Erhebung von Begleiterkrankungen ist wichtig, um Einschätzungen vornehmen zu können, inwieweit Vorerkrankungen eine Rolle spielen", so Mühlichen. Allgemein seien die verfügbaren Informationen in der Todesursachenstatistik relativ beschränkt. So gibt es dort zum Beispiel keine Informationen zum Impfstatus.

Für 2020 im Kreis Cuxhaven noch keine Übersterblichkeit festgestellt

Im  Jahr 2020, für das es schon regionale Analysen gibt, habe der Landkreis Cuxhaven noch zu den am wenigsten von Corona betroffenen Regionen gehört und keine Übersterblichkeit gezeigt - anders als Sachsen, der Südosten Brandenburgs und Bayern - eine Konsequenz der Verbindung von Corona und hohem Alter (ab 65). 

Bei einer ersten Betrachtung des Jahres 2022 geht das ebenso von uns befragte Statistische Bundesamt nur auf die bundesweite Entwicklung ein. Demnach seien erhöhte Todesfallzahlen im Frühjahr und Sommer wohl auf Grippe- und Corona-Erkrankungen zurückzuführen;  im Sommer sei die Rekord-Hitze hinzugekommen. Sehr hoch sei die Anzahl der Todesfälle wieder im Dezember gewesen, nachdem ab November die Zahl der Atemwegsinfektionen stark zugenommen habe.    

Mit der Erforschung der regionalen Sterblichkeitsentwicklung beschäftige sich in Deutschland generell neben dem Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB) das Max-Planck-Institut für demografische Forschung in Rostock. "Zudem untersucht natürlich das Robert Koch-Institut die Entwicklung der Sterblichkeit verstärkt aus medizinisch-epidemiologischer Sicht", erklärt Experte Dr. Michael Mühlichen auif Nachfrage.

Struktur des Gesundheitssystems und eigenes Verhalten spielen mit

Auf die Frage, ob sich aus bisherigen Ergebnissen schon Forderungen oder konkrete Maßnahmen - beispielsweise nach Stärkung der Gesundheitsvorsorge, besserer personeller Ausstattung der Kliniken, besserem Hitzeschutz in Gebäuden oder mehr Engagement im Klimaschutz ergäben, stellt Mühlichen fest: "Unabhängig von den Ursachen der Übersterblichkeit der jüngsten Jahre, wozu es noch viel zu forschen gibt, sterben in Deutschland zu viele Menschen vorzeitig. Unsere Forschungsergebnisse zeigen, dass es in vielen Regionen noch Verbesserungsspielräume hinsichtlich der Erreichbarkeit und Qualität der medizinischen Versorgung sowie bei der Eindämmung gesundheitsgefährdenden Verhaltens gibt - speziell beim Rauchen und Alkoholmissbrauch, aber auch  im Hinblick auf mangelnde Bewegung und Ernährung."

Hintergrund: Erhebungen des Statistischen Bundesamts

Im Jahr 2022 sind in Deutschland nach vorläufigen Ergebnissen des Statistischen Bundesamtes (Destatis) 1,06 Millionen Menschen gestorben. Das bedeutete im Vergleich zum Vorjahr eine Steigerung um 3,4 % oder mehr als 35 000 Fälle. Im Gegensatz zu den ersten beiden Pandemiejahren nahmen die Sterbefallzahlen bei den Frauen mit einem Plus von 4,3 % stärker zu als bei den Männern (+2,5 %). In den Jahren 2020 und 2021 war dies umgekehrt. Im Dezember 2022 lagen die Sterbefallzahlen um 19 % über dem Vergleichswert der vier Vorjahre.

Im Vergleich dazu lag die Steigerung in Cuxhaven und Hadeln deutlich höher. Die Stadt Cuxhaven registrierte 838 Sterbefälle (Vorjahr: 731), die Samtgemeinde Land Hadeln 358 (Vorjahr: 307), das Standesamt Hemmoor 161 (Vorjahr: 125) und das Standesamt Lamstedt 79 (Vorjahr: 51).

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Maren Reese-Winne

Redakteurin
Cuxhavener Nachrichten/Niederelbe-Zeitung

mreese-winne@no-spamcuxonline.de

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